Leipzig: „Die Meistersinger von Nürnberg“

Besuchte Aufführung am 06.11.21 (Premiere am 23.10.21)

Derbes Fasnachtsspiel

Vielleicht war meine eigene Erwartungshaltung diesmal zu groß, denn ich habe in der Oper Leipzig so viele tolle Abende erlebt; mit Ulf Schirmer am Pult und David Pountney für die Szene standen erstklassige Künstler auf der Besetzung, na, ja, von Anfang an: Schon das Vorspiel ließ nichts Gutes ahnen,denn mir liegt "Meistersinger" als feine Konversationskomödie , so in der wundervollen Aufnahme unter Rudolf Kempe, am Herzen, geschwinde Tempi für den komischen Duktus der Oper mit feinen Übergängen des zwischenmenschlichen Geflechtes der Personnage. Doch Schirmer knallt einem das C-Dur direkt in die Gehörschnecke, sehr blechlastig, einzelne Orchesterstimmen eher gegeneinander absetzend, als zu einem Gesamtklang verbindend. Die Lautstärke wurde dann mit Auftreten der Sänger gekonnt modifiziert, doch die Probleme blieben die ganze Vorstellung über erhalten . Was schlimmer war,man hatte ständig das Gefühl, daß der Draht zwischen Graben und Bühne gestört war. Denn es gab keinen der Hauptprotagonisten, wo es nicht zu Wacklern kam, deutlich den Tempi des Dirigenten geschuldet. Auch der Kontakt zum Chor war nicht ideal, was man vor allem bei den Lehrbuben bemerken konnte; die Prügelfuge geriet dann auch "aus den Fugen". Ein weiteres Problem, oft konnten im Orchester nicht einzelne Töne ausklingen, sondern klangen wie abgewürgt. Insgesamt einrecht uncharmanter "Meistersinger"-Ton. Der schlechteste Eindruck, den mir der eigentlich geschätzte Ulf Schirmer, bisher hinterließ.

Leslie Travers gibt für die gesamte Oper eine Art graues Beton-Amphitheater vor, mit einem Reichsparteitag-Charme vor schwarzem Horizont. Was wirklich wunderschön ist:das filgrane mannshohe Modell eines mittelalterlichen Nürnberg, das auch robust betretbar war, hier ein ganz großes Lob an die Werkstätten der Leipziger Oper. Im zweiten Akt flankieren zwei riesige Hauselemente die Nürnberger Gasse, über das sich nach dem Chaos der Johannisnacht das Bild des zerbombten Nürnbergs senkt. Über der puppigen Schusterstube mit Butzenscheibe befindet sich dann das zertörte Nürnberg auch als Holzmodell, das zur Festwiese überdeckelt wird. Ein Reichtag mit moderner Kuppel (!) als Singhügel erzählt von der Aktualität der Verhandelbarkeit des öffentlichen Wesens. Dazu Marie Jeanne Leccas Kostüme: neben heutiger Bekleidung wird immer mit historischen Bildern gearbeitet, so treten die "Meistersinger" offiziell in nostalgischen Renaissance-Prunkgewändern auf. Der Aufmarsch der Handwerker läßt wiederum an eine Demo der Werktätigen zum Ersten Mai denken. Warum David allerdings als einziger Lehrbube eine reich geschlitzte Landsknechtshose samt Schamkapsel trägt, verstehe ich nicht ? So die optischen Gegebenheiten der Inszenierung schon mal zum Gesamtverständnis. Manko am Bühnenbild: die vielen Treppen, wo auch schon einmal Protagonisten sich verdecken und natürlich die gefährlichen Stolperfallen des Holzmodells für die Sänger.

