Premiere am 9. April 2019
Wenn die Opera Royal große Oper macht, dann macht sie es richtig, nämlich in historisch genauen Kostümen und prachtvollen Bühnenbildern. So kann man es jetzt auch bei Donizettis Anna Bolena erleben. Die Aufführung bietet aber nicht nur viel für das Auge, sondern auch für das Ohr, denn in der Titelpartie debütieret Olga Peretyatko.
Die 1830 uraufgeführte Oper erzählt die letzten Tage der Titelheldin, wie sich König Heinrich VIII. von ihr abwendet, Jane Seymour verfällt und Anne Boleyn hinrichten lässt. Die Geschichte gehört zum historischen Allgemeinwissen und ist seit dem Film Die Schwester der Königin auch Teil der Populärkultur. In der dreieinhalbstündigen Aufführung gelingt der erste Akt der Oper mit seiner Intrige spannend, nach der Pause, wenn Annas Untergang schon beschlossene Sache ist, tritt die Handlung zu sehr auf der Stelle.
An den Bühnenbildern von Gary McCann und den Kostümen von Fernand Ruiz kann man sich kaum sattsehen. Die Räume sind von dunklen Holzvertäfelungen, Säulen und Vergoldungen geprägt. Der Park von Windsor wird mit einem gemalten Prospekt und einem Baum erschaffen. Das ist wenig Aufwand, aber ein Wunder der Illusionsbühne. Die Kostüme sind von erlesener Schönheit und den historischen Originalen nachempfunden, sodass man beim Besuch dieser Inszenierung denkt: So muss es damals wirklich gewesen sein!
Intendant und Regisseur Stefano Mazzonis di Pralafera beschränkt sich in den Chorszenen auf das Erstellen großer Tableaus. Die Solisten werden mit wenigen Gesten charakterisiert. Erstaunlicher Weise funktioniert das durch die sängerische und darstellerische Präsenz der Akteure: Olga Peretyatko als Anna beschränkt ihr Spiel auf sparsame und genaue Gesten, die dadurch aber umso wirkungsvoller werden, während Francesca Ascioti in der Rolle des Pagen Smeton manchmal fast schon hyperaktiv wirkt.
Star des Abends ist natürlich Olga Peretyatko. Mit dunkel leuchtendem Sopran singt sie die Rolle ganz natürlich aus und garantiert, dass diese Belcanto-Oper wirklich von allerschönstem Schöngesang geprägt ist. In einigen Momenten ist man von ihrem Gesang so fasziniert, dass man sogar vergisst auf die Übertitel zu schauen, so fesselnd ist ihre Rolleninterpretation.
Einen guten stimmlichen Kontrast stellt Sofia Soloviy als Giovanna Seymour dar. Die Stimme klingt im ersten Akt etwas unterkühlt, doch nach der Pause steigert sich Soloviy leidenschaftlich in ihre Rolle hinein und die Szene der beiden Königinnen im zweite bakt ist großes Theater.
Marko Mimica als Heinrich VIII. besitzt zu wenig Farbe, um diese Rolle perfekt auszufüllen. Annas Jugendliebe Richard Perry wird von Celso Albelo gesungen. Anfangs wirkt die Stimme recht eng und die Strahlkraft fehlt in der Höhe. Im zweiten Akt steigert sich der Tenor dann aber zu einem eindringlichen Rollenporträt. Luciana Montanero wirkt als Annas Bruder Lord Rochefort recht blass.
Geradezu auf Händen getragen werden die Sänger von Giampaolo Bisanti, der die Aufführung musikalisch leitet. Die Stimmen stehen hier immer im Mittelpunkt und Bisanti dirigiert sehr flexibel mitatmend, wobei er stets die großen Bögen im Blick hat. In den dramatischen Momenten reißt der rhythmische Schwung der Musik den Hörer geradezu mit.
Während dieser starke Ausflug in das Belcanto-Repertoire für deutsche Besucher eine Rarität bedeutet, folgt als nächste Produktion in Liege ein Stück, dass auch häufig auf deutschen Bühnen gespielt wird: Vom 15. Bis 24. Mai gibt es Mozarts La clemenza di Tito.
Rudolf Hermes 12.4.2019
© Opéra Royal de Wallonie-Liège