München: „Die Liebe der Danae“, Richard Strauss

Sie singt – man kann es nicht anders ausdrücken – wie ein hochmusikalisches Goldkehlchen. Sie steht in der Titelpartie der Oper auf der Bühne eines Hauses, in dem der Komponist wie sonst nur noch Richard Wagner zuhause war und ist. Mit einem Wort: Sie hat eine silbergoldene Strauss-Stimme par excellence. Umso schöner, dass man sie nun als Danae erleben darf, zumal das Werk seit seiner Salzburger Generalprobe im Jahre 1944 bislang nur 19mal inszeniert wurde, darunter in Santa Fe, Garsington und an der University of Southern California in Los Angeles, doch niemals in Wien, Hamburg, Zürich, Venedig undundund. Strauss’ Die Liebe der Danae blieb eine seltene Erscheinung an den Opernhäusern der Welt; schon deshalb sollte die First Lady von Straussens vorletzter Oper erstrangig besetzt werden.

© Monika Rittershaus

In München, wo die Oper am häufigsten neuverwandelt auf die Bühne kam, geschah in der vierten Inszenierung das Wunder: mit Malin Byström. Ihr Goldsopran schillert und lockt in allen Farben, bezaubert den Hörer und macht die Figur erst verständlich. Die Grundidee des Werks stammte von Straussens bestem Librettisten, das finale Textbuch wurde nach langen wie quälenden Kampfjahren mit Strauss von Joseph Gregor verantwortet, der Hofmannsthals Grundidee übernahm und mit Hilfe mehrerer Reinredner und -schreiber erweiterte: Die gut Hoffmannsthal‘sche Verwandlung der goldliebenden und männermeidenden Königstochter, die sich in der Begegnung mit dem armen Schlucker Midas in einen liebenden Menschen verwandelt, ist ja, betrachtet man sie rational, zunächst nur als Märchen zu verstehen. Gregor und Strauss aber machten aus dem Motiv eine zutiefst nachvollziehbare Geschichte der Liebe, die vor allem an Danae hängt – und also muss Danae auf der Opernbühne zum Menschen werden, in dem die Utopie des Übergangs bewahrt ist. Malin Byström, die in der Premierenvorstellung noch durch Manuela Uhl ersetzt werden musste, glauben wir jedes Wort, auch wenn wir nicht alle Worte verstehen. Sie empfängt am Ende den Jubel eines Publikums, das von der deutlichen Interpretation des Strauss’schen Spätwerks überwältigt ist – und da Die Liebe der Danae untrennbar mit der Geschichte des abschiednehmenden Jupiter verknüpft ist und die Partie die schwerste Männerpartie ist, die der Komponist je geschrieben hat (die Oper hätte fast auch Jupiters letzte Liebe heißen können, wie Strauss seinem Texter schrieb), muss auch der Gott, der, gut wagnerisch, nichts weiter als ein Mensch ist, exzellent besetzt werden. Christopher Maltmann schafft die ungeheuren und himmlischen Längen seiner Partie nicht bloß mit Anstand, sondern absolut souverän: vom majestätischen Auftritt über den impulsiven Ausbruch am Ende des 2. Akts bis zum heiter-elegischen Finale des Abschieds, in dem nur wenige Zeilen dem Rotstrich zum Opfer fielen. Strauss war, so anspruchsvoll auch seine Partien sind, immer ein Sängerkomponist; mit Byström und Maltmann findet er seine vollkommenen Interpreten, die das Publikum erst entzücken, dann bannen, schließlich zum Rasen bringen – so wie der Dritte im Bunde. Andreas Schager ist ein Midas, der verstehbar macht, wieso sich Danae in diesen Mann verliebt: kraftvoll und lyrisch, deklamatorisch sicher und doch schwelgerisch in seinem Ton, und – bei Schager bekanntlich selten zu erleben – von kontrollierter Zartheit. Riesenapplaus also auch für den Tenor, der die perfekte stimmliche Ergänzung zu Maltmann bietet; einmal singen sie ja, als der Gott und sein Knecht, im Duett.

© Monika Rittershaus

Die vierte Hauptrolle spielt, wenn man so will, das Orchester, aber auch die vier Königinnen, die, wie die Rheintöchter, stets nur im Paket auftreten, werden in München erstrangig besetzt. Ihrem flamboyanten und elegant wie witzig differenzierten Äußeren entspricht das Quartett der Stimmen, die doch in den Ensemblestellen schlackenlos zusammenklingen: Sarah Dufresne als Semele, Evgeniya Sotnikova als Europa, Emily Sierra als Alkmene und Avery Amereau als Leda. Das Tändeln mit dem verflossenen Gott, mit dem sich Strauss den Traum einer operettenhaft angehauchten „heiteren Mythologie“, den er schon bei der schweren wie im Allgemeinen maßlos unterschätzten Ägyptischen Helena träumte, wenigstens ansatzweise erfüllte, dieses Tändeln wird von den vier Damen mit sichtlichem Spaß und großer Stimmkompetenz über die Rampe gebracht, bevor es bei Strauss und bei Guth ans sogenannte Eingemachte geht. Denn Die Liebe der Danae enthält ebenso viel Humor und Esprit wie melancholisch-abgeklärte, um nicht zu sagen: enttäuschte Abschiedssehnsucht.

