CD: „Franz Schmidt“, BBC National Orchestra of Wales

Die vorliegende Gesamteinspielung der Sinfonien von Franz Schmidt, präsentiert von Jonathan Berman und dem BBC National Orchestra of Wales für das Label Accentus Music, ist zweifellos ein bemerkenswertes künstlerisches Unterfangen. Diese Aufnahme markiert nicht nur das Debüt von Berman als Dirigent für das Label, sondern auch eine Hommage an den österreichisch-ungarischen Komponisten Franz Schmidt anlässlich seines 150. Geburtstags im Jahr 2024. Franz Schmidt war ein Schüler von Robert Fuchs, Anton Bruckner und Theodor Leschetizky und ein bedeutender Vertreter der spätromantischen Musik. Seine vier Sinfonien zeugen von einer reichen melodischen und harmonischen Vielfalt, einer meisterhaften Beherrschung der Form und einer tiefen emotionalen Ausdruckskraft. Jonathan Berman und das BBC National Orchestra of Wales setzen hier neue Maßstäbe, indem sie jedes Werk mit Präzision, Leidenschaft und klanglicher Raffinesse interpretieren. Mit der Eröffnung der majestätischen Sinfonie Nr. 1 in E-Dur ist ein kraftvoller Auftakt gegeben, bei dem Berman das Orchester geschickt führt und die dynamischen Kontraste trefflich ausarbeitet.

Die subtile Klangpalette des BBC National Orchestra of Wales kommt besonders in den lyrischen Passagen der Sinfonie zum Tragen, und die fein abgestimmte Balance lässt die Strukturen von Schmidts Komposition lebendig werden. Das Werk, das 1899 vollendet wurde, ist das konventionellste der vier und zeigt den Einfluss von Wagner, Schumann und Brahms. Die Sinfonie Nr. 2 in Es-Dur wird von Berman mit einer ebenso klugen Handhabung der Form und Ausdruckskraft präsentiert. Hier zeigt sich das Orchester in Topform, wobei die Streicher, Bläser und das Schlagwerk in harmonischem Einklang klangliche Pracht erzeugen. Besonders markant ist die Interpretation der langsamen Sätze, in denen Berman die emotionale Tiefe einfängt, ohne dabei die strukturelle Integrität der Musik aus den Augen zu verlieren. Die Sinfonie Nr. 2, die 1913 entstand, ist deutlich chromatischer und harmonisch kühner als die erste und zeigt Schmidts Originalität in der Variationstechnik. Die Sinfonie Nr. 3 in A-Dur wird von Berman und dem BBC National Orchestra of Wales mit großer Sensibilität und Ausdruckskraft vorgetragen. Klangliche Schattierungen und kontrapunktische Elemente von Schmidts Kompositionen gelangen voll zur Geltung. Die dynamischen Übergänge sind geschickt gestaltet, und die orchestrale Präzision sorgt für ein beeindruckendes Hörerlebnis. Das Werk, das 1927-29 komponiert wurde, ist vielleicht das heiterste (und die am sparsamsten instrumentierte) der vier und wurde mit einem Preis der Columbia Gramophone Company of New York ausgezeichnet, weil es „im Geiste von Schuberts unvollendeter Sinfonie“ geschrieben sei. Die Sinfonie Nr. 4, die 1932-33 geschrieben wurde, ist allgemein als Schmidts Meisterwerk anerkannt. Sie ist ein Requiem für seine Tochter Emma, die im Kindbett starb und ihn in eine tiefe Depression stürzte. Die Sinfonie ist in einem durchgehenden Satz gehalten, der von einem langen Trompetensolo eröffnet und beschlossen wird. Das Düstere der Musik wird von Berman einfühlsam eingefangen. Die bedrohlichen Klänge und die dramatischen Entwicklungen werden mit einer stimmigen Balance zwischen Spannung und Entladung präsentiert. Das BBC National Orchestra of Wales zeigt hier seine Fähigkeit, auch die anspruchsvollsten Passagen mit beeindruckender Präzision und emotionalem Engagement zu meistern. Die Zugaben mit dem „Intermezzo“ und der „Karnevalsmusik“ aus der Oper „Notre Dame“ runden die Gesamtaufnahme ab. Diese Werke bieten einen faszinierenden Einblick in Schmidts Fähigkeiten als Opernkomponist, und die Interpretation durch Berman und das Orchester unterstreicht die Vielseitigkeit von Franz Schmidts musikalischem Schaffen. Die Oper „Notre Dame“, die 1904-06 entstand, basiert auf dem berühmten Roman von Victor Hugo und ist ein farbenreiches und dramatisches Werk, das Schmidts Liebe zum französischen Impressionismus zeigt.

Die Sinfonien von Franz Schmidt sind Meisterwerke der spätromantischen Orchesterliteratur, die eine hohe Anforderung an die technische und klangliche Kompetenz des Orchesters stellen. Das BBC National Orchestra of Wales unter der Leitung von Jonathan Berman meistert diese Herausforderung mit Bravour und präsentiert eine Gesamteinspielung, die in jeder Hinsicht überzeugt. Das Orchester zeigt sich in den lyrischen Passagen als äußerst sensibel und nuanciert, während es in den energiegeladenen Momenten eine beeindruckende Durchschlagskraft und Brillanz entfaltet. Die Holzbläser und Blechbläser tragen mit ihrem farbenreichen und ausdrucksstarken Spiel zur Vielfalt der Musik bei, und das Schlagwerk sorgt für die notwendige rhythmische Präzision und dramatische Akzente. Das Orchester versteht es, die subtilen Schattierungen und Kontraste von Schmidts Kompositionen packend herauszuarbeiten und die Klangpalette in ihrer gesamten Bandbreite zu nutzen. Dies verleiht den Sinfonien eine klangliche Tiefe und emotionale Intensität, die den Hörer von Anfang bis Ende fesseln. Das Orchesterspiel wird durch das hervorragende Dirigat von Jonathan Berman noch weiter veredelt. Berman beweist eine klare und präzise Interpretation, die dem Orchester Raum gibt, um die musikalischen Nuancen auszuarbeiten. Gleichzeitig verliert er jedoch nie den Überblick über die Gesamtstruktur der Werke, was zu einer ausgewogenen und gut durchdachten Aufführung führt. Bermans Engagement für die Musik von Franz Schmidt ist spürbar, und diese Leidenschaft überträgt sich auf das Orchester. Sein Dirigat ist differenziert und einfühlsam, wodurch er die emotionale Tiefe von Schmidts Werken effektiv hervorhebt. Die subtilen Schattierungen der Dynamik, die sorgfältig ausgearbeiteten Tempowechsel und die geschickte Balance zwischen den Instrumentalgruppen tragen zu einer Interpretation bei, die gleichermaßen einfühlsam wie kraftvoll ist. Berman versteht es, die musikalische Sprache von Franz Schmidt mit Feingefühl zu interpretieren und dabei gleichzeitig die strukturelle Klarheit zu wahren. Diese Gesamteinspielung der Sinfonien von Franz Schmidt ist eine wertvolle Bereicherung für die Diskografie des Komponisten und eine lohnende Entdeckung für alle Liebhaber der spätromantischen Musik. Jonathan Berman und das BBC National Orchestra of Wales haben sich mit dieser Aufnahme als hervorragende Interpreten von Schmidts Musik erwiesen und verdienen dafür besondere Anerkennung. Diese Aufnahme rückt das Werk eines zu Unrecht vernachlässigten Komponisten wieder deutlich ins Licht.

Dirk Schauß, 8. Dezember 2023


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