Bad Homburg: „Madama Butterfly“, Ukraine National Oper

Am 21. Oktober 2023 wurden die Zuschauer im Bad Homburger Kurtheater Zeugen eines außerordentlich berührenden Abends, als die Ukrainian National Opera aus Kharkiv die tragische japanische Oper „Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini präsentierte. Dieses herausragende Ereignis begeisterte von der ersten bis zur letzten Note und überzeugte mit einer außerordentlich werkgetreuen Inszenierung, atemberaubenden traditionellen Kostümen und einer beeindruckenden Beleuchtung, welche die Zuschauer augenblicklich in die zauberhafte Welt der Oper entführte. Aus deutscher Perspektive mutet es schlichtweg avantgardistisch an, ein solches Streben nach Authentizität und künstlerischer Präzision zu erleben, da heutige Opernbesucher in deutschen Theatern oft vor einem Mangel an visueller Klarheit stehen, der die Identifizierung des aufgeführten Werkes erschwert und zuweilen rätselhaftes Bühnengeschehen offenbart. Hier jedoch schien die wertvolle Gastspieltruppe aus Kharkiv mit beeindruckendem Können und Respekt Puccinis Meisterwerk zu einem höchst bejubelten Erfolg zu führen.

(c) Klassik Konzert Dresden

Bereits beim ersten Öffnen des Vorhangs wurde die Atmosphäre von Exotik und Tradition spürbar. Die prachtvollen Kostüme, die von den Charakteren getragen wurden, waren bis ins kleinste Detail authentisch gestaltet, und die Beleuchtung von Tetyana Aloshina schuf eine magische Atmosphäre, die die Zuschauer unmittelbar in die Welt des historischen Japans versetzte. Eine solch werkgetreue Inszenierung zu erleben, bei der das Stück augenblicklich erkennbar ist, verdient besondere Bewunderung.

Die Regiearbeit von Armen Kaloian zeigte sich überaus gelungen. Die Inszenierung erzählte die tragische Geschichte von „Madama Butterfly“ in einer klaren und nachvollziehbaren Weise, ohne dabei in Übertreibungen oder Kitsch zu verfallen. Sämtliche Charaktere wurden auf eine natürliche und herzergreifende Weise geführt, was zu intensiven emotionalen Momenten und berührenden Charakterdarstellungen führte. Diese subtile Herangehensweise verlieh der Aufführung eine bemerkenswerte Tiefe und Ernsthaftigkeit. Die Bewegungen und Reaktionen der Protagonisten wirkten zu jedem Zeitpunkt authentisch und aus dem musikalischen Geschehen heraus entwickelt.

Musikalisch war dieser Abend ebenfalls eine Offenbarung. Natürlich sind Tournee-Produktionen oft gezwungen, Kompromisse einzugehen und mit begrenzten Ressourcen auszukommen. Dennoch präsentierte sich dieser Abend auch auf musikalischer Ebene stark und bewegend.

Besonders hervorzuheben ist das stimmstarke Ensemble, das die Rollen mit großer Leidenschaft und Hingabe interpretierte. Alle Partien waren ausnahmslos gut besetzt. Nadiia Yeremenko verkörperte eine äußerst eindrucksvolle Cio-Cio-San, die die Tiefe und Verletzlichkeit dieser Figur anrührend zum Ausdruck brachte. Ihre Stimme bewegte sich mühelos zwischen kraftvollen und zarten Tönen und zeigte somit eindrucksvoll die verschiedenen Facetten von Cio-Cio-Sans Charakter. Zu keinem Zeitpunkt schien ihre Stimme gefährdet, und sie beeindruckte durch einen stilsicheren Gesang, der die anspruchsvolle Partie auf emotionale Weise prägte. Ihre eindrucksvolle Bühnenpräsenz resultierte aus ihrer tiefen Identifikation mit der Rolle und ihrer bemerkenswerten Fähigkeit, die italienische Sprache gut zu beherrschen.

