Bratislava: „Carmen“, Georges Bizet

In einer knappen Stunde nur ist man von Wien in der slowakischen Metropole in der enormen Tiefgarage unter dem Opernhaus und Einkaufszentrum. Man hat jede Menge Lokale im Umkreis, in der Oper sieht und hört man von jedem Platz gut – man sollte diese – sehr einfache -Möglichkeit viel öfter nutzen (auch mit der Bahn gibt es zahlreiche Verbindungen). Die Relation „Preis“ – „Leistung“ fällt eindeutig zu Gunsten des slowakischen Institutes aus.

Am Pult dieser Reprise stand eine junge Dame, Zuzana Kadlcikova, die eine famose Leistung bot, exakte Einsätze gab und – bis auf ganz wenige etwas langsame Passagen – eine animierte Wiedergabe der Partitur realisierte. Auf hohem Niveau agierte dabei das Orchester des SND (Slovenske Narodne Divadlo), sehr aufmerksam folgend. Ebenso klanglich präzise der Chor des SND, dessen Chefin die seit 2021 ans Haus engagierte Tschechin aus Hradec Kralove ist.

(c) Marek Olbrzymek

Carmen war die zierliche Monika Fabianova, eine erfahrene, routinierte slowakische Sängerin, deren nicht allzu großer Mezzo jedoch immer mit Geschmack und guter Technik eingesetzt wurde. Sie teilte sich die Partie gut ein und konnte eine stetig steigernde vokale Leistung bieten, wo ihr die Brusttöne in der Kartenarie ebenso gut gelangen, wie die mit kräftigen Höhen gewürzte Schlußszene – brava! Diese war auch dank ihres Partners der Höhepunkt des Abends: der Italo-Belgier Mickael Spadaccini war mit seinem kräftigen, bronzenen Spintotenor ein exzellenter Don Jose! Neben dem mitreißenden Schluss Duett prunkte er mit voluminösen Höhen und totalem Einsatz speziell im dritten Akt – nicht nur vokal! Er sprang und rollte sich in Stuntman-Manier über die Bühne, dass einem der Atem stockte. Bei „La fleur“ und dem Duett mit Micaela demonstrierte er auch seine Fähigkeit, die Stimme zurücknehmen zu können. Dieselbe – Lenka Macikova mit lieblicher Bühnenerscheinung und angenehmem lyrischen Sopran, der nur in der unteren Lage noch ein wenig kräftiger werden könnte – brachte Suppe von der Mutter, die offenbar nicht weit entfernt wohnen dürfte, denn sonst wäre sie wohl kalt geworden: sie brachte Teller mit und schöpfte aus dem mitgebrachten Topf , die sie und Jose brav auslöffelten.

Der Regisseur dürfte gerne essen, denn beim Schmugglerquintett wurden von Frau Lilllas Pastia (Margot Kobzova) und den Solisten doch tatsächlich auf einem hereingeschobenen Herd Palatschinken herausgebruzzelt : der Geruch zog sich durch die Reihen…. Aber – noch  – zurück zum Musikalischen: Daniel Capkovic sang den Escamillo mit kräftigem Bariton, aber zu wenig Differenzierung; hingegen eine Luxusbesetzung war Terezia Kruzliakova mit üppigem, gut geführten Mezzo! Andrea Vizvari (Frasquita) steuerte einige gelungene „acuti“ bei, die restlichen Comprimarii boten ordentliche Leistungen.

(c) Marek Olbrzymek

Zwei „Stimmungsbremser“ dieses musikalisch erfreulichen Abends müssen nun doch auch angesprochen werden! Zum ersten war dies die mir völlig unverständliche Reduzierung auf die musikalischen Nummern: also, es gab weder die Prosatexte noch die Rezitative! Ich habe so etwas noch nie erlebt. Es kam dadurch zu sehr abrupten „Themenwechsel“ und der „Fluß“ des Ablaufes war empfindlich gestört. Zum zweiten die sich wenig um das Textbuch scherende Regie des Tschechen Lubor Cukr. Andauernd kreuzen auf der Bühne Personen auf, die laut Handlung nichts dort zu suchen hätten: Micaela irrt fast andauernd herum und Escamillo wird zu einem Art „Handlungsvorantreiber „hochstilisiert. Im Finale dreht Cukr die Arena praktisch um: das Volk sieht von hinten nicht dem Stierkampf zu, sondern Carmen und Don Jose werden von Escamillo vis a vis an einem Tischchen platziert, mit verbundenen Augen, auch Micaela wird dazugesetzt, ebenfalls mit Augenbinde. Das alles, nachdem die ganze Solistenriege durch den Zuschauerraum von rechts nach links paradierte – das Publikum dazu im Takt das Thema des Toreroliedes mitklatscht Da kam „Stimmung“ auf, zwar eher einer Karnevalssitzung angemessen, aber bitte.

(c) Marek Olbrzymek

Zu Beginn des Finalduettes legen Carmen und Jose ihre Augenbinden ab, und scheinen sich auf „Dancing stars“ vorzubereiten: zuerst mit gehörigem Abstand, müssen sie Tanzschritte mal zur Seite, mal nach vorne absolvieren, dann geht’s a la Tango weiter, Jose drückt Carmen an sich und es geht ein paar Tanzschritte vor, dann wieder zurück – und das alles zu der hinreißenden, glühenden Musik des Georges Bizet!! Gott sei Dank wird’s den beiden dann offenbar doch zu bunt (oder zu anstrengend, denn soo leicht zu singen ist das Ganze ja nicht!) und sie lösen sich von dem unnatürlichen Schnickschnack und agieren so, wie sie auch schon sangen: großartig, mit Ausdruck, Herz, totalem Einsatz!

Da reißt sich auch Micaela die Augenbinde runter, schaut zu – und reicht Don Jose das Messer , mit dem er dann Carmen ersticht! Escamillo sieht sich das Ganze auf einem Sessel sitzend genüsslich an, und Micaela zieht sich ihren lichtgrünen Übergangsmantel aus, darunter ein weißes Abendkleid, und streckt triumphierend den Arm empor?  War sie und Escamillo vielleicht das „böse Paar“,egal, sinnlos darüber zu sinnieren. Hätten es Meilhac und Halevy so gewollt, hätten sie es auch so geschrieben! Über weiteres zu berichten, lohnt sich nicht, der Chor wurde in ungemein hässliche Kostüme gesteckt, ein farbiges Sammelsurium von Schürzen, kurzen Hosen, Hauptsache die armen Chormitglieder sahen möglichst unmöglich aus. Und Bewegungen mußten sie hauptsächlich im Kollektiv machen – lächerliches Herumtanzen wie bei einer Parodie. Schade!

(c) Marek Olbrzymek

Bratislava hat auch sehr viele sinnvolle und schöne Produktionen anzubieten – diese sollte man schleunigst entsorgen und die vorherige des Theaterpraktikers Marian Chudovsky (noch im alten Opernhaus) adaptieren!  Trotzdem musikalisch ein positiver Abend!

Michael Tanzler, 30. Dezember 2023

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Carmen
Georges Bizet

Slowakisches Nationaltheater, Bratislava

28. Dezember 2023

Regie: Lubor Cukr
Dirigat: Zuzana Kadlcikova
Orchester des SND