Bayreuth: „Der fliegende Holländer“

The last time

25.7.2018

Zum letzten Mal steht Dalands Nußschale fest verankert im stürmischen Meer des Turbokapitalismus. Zum letzten Mal sehnt sich der Holländer nach Ruhe in den entfesselten und finsteren Weiten des Finanzmarkts. Wieder umarmen sich die Liebenden mit stürmischer Leidenschaft nach dem kontemplativen und dem bewegten Teil ihres Duetts. Noch immer zünden sie die Geldscheine an, noch immer zeigt Senta Erik den Vogel, wenn der sie darauf hinweist, dass sie ihm ewige Treue geschworen hat, und wieder stimmt, was im Programmheft der heuer zum letzten Mal gespielten Produktion über das „Gespenst des Kapitals“ und den frühsozialistischen Zusammenhang mit dem „Fliegenden Holländer“ zu lesen ist. Das Meer, ein unbeherrschbarer Weltmarkt – so hat es der Regisseur Jan Philipp Gloger schon 2013 im Premierenheft gesagt, und so blieb es, in direktem Blick auf die Metapher im Allgemeinen und Wagners Gesellschaftskritik im Besonderen, gut und richtig.

Viel geändert wurde seit damals nicht. Vielleicht täuscht die Erinnerung, aber sah die Art-Brut-Skulptur des schwarzen Kapitäns damals nicht anders aus? Erinnerung kann täuschen, die Fotos sagen, dass auch hier alles beim Alten blieb. Reden wir also über die Sänger. Auch hier blieb Vieles beim Alten. Doch hat man den Eindruck, dass die Sänger, genauer: die Stimmen, mit der Produktion alterten. Fünf Jahre sind keine sieben Jahre, aber Senta ist nicht mehr das junge Ding, das sich der Komponist vorgestellt hat. In diesem Jahr klingt Ricarda Merbeths Sopran leider so ältlich, dass man ihr die junge Frau nicht mehr abnimmt; sie hat, so scheint’s, zuviel Hochdramatisches gesungen, als dass ihr diese Partie noch gut täte. Dass sie am Ende ein paar Buhs kassiert, ist brutal und übertrieben, aber nicht ganz ungerechtfertigt (man sollte, aber das nur nebenbei, keine Sänger ausbuhen). Tomislav Mužek blieb Erik; immer noch entzückt sein sensitiver Tenor, mit dem er die „romantischsten“ Passagen der Oper macht. Mary blieb Christa Mayer; ihre dramatisch flackernde Stimme bleibt eine Geschmackssache. Rainer Trost ist ein neuer Steuermann; im Vergleich zum souveränen und stimmschönen Benjamin Bruhns, der die Rolle in dieser Inszenierung kreierte und jahrelang sang, ist er leider tongebungsmäßig und en detail unsicherer, zu deutsch: Er vermag, zumindest an diesem Abend, nicht jeden Ton zu treffen. Peter Rose ist ein vokaler Gewinn dieser Aufführung, denn sein Daland ist nicht nur szenisch witzig. Im Repertoire hat er neben dem Gurnemanz auch den Kecal, neben dem Hunding auch Basilio, neben Marke auch den Mustafa; in Bayreuth ist die An-die-Brille-Fass-Geste sein Markenzeichen. Bleibt die Titelpartie.

John Lundgren macht das so eindrücklich, dass man die Eindrücklichkeit merkt. Er gestaltet auch diese Partie mit einer hörbar und absichtlich gepressten Stimme, die einige Worte ins Unverständliche drückt, ist aber glücklicherweise in der Lage, leise Passagen zu gestalten. Mag sein, dass das diese Press-Technik ein Charakteristikum der Gegenwart ist, doch denkt der Alt-Bayreuther mit einer gewissen Wehmut an, beispielsweise, Bernd Weikl zurück, der in Dieter Dorns Inszenierung einen stimmschönen und gleichzeitig dramatisch relevanten Holländer sang.

Natürlich, der Chor… Unter der Leitung von Eberhard Friedrich bietet er wieder Bayreuth at it’s best. Es ist fast schon peinlich, immer wieder darauf hinzuweisen, dass man sich auf dieses Ensemble immer verlassen kann, aber wenn’s denn so ist? Der Rezensent wird insbesondere einen Auftritt vermissen, weil dieser ihn immer faszinierte: den Auftritt der Herren am Schluss des ersten Akts. „Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer“ ist ja auch ein Probestück für jeden Opernchor. Grandios, wie er auch in der letzten Vorstellung der Gloger-Inszenierung in Reihen nach vorn läuft und von Schritt zu Schritt mehr an stimmschöner Gewalt in den Zuschauerraum drückt. Ein fröhlicher Klassenaufzug durchaus sympathischer Jungs: das wird (mir) bleiben, so lange ich an diese Inszenierung denken werde.

Axel Kober leitet das schlussendlich öffentlich gefeierte Orchester der Bayreuther Festspiele. Wieder muss man es bedauern, dass der Deckel für diese Oper drauf bleibt, denn viele Nuancen der bekanntlich für ein normales Opernhaus komponierten Partitur können in Bayreuth nicht dargestellt werden. Ganz abgesehen von der Gewalt des Vorspiels, aber meckern wir nicht. Die Instrumentalkultur ist in dieser Aufführung schon sehr hoch (die Oboe, die Klarinette!), der dramatische Drive sehr gut, die lyrische Sphäre fein austariert. Insofern: ein guter, aber – aufgrund einzelner Solisten- kein wirklich „großer“ Abend.

P.S.

Nach 30 ununterbrochenen Bayreuth-Jahren wagt der Rezensent folgende These: Immer größere Teile des Publikums wollen sich nicht enttäuschen lassen, besitzen auch immer weniger Kompetenz in der Unterscheidung zwischen sehr guten, guten und weniger guten Stimmen. Nur so ist es erklärbar, dass Sänger, deren vokale Leistung noch vor wenigen Jahren als defizitär abgeurteilt worden wäre, heute von den meisten Zuschauern so bejubelt werden, als wären die Callas oder Caruso himself vor dem Vorhang erschienen. Ich möchte nicht einmal behaupten, dass „die“ Sänger in ihrer Qualität nachgelassen hätten; das Gejammer über den Verfall des Wagner-Gesangs hat ja nun auch schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel. Es könnte nur sein, dass sich die Mischung aus der Erwartung eines hochrangigen Kulturereignisses und dem Überhören von Defiziten einer Mischung aus Selbstkonditionierung und Unkenntnis verdankt. Zumindest Ersteres hat etwas mit dem Thema des „Fliegenden Holländers“ zu tun, das die Inszenierung extrem herausgearbeitet hat: mit der Kapitalisierung aller Verhältnisse. Denn wer gibt schon gern zu, dass er für 1000 Euro (Karten plus Hotel plus Spesen) einen Abend erlebt hat, der – gemessen am Ruhm Bayreuths – so doll denn doch nicht war.

Keine Bange, liebe Zuschauer: es ist menschlich. Aber es wäre auch schön, wenn man Sängerleistungen endlich einmal wieder realistisch einordnet. Vergleiche mit früheren Aufführungen – die sich natürlich einer getrübten wie verklärten Erinnerung verdanken können – sind nicht per se verboten. Man muss ja nicht gleich buhen; man sollte es auch nicht. Und schon der nächste Abend könnte einem zeigen, was wirklich guter Wagner-Gesang – auch in Bayreuth – ist.

Frank Piontek, 27.8.2018

Fotos: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath