Zürich, Tonhalle: „Yoav Levanon“, Klavierrezital

Minutenlang sitzt er still in sich versunken da, voll konzentriert, man fürchtet bereits, er könne vor lauter Lampenfieber nicht beginnen – doch weit gefehlt, was nach dieser Konzentrationsphase jeweils folgt, katapultiert ihn, den Flügel und vor allem das Publikum im beinahe ausverkauften Saal der Kleinen Tonhalle in den pianistischen Himmel der virtuosen Ekstase. Der 19jährige Pianist Yoav Levanon hat sich nichts weniger als zwei der Gipfelwerke der Klavierliteratur für sein Debüt in der Tonhalle angenommen: Liszts auch formal vertrackter, mit immensen Schwierigkeiten gespickter h-Moll Sonate und Rachmaninows nicht minder diffizil zu spielenden Études-tableaux, op. 39. Als drittes Werk, ebenfalls von einer komponierenden Tastenvirtuosin komponiert, Clara Schumanns Variationen über ein Thema ihres Gatten Robert Schumann, op.20: Wunderbar zart intonierte er das Hauptthema, überdehnte die punktierte Viertelnote ganz leicht und entlockte so dem Motiv etwas Verlangend-Elegisches. Überhaupt gelang es ihm, das Hauptthema innerhalb der gekonnten und vielschichtigen Variationen Clara Schumanns stets klar herauszuarbeiten, so klar, dass man es kaum mehr aus dem Ohr brachte, auch wenn umspielende Läufe in der rechten und wuchtig grollende Figuren in der linken Hand es zu erdrücken suchten.

(c) Philipp Schmidli

Yoav Levanon ging danach nicht von der Bühne, nahm bescheiden den heftigen Applaus entgegen und setzte sich gleich wieder vor den Flügel, um sich auf das nächste Stück zu konzentrieren, Liszts so verdammt schwierige h-Moll Sonate. Bei den ersten tastenden Staccati liess er sich auch nicht durch eine draussen aufheulende Sirene eines Streifenwagens aus der Ruhe bringen und die bald aufwallenden Klangfluten übertönten die Sirene mit Leichtigkeit. Was nun folgte war eine berauschende, mitreissende Achterbahnfahrt, wilder als jede Verfolgungsjagd mit Polizeifahrzeugen. Liszt hatte mit dieser Sonate ein für die damalige Zeit in seiner Modernität wahrlich explosives Werk geschaffen, von Clara Schumann nicht verstanden, von Richard Wagner bewundert – was nicht erstaunt, denn an manchen Stellen erklingt ein erhebendes, fanfarenartiges Grandioso-Motiv, das Wagner sicherlich als Inspirationsquelle für manche Wendungen z.B. im PARSIFAL gedient haben mochte. Gerade die Herausarbeitung dieser Passagen gelang Yoav Levanon mit gewaltiger Emphase. Daneben verblüffte er mit zartem Innehalten, verträumt-reflexiven Phrasen und leutenden Tönen, mit der rechten Hand wunderbar angeschlagen zu grummelnden Wellen im Bassbereich der linken Hand. Auch das Umgekehrte (und weitaus Schwierigere) führte er mit Brillanz aus: Die Melodie erklang in der linken Hand, während die rechte sich in quirrligen Läufen im oberen Tonbereich austobte. Faszinierend die Passagen mit den überkreuzten Händen, galoppierend und souverän. Keine angezogene Handbremse auch in den vertracktesten Passagen nicht, das floss und sprudelte mit einer Rasanz, die verblüffte.

Auch nach dieser kräfteraubenden Ausführung von Liszts h-Moll Sonate ging der junge Meisterpianist nur kurz von der Bühne und sogleich ging es weiter mit Rachmaninows neun Études-tableaux, op. 39. Bereits im ersten Stück evozierte Levanon quasi einen Nonstop-Klimax von vibrierend auf- und abschwellenden, schnellen Passagen. Er versetzte die Zuhörer in die unterschiedlichen Stimmungen der neun Études-tableaux, setzte gewaltige Klangballungen neben impressionistische Schattierungen (Nr.2), evozierte frenetische Wogen (Nr. 3), charmante, tänzerische Weisen (Nr. 4), leidenschaftliche, tumultuöse Akkordfluten (Nr. 5, der Pianist Swjatoslaw Richter sagte über dieses Stück einmal: „Ich vermeide es, das zu spielen, da es mich emotional komplett nackt erscheinen lässt. Aber wenn du dich entscheidest, es zu spielen, schau, dass du gut genug bist, dich auszuziehen.“). Bei der Nummer 6 hörte man – vehement Einlass begehrend – das Klopfen des Wolfs an der Tür des Hauses der Grossmutter (Rachmaninow hat gegenüber Ottorino Respighi „Rotkäppchen“ erwähnt als Titel für diese Étude). Auch im ärgsten musikalischen Strudel blieb Levanons Spiel transparent und makellos. Wenn die Nummer 5 tumultuös war, so steigern sich die marschartigen Klangballungen mit den Glockentönen in Nummer 7 schon beinahe zur Kakophonie, aber eben nur beinahe, dank der souveränen Technik Levanons, der auch in exaltiertesten Passagen alle Emotion nur aus Handgelenk und Fingern strömen lässt, Körper und Arme bleiben vollkommen ruhig. Nach dieser Aufwallung erklang mit der Nr. 8 eine wehmütige Nachdenklichkeit. Mit der mit glitzernder Leichtigkeit vorgetragenen, kontrapunktisch genial komponierten Nr. 9 ging der offizielle Programmteil frenetisch bejubelt zu Ende.

Der sympathische Pianist ergriff nun das Wort, bedankte sich bei Agenten, Freunden und dem Publikum und spielte als erste Zugabe Liszts Ungarische Rhapsodie Nr. 2 mit einer atemberaubenden pianistischen Brillanz, welche das Publikum endgültig von den Stühlen riss. Die Kombination von gewaltigen Akkordpassagen kombiniert mit fein ziselierten Trillern waren nicht von dieser Welt. Yoav Levanon gleicht äusserlich dem grössten Tastenvirtuosen des 19. Jahrhunderts, Franz Liszt, beinahe aufs Haar – und so passte auch die zweite Zugabe wunderbar zu ihm und zum Programm seines Rezitals. Er spielte eine fulminante Interpretation von Liszts LA CAMPANELLA, diese Étude, die auf dem Schlusssatz von Paganinis zweitem Violinkonzert fusst. Noch einmal erhoben sich alle zum Jubel von ihren Plätzen – und man hofft, dass Levanon bald im grossen Saal zusammen mit dem Tonhalle-Orchester zu erleben sein wird. Wer nicht solange warten will, dem sei sein Auftritt im nächsten Januar im KKL im Rahmen des Festivals LE PIANO SYMPHONIQUE empfohlen; da wird er beide Klavierkonzerte von Franz Liszt spielen, zusammen mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Michael Sanderling.

Kaspar Sannemann 27. September 2023


Yoav Levanon

Zürich

Tonhalle

25. September 2023