Zürich: „Im weissen Rössl“, Shake Company

DER GAUL IST NICHT TOTZUKRIEGEN. Es sind gefühlte 50 Jahre her, seit ich mir IM WEISSEN RÖSSL letztmals auf Tonträger angehört habe (mit Peter Alexander und Waltraut Haas), danach gab es noch eine von mir besuchte Live-Aufführungen (in Luzern) und die Produktion der Geschwister Pfister aus der BAR JEDER VERNUNFT im TV, was aber auch schon wieder weit über 10 Jahre her ist. Und doch: Bei der Wiederbegegnung anlässlich dieser Voraufführung des WEISSEN RÖSSLS durch die Shake Company im Bernhard Theater Zürich hätte ich bei jedem Song mitsingen können – so eingängig und unverwüstlich sind die Schlager, die Benatzky, Stolz u.a. für diese Revue geschrieben haben. Spritzig und frisch kamen sie dann auch gestern Abend daher – dank eines überragenden Ensembles, das dem Schmiss und dem Ohrwurmcharakter dieser Musik nichts schuldig blieb. Schnell distanziert man sich von der etwas gar betulichen Handlung und genießt einfach die einzelnen Nummern und Szenen. Die Texte wurden leicht aufpoliert, dezent zwar, aber das ging in Ordnung so, denn man wollte das Zielpublikum (Ü 70) wohl nicht allzu sehr mit deftigen Anzüglichkeiten provozieren.

(c) Shake Company

DIE KUH IM BREAKDANCE-TAUMEL. Das schlichte, aber funktionalen Bühnenbild von Roman Fischer zeigt links den Balkon des besten Zimmers im Rössl und im Hintergrund einen von Schnee und Eis bedeckten Berg mit Kletterseilen. Dieser Berg kann sich öffnen – darin befindet sich der Kushstall, in welchen Leopold den Rivalen Dr.Siedler (sehr einnehmend in Gesang und Spiel: Flavio Dal Molin) und Ottilie (erfrischend: Marianne Curn – da kein Besetzungszettel verfügbar war, bin ich mir wegen der Namen der entsprechenden Rollendarstellerinnen nicht ganz sicher) zu ihrem ersten Rendez-vous lockt. Vor dem großen Liebesduett (Die ganze Welt ist himmelblau – mit herzförmigen Wölkchen am Himmel) geben jedoch vier Sänger ihr Muh-Quartett zum Besten. Das ist einmalig gut gemacht: Fantastisch gesungen, witzig choreografiert und wenn dann die fünfte Kuh (der wunderbare Lavdrim Xhemeili), die zuvor aus dem Hintergrund schon flapsige Kommentare abgegeben hat, sich vorne zu einem regelrechten, akrobatischen Breakdance auf den Boden schmeisst, gibt es kein Halten mehr. Von da an gewinnt dieses „Rössl“ definitiv an Tempo und Witz. Ganz herrlich gerät das Unwetter mit dem Tanz der gelben Regenschirme, danach wird gar noch „Nach em Rägä schint d’Sunne“ angestimmt und das weisshaarige (oder glatzköpfige) Publikum ist glücklich. Der Oberkellner Leopold (fantastisch gesungen vom ehemaligen Wiener Sängerknaben Matthias Liener) schmeisst wegen der für seine Blumen und Avancen unempfindlichen Wirtin Josepha (herrlich kratzbürstend Susanne Kunz) den Bettel hin und will vom Salzkammergut in den Aargau auswandern, der Ur-Berliner Gieseke, der lieber Eisbein als Backhendl speist, gewöhnt sich mit Müh‘ und Not an die Krachlederne (urkomisch und fast wie echt berlinernd: Mario Gremlich). So steigert sich mit einer Kombination aus Schuhplattler, Can-Can und Jodel (umwerfend komisch und zugleich versiert jodelt Yael de Vries als Kathi, die auch mit ihrem frechen Mundwerk zu manchem Schmunzeln verführt) die Turbulenz zu einem ersten Höhepunkt am Ende von Teil eins.

VON MOZART ZU RAY CHARLES. Die Einstimmung zum zweiten Teil erfolgt mit Mozarts g-Moll Sinfonie KV 550 (die vier MusikerInnen der Combo beweisen ihre enorme stilistische Vielseitigkeit, untermalen die Szenen mit Piano, Geige, Kontrabass und Akkordeon überaus stimmungsvoll). Nun treten auch die letzten Protagonisten auf: Professor Hinzelmann und seine Tochter Klärchen aus Illnau-Effretikon (!) führen sich mit Ray Charles Hit the Road Jack ein (wunderbar der mit accent fédéral hochdeutsch daher plappernde Fabio Romano und mit Luegid vo Bärg und Tal punktend und seine lispelnde Tochter, gespielt von Victoria Sedlacek). In der Eisenbahn (sie nehmen gerne den Bummelzug) haben sie noch den schönen Sigismund kennengelernt (Reto Mosimann spielt ihn umwerfend eingebildet). Erwähnen muss man unbedingt auch den vielseitig eingesetzten Nico Jacomet (wunderbar als Piccolo, aber auch in vielen Ensembleszenen). Natürlich wartet man gespannt auf den Auftritt des Kaisers Franz (nicht des Fußball Kaisers, denn Leopold mag keinen Fußball, sondern der von Sisi). Er kommt dann auch und trägt die ganze Zeit einen Bilderrahmen vorm Gesicht, nun ja, eigentlich ist er schon tot, aber als Deus ex machina taugt er natürlich in einer Revue allemal. In der Rolle wechseln sich im Verlauf der Aufführungsserie bis zum 31. Dezember Victor Giacobbo, Hanna Scheuring, Kamil Krejčí und Christian Jott Jenny ab. In der gestrigen Voraufführung war die Reihe nun an Christian Jott Jenny, dem Tenor, der auch Gemeindevorsteher von St. Moritz ist. Sein Auftritt hätte etwas pointierter ausfallen können, das hatte eindeutig zu wenig Biss.

Ansonsten hat der Regisseur und Choreograf der Produktion der Shake Company, Martin Schurr, hervorragende Arbeit geleistet, das hatte über weite Strecken gerade die richtige Melange und das perfekte Timing aus Revue, Slapstick und Schwank, gepaart mit herausragenden gesanglichen Leistungen. So alle 20 Jahre kann man gerne mal IM WEISSEN RÖSSL einkehren.

Kaspar Sannemann 31. Oktober 2023


Im Weissen Rössl
Zürich
Bernhard Theater

29. Oktober 2023

Shake Company