Bremen: „Lady Macbeth von Mzensk“

Premiere am 10.09.2017

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Zur Saisoneröffnung in Bremen hat Armin Petras die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowitsch inszeniert. Die musikalische Leitung hatte der neue Bremer Musikdirektor Yoel Gamzou. Gesungen wurde in russischer Sprache.

Schostakowitsch plante seine „Lady Macbeth von Mzensk“ als tragisch-satirische Oper; sie sollte der erste Teil einer Trilogie über „die Lage der Frauen in verschiedenen Epochen der russischen Geschichte“ sein. Das Werk hatte zunächst großen Erfolg, bis Stalin es faktisch verbieten ließ und der berüchtigte Artikel „Chaos statt Musik“ 1936 in der Prawda erschien, der den Beginn einer beispiellosen Kampagne gegen den Komponisten einleitete. Nach Stalins Tod kam die Oper auch wieder auf die Spielpläne, wobei sich seit 1979 die ursprüngliche Fassung, die auch in Bremen gespielt wurde, gegenüber der Überarbeitung „Katerina Ismailowa“ von 1963 zu Recht durchgesetzt hat.

Armin Petras arbeitet in seiner insgesamt dem Werk angemessenen Regie in zwei Ebenen: Das Bühnenportal ist in gleichgroße Hälften geteilt. In der oberen werden auf eine Leinwand Videos, Fotos und Texte (von Nadja Tolokonnikowa, der Begründerin der Band Pussy Riot) projiziert, in der unteren sind mittels Drehbühne die verschiedenen Spielräume zu sehen. Die Fotos zeigen Ansichten der Industriestadt Norilsk, einem der kältesten Orte der Welt, wo die Regie die Handlung verortet hat. Die Videos von Rebecca Riedel verdoppeln das Geschehen oft in Großaufnahme oder zeigen Dinge, die auf der eigentlichen Bühne nicht zu sehen sind. Gleichwohl – es ist oft zu viel des Guten und lenkt von der durchweg spannenden Personenführung ab. Die Bühnenbilder von Susanne Schuboth sind sehr unterschiedlich und wechseln sehr häufig. Da gibt es die spießig, überladene Wohnstube, in der später auch die Hochzeitsfeier stattfindet.

Daneben gibt es die schäbigen Umkleideräume der Arbeiter, in denen die brutale Vergewaltigung der Köchin (Hanna Plaß, die auch ein tieftrauriges Solo mit Akkordeon beisteuert) stattfindet, sowie den kalt-weiß gekachelten Waschraum, in dem Katerina und Sergej es treiben, einschließlich der „Zigarette danach“. Eine Außenansicht zeigt Schneeflocken, eine Feuerstelle, ein allegorisches Kinder-Tanzpaar (Adelina Mazakow und Michael Nuss) und eine gelbe Mülltonne, in der der ermordete Sinowi entsorgt wird. Am Schluss im Gefangenenlager verschwindet die Leinwand und gibt den Blick auf einen Turm frei, von welchem sich Katerina in den Tod stürzt und Sergejs neue Geliebte Sonjetka (Ulrike Mayer) mitreißt.

Petras gelingt die Charakterisierung der Personen eindringlich: Katerina, die sich langweilt und nach körperlicher Liebe sehnt, ihren Schwiegervater Boris als aufgeblasenen und rücksichtslosen Machtmenschen, den Arbeiter Sergej als schwanzgesteuerten Egomanen. Die skurrilen Momente der Oper werden durch den Polizeichef (Loren Lang), den Popen (Christoph Heinrich) und den Schäbigen (Luis Olivares Sandoval), der die Leiche in der Mülltonne entdeckt, verdeutlicht. Bei den drastischen Szenen wie der Vergewaltigung oder der Auspeitschung von Sergej geht die Regie schonungslos zur Sache, findet im Schlussakt aber auch zu stillen, berührenden Bildern.

Zur Sache geht auch Yoel Gamzou mit den Bremer Philharmonikern, der die Expressivität der Musik fast nur mit Fortissimo-Gewalt, dabei aber temporeich und rhythmisch umsetzt. Zumindest im ersten Teil wird jedenfalls alles ins Extreme getrieben. Im zweiten Teil findet Gamzou dann zu einer differenzierteren Lesart, bei der es auch mal zu ruhigerer Gangart mit Piano-Kultur kommt. Eine ausgezeichnete Leistung erbringt der Chor (Alice Meregaglia).

Die Titelpartie wird von Nadine Lehner gestaltet, die schon allein mit ihrer ausgeprägten Persönlichkeit überzeugt. Ihren ausdrucksvollen Sopran führt sie, ganz im Sinne der Rolle, bis an schrille Grenzen, kann aber im letzten Akt auch innige und warme Töne liefern. Chris Lysack singt den Sergej mit eher robustem Tenor. Geschmeidiger klingt da Alexey Sayapin als verschmähter Ehemann Sinowi. Die beeindruckendste Leistung liefert Patrick Zielke als Boris. In seinem Anzug mit Krawatte wirkt er wie ein schmieriger Mafia-Boss – ein Vollblut-Darsteller, der Komik und Verschlagenheit perfekt verbindet. Sein runder, dunkler Bass sorgt für Gänsehautmomente.

Wolfgang Denker, 11.09.2017

Fotos von Jörg Landsberg