Von Anfang an eine etwas derbe Personenführung, die mehr an einen Schwank denken lassen: oft verdoppeln die Gesten allzu grob den Text (ich denke, also fasse ich mir an den Kopf, etc.), die jungen Leute müssen juvenil herumhopsen, um ihre Jugendlichkeit zu betonen (vor allem Eva). Dadurch bekommt die ganze Personenführung etwas sehr Oberflächliches, Gespieltes, und die Figuren geraten selten an eine psychologische Dimension. Ein besonderer Fall ist ja immer der Merker Beckmesser, der eigentlich mit die spannendste Musik hat; ich glaube das Wagner durchaus sowohl ein antisemitisches Bild eines Menschen (so kann man durchaus synagogale Melismen aus seiner Musik heraushören), als auch privates Hühnchen mit dem Musikkritiker Eduard Hanslick in dieser Figur auskocht. Mathias Hausmann tritt ganz in Schwarz und einem Käppchen, das an die rituellen Schläfenlocken erinnert, deutlich als Außenseiter unter den Meistern auf, doch sein Erscheinen wirkt nicht so ältlich, das er nicht als möglicher Bewerber gelten könnte. Sein durchweg belkantesker Gesang mit virilem Bariton unterstreicht das. Ab dem zweiten Akt muß er jedoch Klamotte spielen, die die ganze Spannung des Charakters untergräbt oder eine bloße Farce daraus macht. Andere Figuren des Personals geraten Pountney zwar konventioneller , aber auch glaubhafter. Pountney möchte im Finale wohl zeigen, daß eine Gesellschaft aus verschiedenen Meinungen besteht;so läßt er Eva das Schlussbild verlassen, während Sachs Stolzing mit Ruhm und Ehre in die (Meistersinger-)Gesellschaft einholt, das kommt jedoch recht plötzlich und unmotiviert daher. Also man merkt durchaus Pountneys Intention, aber irgendwie kommt das nicht überzeugend herüber.

Die Sänger: James Rutherford als Sachs dürfte zu den führenden Sängern dieser Partie gehören, sein wundervoller Bass gefällt einfach in jeder Lage , sonore Tiefe, leuchtende Höhe, alles da, doch gelingt die vokale Umsetzung an diesem Abend mehr, als die gefühlte Durchdringung. Über die Probleme von Sebastian Pilgrim (Pogner) schrieb ich schon bei Ullmanns "Antichrist", bei einer bekannten Partie sticht das noch mehr heraus: sein eigentlich klangvoller Bass wird sehr durch eine abdunkelnde Vokalbehandlung eingetrübt, die Stimme findet nicht richtig in "die Maske" und klingt stumpf und mulmig. Tobias Schabel singt mit metallischem Bariton einen anhörlichen Kothner. Die anderen Meister sind hervorragend bis solide aus dem Ensemble besetzt. Magnus Vigilius ist zum ersten ein enorm textverständlicher Stolzing, zum zweiten ein imposanter Tenor mit enormer Stamina, der genau weiß, wann er "aufdrehen". muß. Trotzdem möchte ich prophezeihen, das der Stolzing mit seiner dauerhaft hohen Tessitur nicht zu seinen Haupt- oder Lieblingsrollen gehören wird. Elisabet Strid ist stimmlich eigentlich, durch ihre sonst dramatischeren Partien, über die Eva hinweg, es gelingt ihr allerdings wunderbar den Sopranbogen im Quintett zu spannen, ohne herauszuragen.Leichte Trübungen in der Höhe solltenbeachtet werden. Katrin Göring habe ich besser in Erinnerung als in der Partie der Magdalene, ihr Mezzosopran klingt diesen Abend unauffällig und sogar etwas unfrisch. Ganz hervorragend der David von Matthias Stier, vielleicht der farbenreichste Vortrag des Abends; sein Vortrag über den Meistergesang ist ungemein abwechslungsreich, lediglich in der Höhe kommt er an seine Grenze. Sejong Chang fällt als Nachtwächter positiv auf.

Wie bereits in der Einleitung gesagt, vielleicht war meine Erwartungshaltung einfach zu hoch, vielleicht hatte ich auch das "Pech" einer "zweiten" Vorstellung.

Martin Freitag, 10.11.2021

Bilder /c) Kirsten Nijhof