Gewiss: Man muss aus dem Finale, dem Abschied Jupiters von „seinen“ Menschen, ausdrücklich auch von Europa (dem Europa, wie Strauss es kannte und schätzte), keine Semitragödie machen, aber Straussens delikate Musikdramaturgie enthält genügend Ansatzpunkte, um den Schluss in ein dunkles Licht zu tauchen. Dazu bedarf es nicht einmal des ersten im Stück auftretenden Motivs der kompromisslosen Goldgier und der gegenläufigen Abkehr vom Mammon durch die Liebe. Jupiters Abschied, heiter versinnbildlicht im köstlichen Souper mit den Damen, versonnen realisiert im langen Schlussgespräch und Monolog, ist echte Spätzeitmusik, deren letzte Takte im Jahre 1940 komponiert und 1944, kurz nach dem 20. Juli und bevor auch in den deutschen und österreichischen Theatern alle Lichter ausgingen, uraufgeführt wurden (die Generalprobe war für alle Anwesenden die eigentliche Premiere, und wie auch nicht?). Die „heitere Resignation“ des Jupiter, wie Strauss das nannte, klang 1944 zweifellos anders als 1940, doch hat sich Strauss, wie immer man auf seine Existenz zwischen 1933 und 1945 schauen mag, schon während der ersten Jahre des NS-Regimes wie ein von der Zivilisation abschiednehmender Mann aus der alten Zeit gefühlt. Die Liebe der Danae enthält also nicht allein das Hofmannsthal‘sche und Wagner‘sche Motiv des Widerspruchs von Macht und Minne, Gold und (echtem) Gefühl, auch das des während der Arbeit am Libretto hinzugekommenen der „nahenden“ und „griechischen Götterdämmerung“, wie Strauss schon 1938 bemerkte. Lizenz genug, mit all diesem Wissen um die Entstehungsumstände des Werks in den letzten, sowieso schon ergreifenden Schlusstakten der Oper, mit der Strauss, bevor er mit Capriccio noch eine dramatisierte Abhandlung über Wort und Musik nachreichte, die Welt von 1945 und Strauss selbst ins bewegte und vor allem: bewegende Bild zu bringen. Man müsste so versteinert sein wie der Kaiser in der Frau ohne Schatten, also im Schwesternwerk der Danae, um am Ende der Münchner Neuinszenierung nicht ein Tränchen laufen zu lassen. Zu den satten Streicherkantilenen und gedämpften Ektasen, wie nur der Altmeister sie komponieren konnte, sehen wir sowohl die grauenhaft zertrümmerte Stadt München – auch die Ruine des Nationaltheaters, in dem wir gerade sitzen – und den alten, freundlich lächelnden Mann, der im Sonnenschein durch seinen Garmischer Garten geht. Und Maltmann als Wotan-Jupiter-Gott-Menschenschöpfer singt seine letzten Worte, bevor uns die letzten Menschen, an der Rampe aufgereiht wie die Überlebenden in Patrice Chéreaus Götterdämmerung-Inszenierung, stumm anschauen: „Er sieht noch einmal / aus scheidender Wolke/ Die er schuf, die Gärten, / Die er liebt, die Menschen – / Und des Gottes Auge / Leuchte euch milde, / Leuchte sein Segen, sein Dank!“

Ein bewegtes, bewegendes Bild sagt immer mehr als tausend Worte, die einen Diskurs über den Zusammenhang von Politik und Kunst ja nicht ersetzen, aber emotional wie intellektuell befeuern können. Wer wissen will, was ein Gänsehautmoment ist, darf also, falls er nicht dabei war, auf eine Wiederaufnahme in der übernächsten Spielzeit hoffen.