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Ihor Bondarenko, ein reifer Lieutenant Pinkerton, verkörperte die zwielichtige Figur des amerikanischen Marineleutnants mit großer Überzeugungskraft und stimmlicher Brillanz. Er präsentierte einen ungewöhnlich kraftvollen Tenor mit einem ausgezeichneten Legato und einer strahlenden Höhe. Es war spannend und ungewöhnlich, in dieser Rolle einen derart kraftvollen Tenor zu erleben, der daher gerade den ersten Akt musikalisch prägte. Auch in seiner kurzen Arie im dritten Akt setzte er einen stimmlichen Glanzpunkt. Viktoriia Zhytkova, in der Rolle der Suzuki, zeigte einen dramatischen Mezzosopran, der dynamisch und nuanciert bestens mit ihrer Partnerin harmonierte. Ihre emotionale Darstellung verlieh der Suzuki viel Charakter. Mykyta Marynchak, der einen zurückhaltenden Sharpless verkörperte, gefiel mit seinem kultivierten Bariton. Sein Rollenkollege Vlodomyr Kozlov, der an diesem Abend als kaiserlicher Kommissar und Yamadori auftrat, fiel mit seiner außergewöhnlichen Stimme und großen Autorität besonders auf, wodurch er seinen beiden kleineren Rollen eine ungewöhnliche Prägnanz verlieh. Mit wuchtiger Stimme und funkelnden Augen zeigte Serhii Zamytskyi als Zio Bonzo einen starken Auftritt. Sergiy Ledenov, in der Rolle des Goro, rundete das Ensemble mit seiner klugen Charakterisierung und seiner schneidenden Stimme ab.

Unter der Leitung von Yurii Yakovenko zeigte das etwa dreißigköpfige Orchester der Ukrainian National Opera eine herausragende Leistung. Die Partitur von Puccini wurde mit Hingabe und Emotion interpretiert, und die Zuschauer konnten sich von den mitreißenden Melodien und den kraftvollen musikalischen Momenten ergreifen lassen. Das Orchester spielte klangschön und befand sich stets in bester Balance mit den Solisten, und auch in den Solopassagen überzeugte es auf ganzer Linie, hervozuheben sind hier die Violine und die Holzbläser. Yakovenko hatte die Partitur hervorragend einstudiert, und der kontinuierliche, natürliche Fluss seiner Interpretation verlieh dem Abend eine ganz besondere Anziehungskraft, die in dieser Form nur selten zu erleben ist. Zu keinem Zeitpunkt hing die Vorstellung durch oder gab es musikalische Unstimmigkeiten.

Die spielfreudige Unterstützung des Chors, der trotz seiner reduzierten Größe durch einen homogenen Klang bestach, sowie die Gesamtleistung des Orchesters trugen maßgeblich zur emotionalen Tiefe und Wirkung dieser Aufführung bei. Das Publikum reagierte mit anhaltendem stehenden Applaus und Jubel, was die Qualität dieser Vorstellung auf eindrucksvolle Weise unterstrich.

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Insgesamt bot die Ukrainian National Opera aus Kharkiv eine glänzende Interpretation von „Madama Butterfly“, die nicht nur die Herzen des Publikums berührte, sondern auch höchstes Lob und Anerkennung verdiente. Diese Aufführung vereinte fabelhafte musikalische Darbietungen, eine emotionale Inszenierung von großer Schönheit und erstklassige Charakterinterpretationen zu einem unvergesslichen Erlebnis. Opernliebhaber sollten diese Produktion keinesfalls verpassen, wenn sich ihnen die Gelegenheit dazu bietet.

Dirk Schauß, 22. Oktober 2023


Madama Butterfly
Giacomo Puccini

Besuchte Vorstellung im Kurtheater Bad Homburg
am 21. Oktober  2023

Gastspiel der  Ukrainian National Opera Kharkiv