Franz Schrekers Genie entdecken: Christoph Eschenbach, der scheidende Chef-Dirigent und sein Konzerthausorchester Berlin, haben dazu eine Doppel-CD bei der Deutschen Grammophon veröffentlicht. Intensive Spätromantik in schillernden Orchesterfarben, ergänzt durch seltene Vokaleinspielungen. Um es vorwegzunehmen, diese Aufnahme ist eine herausragende Würdigung dieses besonderen Komponisten!
Franz Schreker wurde 1878 in Monaco geboren und war ein österreichischer Komponist und Dirigent. Als wichtiger Vertreter der Wiener Schule wurde er durch seine Opern und Orchesterwerke bekannt. Während Schreker in seiner Zeit sehr berühmt war, wurde sein Ruf nach seinem Tod im Jahr 1934 ziemlich vergessen. Schuld daran war das Nazi-Regime, welches Schrekers Musik verbannte und als „entartet“ stigmatisierte. Seit einiger Zeit erlebt Schreker jedoch eine Wiederbelebung, da seine Werke wiederentdeckt wurden und auch öfters wieder auf den Opernbühnen anzutreffen sind.
Christoph Eschenbach, der deutsche Pianist und Dirigent, ist vor allem für seine Interpretationen der Werke von Beethoven, Brahms, Bruckner und Mahler bekannt. Seit kurzem hat er sich jedoch auch für die Musik von Schreker interessiert und beschlossen, einige seiner Werke aufzunehmen. Eschenbach engagiert sich für die Wiederentdeckung vergessener Komponisten, um deren Musik zum Leben zu erwecken. In der aktuellen Aufnahme unterstützen ihn die Sopranistin Chen Reiss und Bariton Matthias Goerne. Beide Sänger bringen eine emotionale Tiefe und Ausdruckskraft in die Musik von Schreker, die dazu beiträgt, seine Genialität zu entdecken. Schrekers Musik ist in der spätromantischen Ära angesiedelt und zeichnet sich durch eine reiche Harmonik und ein emotionales Ausdrucksvermögen aus. Seine Musik ist von den Einflüssen von Wagner und Strauss geprägt. Sein eigener Stil kennzeichnet sich durch komplexe Rhythmen und eine ungewöhnliche Instrumentierung. Schreker war auch ein Meister der Oper und seine Musik hat oft eine erzählerische Qualität, die das Publikum in eine andere Welt entführt, vor allem in die von ihm so bevorzugte Zeit der Renaissance.
Die Doppel-CD enthält eine Auswahl von Schrekers Werken, darunter ein orchestraler Auszug seiner Oper „Der Ferne Klang“ und einige weitere Orchesterstücke. Eschenbach dirigiert das Konzerthausorchester Berlin, das eine hervorragende Leistung erbringt. Die Stimmen von Chen Reiss und Matthias Goerne sind elegant, kraftvoll und ergänzen die Orchestermusik adäquat. In üppigsten und aufrauschenden Klängen ist das „Nachtstück“ aus dem „Fernen Klang“ zu erleben. Ein unendlicher Sog schillernder Farben, welcher von Eschenbach und dem Konzerthausorchester brillant zur Geltung gebracht wird. Im Unterschied dazu sind der „Valse lente“ und die „Romantische Suite“ deutlich filigraner. Und doch dominieren auch hier Farben und Gefühlsintensitäten, wie sie so kennzeichnend für Schreker sind. Faszinierend, wie punktgenau das Orchester den sehr eigenen Stil Schrekers trifft. Selten anzutreffen ist die Preziose „Kleine Suite“! Ursprünglich wurde sie für Radio-Aufführungen geschrieben. Schreker bleibt sich auch hier treu und bietet in klarer, fassbarer Struktur ein Aufeinandertreffen von expressionistischer Geste und spätromantischem Überschwang.
Faszinierend ist die Begegnung mit der „Kammersinfonie“. Kaum zu glauben, welche Klangintensität Schreker mit gerade einmal 23 Musikern zu beschwören wusste. Die Musik ist auch hier wieder eine intensive, erotisch aufgeladene Klangreise. Ein fortwährendes Pulsieren und eine sich bis zum Höhepunkt steigernde Musik, erzeugen einen großen Reiz. Dieses Werk ist durchaus auch ein orchestrales Kompendium von Schrekers Schaffen, weil es in einer knappen halben Stunde seine bekanntesten Wirkungselemente aus seinen Bühnenwerken in ein kleines Orchester transferiert, ohne dass dieses schmal oder blass in der Wirkung gerät. Wie in den anderen Werken gelingen Christoph Eschenbach und dem immens engagierten Konzerthausorchester berückende Wirkungen. Mit untrüglichem Timing und ausgesprochen sensitiver Farbgebung, zeigt sich Eschenbach als famoser Interpret für Schrekers Oevre. Mit einfühlsamer Musikalität gestaltet Chen Reiss mit lichter Sopranstimme die beiden Lieder „Vom ewigen Leben“. In deutlichem Kontrast dazu steuert Bariton Matthias Goerne mit etwas mulmiger Tongebung „Fünf Gesänge“ bei, die gestalterisch gut vorgetragen werden.
Christoph Eschenbachs Doppel-CD bietet eine hervorragende Gelegenheit, Franz Schrekers Musik zu entdecken. Die Kombination aus Eschenbachs Interpretation, den Stimmen von Reiss und Goerne und der Leistung des Konzerthausorchesters Berlin machen diese CDs zu einem unvergesslichen Erlebnis voller tiefer Eindrücke. Die Deutsche Grammophon hat die Aufnahmen weiträumig und detailgenau aufgezeichnet. Alles in allem eine Referenz-Einspielung, die hoffentlich dazu beiträgt, die unvergleichliche Klangwelt Franz Schrekers weiter in die Welt hinauszutragen.
Dirk Schauß, 29. April 2023
Franz Schreker
Orchesterwerke und Lieder
Chen Reiss, Sopran
Matthias Goerne, Bariton
Konzerthausorchester Berlin
Christoph Eschenbach, Leitung
Deutsche Grammophon, 486 3990