© Monika Rittershaus

Ansonsten bieten Claus Guth, sein kongenialer Ausstatter Michael Levine und die Kostümbildnerin Ursula Kudma zusammen mit dem Team rocafilm sowie dem Lichtmeister Alessandro Carletti auf der Breitwandbühne ein opulentes wie hochkonzentriertes Opern-Gesamtkunstwerk, das in seiner Mischung aus Kritik und Emphase dem Werk überaus gerecht wird: beginnend mit einem Vorspiel-Fotoshooting der betont „schicken“ Danae, vom Gläubigerbild, mit einem als Trump maskierten, neureichen Protz, welcher der Szene eine kabarettistische Bedeutung verleiht (passend dazu: der goldene Jumbo Jet, der einen Goldregen von Abgasen hinter sich lässt), über die Konfrontation von Jupiter, Danae und Midas am neobarocken Goldbett zur desaströs abgewrackten Kriegswelt des Schluss(!)-Akts, mit dem sich die New Yorker und / oder Frankfurter Geschäftswelt des Eingangsbildes ins Zerstörte transformiert hat. Doch gerade dies ist der „traute Raum“, in dem Danae mit ihrem nur äußerlich armen Midas ein menschenwürdiges Leben führt: solidarisch mit den Opfern einer völlig fehlgeleiteten Politik, die im Kern an jenem Geld haftet, nach dem die Gläubiger dieser Welt nach wie vor gieren. Um dies zusammen mit Wagner, Strauss, Hofmannsthal, Gregor und Guth festzustellen, muss man kein „linker Spinner“ sein. So betrachtet, bietet die Produktion eine Zustandsbeschreibung, die, ausgestattet mit den realen Bildern der Vergangenheit und der Gegenwart, den Strauss’schen Pessimismus zu Ende denkt. Die Musik ist da kein Widerspruch, sondern eine elegische Entsprechung, auch wenn das ehemalige und nun stark beschädigte Großraumbüro für manchen Zuschauer wie ein typisches Bestandteil des inkriminierten „Regietheaters“ aussehen mag. Am Ende aber herrscht im Haus nur eines: sehr langer Jubel, auch über die Ernsthaftigkeit wie den verspielten Charme, mit der das Regieteam das dramaturgisch und musikalisch komplexe wie lang unterschätzte Werk – warum denn spielt man es nur so selten? – realisiert (dass die im zwischenzeitlich erleuchteten Zuschauerraum direkt adressierten Besucher, die sich eine hochpreisige Eintrittskarte leisten können, als Nutznießer des Opern-Luxus selbst gemeint sind, gehört zu den unauflösbaren Widersprüchen einer Regie und ihrer Zuschauer, die aus dem Zusammenhang von Kritik und Affirmation natürlich nicht herauskommen).

© Geoffrey Schied

Natürlich kann Die Liebe der Danae nur dann verwirklicht werden, wenn ein Strauss-Orchester von der Qualität des Bayerischen Staatsorchesters und ein hervorragender, von Christoph Heil einstudierter Chor wie der Chor der Staatsoper zur Verfügung steht, der die Gläubiger-Szene aus dem Effeff beherrschen muss. Sebastian Weigle dirigiert einen Strauss at its best: süffig und abgewogen, das Geflecht der raffiniert variierten Motive lustvoll darbietend, dramatisch packend (manchmal kracht’s, wie beim donnernden Untergang der göttlichen Hoffnungen und menschlichen Wohnungen am Ende des 2. Akts) und lyrisch-zart, ganz nach Gelegenheit. Damit ist er d’accord mit seinen Sängern, unter denen zuletzt noch der König Pollux des Vincent Wolfsteiner und der Merkur des Ya-Chung Huang genannt werden müssen, auch die namenlose Statistin, die sich, das ist sehr witzig, während Jupiters amourösen Abenteuern gleichsam vom Himmel, dem Laufsteg unterhalb des oberen Bühnenrandes, rauchend und ein wenig belustigt die letzte scheiternde Eskapade ihres Göttergatten anschaut, bevor er als „Alter im Burnus“ denn doch „das Ende“ erlebt, das ihn auch deshalb adelt, weil er noch kurz davor in Versuchung kam, im menschlich-göttlichen Zorn eines erfolglosen Liebhabers das Objekt der Begierde hinterrücks zu töten. Die Entsagung ist also eine ganze, und die Musik ein ganzer, wie gesagt: tief bewegender Abschied. Das letzte Wort aber hat – die Oper heißt nicht zufällig Die Liebe der Danae – die Titelfigur. Sie singt auch in der vierten Stunde noch – man kann es nicht anders ausdrücken – wie ein hochmusikalisches Goldkehlchen.

So betrachtet, war der Goldregen in dieser Inszenierung nicht allein zu sehen, auch zu hören.

Frank Piontek, 21. Juli 2025


Die Liebe der Danae
Richard Strauss

Bayerische Staatsoper München
Münchner Opernfestspiele

Besuchte Aufführung am 21. Juli 2025
Premiere am 7. Februar 2025

Inszenierung: Claus Guth
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Bayerisches Staatsorchester