Gießen: „Schwanda der Dudelsackpfeifer“

Besuchte Vorstellung am 20.04.18 (Premiere am 24.03.18)

Verkannte Volksoper

„Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromir Weinberger hatte erst bei seiner Deutschen Erstaufführung in Breslau seinen großen Erfolg, immerhin hatte Max Brod, derjenige der sich auch um die Verbreitung der Werke Kafkas und Janaceks verdient machte, für die deutsche Textübertragung gesorgt. Dieser Erfolg sorgte dafür, daß die Märchenoper in den folgenden Jahren zu einem der beliebtesten Stücke wurde, der bis an die MET nach New York führte. Erst die „Kulturpolitik“ der Nazis stoppte den Siegeszug der Oper, wie des Komponisten. Die Handlung verquickt zwei böhmische Sagenfiguren, zum einen den begnadeten Dudelsackpfeifer Schwanda, wie den Banditen Babinsky, einer Art tschechischem „Robin Hood“ . Schwanda und seine Frau Dorota geniessen das Glück ihrer jungen Ehe, als Babinsky sich auf der Flucht ebenfalls in die schöne Dörflerin verliebt und ihrem Mann Appetit auf die große Welt macht, um das Paar zu entzweien.

Über die Stationen bei der Prinzessin mit dem Eisherzen und ihrem bösen Magier, ja sogar dem Teufel und seinen höllischen Heerscharen, bemerkt Babinsky, das die große Liebe zwischen Schwanda und Dorota nicht zu hintertreiben ist und bringt die beiden wieder zusammen. Also ein rechter naiver Märchenstoff mit bunten Farben für schöne szenische Effekte. Weinbergers Musik dazu ist einfach und raffiniert zugleich und fordert von den Musikern großes Können. Einfach, weil echte Ohrwürmer von schlichtem melodischen Gestus, raffiniert, sich mit grandioser Orchestrierung und einer sehr feinen, filigranen Verarbeitung paaren. Kenner entdecken quasi eine ganze tschechische Musikgeschichte von der Volksmusik über Smetana, Dvorak bis Martinu und Janacek; einfache Gemüter haben Freude an der guten Musik mit ihren schönen Melodien und der farbigen Handlung. Prädikat: unbedingt spielenswert!

Die Gießener Intendantin Catherine Mieville macht die Oper zur Chefsache und hat selbst inszeniert, dabei mit Marc Jungreithmeier (Bühne und Video) eine sehr artifizielle, wie effektvolle Herangehensweise gefunden, denn der zu Zeit sehr strapazierte „Heimatbegriff“ erlaubt eine distanzierte Haltung: die verschieden gestufte Drehbühne wird mit kleinteiligen „Bildschirmen“ regelrecht verpixelt und die durchgängigen Videos sorgen für einen schönen optischen Fluß und ermöglichen beeindruckende Bilderwechsel, wie szenische Kommentare zum Geschehen. Die Personenführung der Intendantin emfinde ich persönlich als zu schablonenhaft, weil sie die Personen allzu „puppig“ wirken läßt. dazu gibt es noch diverse Tänzer, Volkstanzgruppen, eine Spielvereinigung, sowie Kinder des Stadttheater-Juniorclub, die mal vorteilhaft, mal etwas überflüssig eingesetzt werden. Die Szene und Monika Goras Kostüme retten manchen Leerlauf, über die sehr karge Höllenszene lässt sich ästhetisch streiten, die Musik fordert für mich anderes.

Großen Eindruck macht die musikalische Umsetzung, zwar bringt die instrumental große Orchesterbesetzung das Gießener Stadttheater teilweise ordentlich zum Beben, doch Jan Hoffmann am Pult des hervorragenden Philharmonischen Orchesters Gießen hält die musikalischen Fäden sicher in der Hand und ist den Sängern ein guter Partner. Die Sänger haben wahrlich keine kleinen Aufgaben; gerade die drei Hauptpartien mit ihren recht hohen Tessituren fordern extrem ausgebildete Sänger mit „ordentlicher Röhre“. Um so erfreulicher, daß das in Gießen der Fall ist: die gesangliche Hauptpartie, meiner Meinung nach, ist der Räuber Babinsky, eine lange Partie bis ins Heldentenorfach, aber sehr lyrischen Anforderungen, Tilmann Unger leistet unermüdlich mit strahlenden Tenor über sämtliche Klippen mehr als Beachtliches. Martin Berner gefällt als Schwanda mit herrlich warm timbriertem Bariton, der dem naiven Charakter und seinen Untiefen sowohl Empathie vermittelt, wie ihn nicht unsympathisch werden lässt. Leichte Höhenschärfen sind der einzige Kritikpunkt an Aleksandra Rybakovas Sopran, die langen Melodiebögen gelingen ihr mit viel Charisma, besonders ihr „Auf unsern Hof daheim“ bleibt noch lange im Ohr. Auch die Nebenrollen sind hervorragend besetzt, sei es die schön dunkel timbrierte Eisprinzessin von Dilara Bastar mit verhaltener Erotik, der dramatische Magier vom satten Bass Seungwon Ezio Lee, der herrlich humoristische Teufel von Christian Tschelebiew und der wandlungsfähige Tenor von Clemens Kerschbaumer, der in mehreren Partien einige Kabinettstückchen abliefern kann. Die Chor und Extrachor gefallen nicht nur musikalisch.

Das Stadttheater Gießen hat wieder einmal mit dieser Ausgrabung den richtigen Riecher für spielenswerte Raritäten bewiesen, legt eine wirklich überzeugende Interpretation hin, die eine Anreise in die vermeintliche Provinz lohnt. Zwei gute Nachrichten: erstens wird es den „Schwanda“ nächste Saison am MiR in Gelsenkirchen geben, zweitens die Wiedererscheinung der deutschen Fassung in der wirklich schönen Aufnahme unter Heinz Wallberg mit Hermann Prey, Lucia Popp und Siegfried Jerusalem und anderen tollen Sängern.

Martin Freitag 7.5.18

Fotos (c) Rolf K.Wegst

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