Wien: „Das Tagebuch der Anne Frank“, Grigori Frid

Ein musikdramatischer Beitrag gegen den Antisemitismus – unter Polizeischutz!

Nach einer Ansprache und Dankesworten des neuen israelischen Botschafters David Roet in Wien, die von Vertretern der israelischen Botschaft vorgetragen wurden, fand am 7. Nov im Porgy&Bess in Kooperation mit dem „Musiktheater Wien“ die bewegende Premiere von Grigori Frids Kammeroper „Das Tagebuch der Anne Frank“ in einer packenden Inszenierung von Bruno Berger-Gorski mit israelischen Künstlern statt.

Der international arbeitende Regisseur Bruno Berger-Gorski setzt sich als Künstlerischer Leiter des Vereins „Musiktheater Wien“ seit Jahren für die Wiederentdeckung von selten gespielten Werken ehemals als „entartet“ bezeichneter Komponisten wie z.B. Kurt Weill und für zeitgenössische israelische Komponisten ( E. Milch-Sheriff, Josef Tal) ein. Er arbeitet immer wieder mit jungen israelischen Künstlerinnen und Künstlern, da er auch regelmäßig in Tel Aviv inszeniert, wo es neben der großen Oper kaum eine Chance für junge Sängerinnen und Sänger gibt, sich zu entwickeln.

Zuletzt inszenierte Berger-Gorski in Wien die vielbeachtete Uraufführung einer Kammeroper des Wiener Roma-Komponisten Adrian Gaspar über die Wiener Künstlerin und Holocaust-Überlebende Ceija Stoijka und die Roma-Dichterin Bronislawa ‘Papusza’ Wais, die ebenfalls als Kooperation mit dem Porgy&Bess stattfand.

Mit der jungen israelischen Sopranistin Miriam Hajiyeva erlebte das Publikum eine berührende Darstellerin der Anne Frank, welche nicht nur optisch überzeugte, sondern die stimmlich und darstellerischintensive Rolle mit ihrem höhensicheren Sopran, perfekter Diktion und packendem Spielideal verkörperte.

Miriam Hajiyeva – (c) Porgy&Bess / Musiktheater Wien

Miriam Hajiyeva zog das Publikum in ihren Bann und stellte in 21 aufeinander folgenden Szenen die unterschiedlichsten Lebenssituationen der Anne Frank in sich optisch wie akustisch kontrastreich voneinander abhebenden Bildern dar. Sie überzeugte mit ihrer Bühnenpräsenz in den dramatischen Situationen und in den Visionen der Angst, in denen ihre Blicke das Publikum glauben ließ, dass die Gestapo unter dem Bühnenboden das Geschehen mitverfolgte. Die Inszenierung übersetzte die Partitur minutiös genau ins Spiel, in Mimik und Gestik. Hajiyeva überzeugte im genau getimten abgehetzten Versteckspiel mit stummen Schreien, aber auch in ihrer berührend inszenierten Darstellung des ersten Liebeserwachen als 15-jährige Anne Frank. Berger-Gorski schuf einen imaginären Licht-Raum (Licht-Design Alaa Alkurdi), der sich vom mondbeleuchteten Dachboden zum klaustrophobisch engen Raum entwickeln konnte. Miriam Hajiyeva wurde vom israelischen Pianisten Almog Aharoni sensibel am Klavier begleitet, der die schwierige Partitur mit solcher Brillanz interpretierte, dass die komponierten marschierenden Truppen, aber auch die romantischen Nachtstimmungen und im Finale die SS-Suchtrupps förmlich sichtbar wurden.

In dem minimalistischen Raum, der den Dachboden in Amsterdam nur durch klug gesetzte Lichteffekte und einen Stuhl mit Koffern andeutete, zwang der Regisseur das Publikum durch das intensive Spiel sich immer mehr in die Tiefen der Depressionen und Angstzustände der historisch gekleideten Anne Frank (Kostüm: Christine Böhm-Mayerhofer) einzulassen. Grigori Frids Komposition gelingt es, die 21 Szenen deutlich voneinander abzusetzen und durch vielfältige musikalische Farben die Zuschauer förmlich in die verschiedenen Erlebnisräume hineinzuziehen. Man hört das Knarren der Stufen genauso wie den Atem der sich versteckenden Familien oder die Gestapo, die das Treppenhaus hinaufkommt und am Ende tatsächlich eintritt. Berger Gorski gelingt in seiner psychologisch ausgefeilten Personenführung ein Theaterabend, der unter die Haut geht.

Im Anschluss zitierten Jugendliche die gehörten Original-Texte der Anne Frank auf der Bühne und Berger-Gorski lud den Wiener Oberkantor Shmuel Barzilai ein, gemeinsam mit dem jungen Roma-Klarinettisten Sleagan Jurj und dem Pianisten Almog Aharoni das „Ani Ma’Amin“ von A.D. Fastag zu singen – eine passende dramaturgische Verknüpfung, da Fastag ebenso wie Anne Frank im KZ starb und seine Musik wie ihre Texte unsterblich ist.

Gunhild Kranz, 17. November 2023

Mit besonderem Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Das Tagebuch der Anne Frank
Kammeroper von Grigori Frid

Porgy&Bess in Kooperation mit dem „Musiktheater Wien“

Premiere am 7. November 2023

Regie: Bruno Berger-Gorski
Pianist: Almog Aharoni