Wunderbare Inszenierung des neuen „metteur en scène en résidence“ Ted Huffman
Sommerstimmung in Montpellier: auf der durch Palmen und Platanen umsäumten Place de la Comédie vor der wunderschönen Alten Oper wird temperamentvoll getrommelt und akrobatisch getanzt. Eine passende Einstimmung auf Brittens fröhlichen „A Midsummer Night’s Dream“ nach Shakespeare. Wir sind angereist für den jungen, inzwischen mit Preisen überhäuften Regisseur Ted Huffman, dem wir nie persönlich begegnet sind, der uns aber schon letztes Jahr beim Opera Forward Festival in Amsterdam positiv aufgefallen ist (siehe Merker 4/2018). Auch jetzt ist wieder seine Arbeit das meist Prägnante des ganzen Abends. Er beherrscht sein Handwerk so gut, dass er ohne großen Firlefanz auf einer fast leeren Bühne (Marsha Ginsberg), mit stilsicheren und klar charakterisierten Kostümen (Annemarie Woods), guter Beleuchtung (D.M. Woods), klug eingesetzter Choreographie (Sam Pinkleton) und vor allem einer gekonnten Personenregie die recht verschachtelte Handlung Shakespeares nicht nur mühelos nacherzählen, sondern auch auf eine poetische und zugleich witzige Weise inszenieren kann.
Der Abend beginnt mit Puck (Nicholas Bruder, fulminant), der vom Bühnenhimmel herunter schwebt und wie ein witziger Kobold die Handlung von oben kommentiert und auch manchmal eingreift, wenn zwischen den Menschen und Halbgöttern etwas nicht gut funktioniert. Das haben wir seit der epochalen „Sturm“-Inszenierung von Giorgio Strehler 1983 in Mailand mit dem unvergesslichen fliegenden Ariel so nicht mehr gesehen. Auch für die oft etwas kniffelige Theater-im-Theateraufführung von „Pyramus und Thisbe“ (nach Ovid) greift Huffman auf einfache und bewährte Theatermittel zurück: er lässt zwei riesige Marionetten auftreten (darin versteckt die Akrobaten Luc Berton und David Franc), mit zwischen ihnen nur Snout (Colin Judson), der einen großen Fächer aufschlägt und sagt: „I am the wall“. Shakespeare hatte als Regisseur auch nicht mehr nötig.
Die 15 Sänger und 5 Chorsolisten spielten und sangen so gut miteinander – sie „warfen sich richtig die Bälle zu“ -, dass man sie gar nicht einzeln nennen, sondern vor allem ihre Ensemble-Leistung würdigen will. Sie haben offensichtlich alle schon Erfahrung mit Benjamin Britten, zeigten sich spielfreudig und sangen in einem perfekten Englisch mit nirgendwo einem falschen Ton (wofür ich sie manchmal richtig bewundert habe). James Hall war vielleicht noch ein bisschen „grün“ als Oberon, wo wir noch James Bowman und Bejun Mehta im Ohr haben, doch die junge Kanadierin Florie Valiquette – unlängst eine glänzende Madeleine im „Postillon de Lonjumeau“ an der Opéra Comique (siehe Merker 4/2019) – konnte als Tytania ihren illustren Vorgängerinnen mühelos das Wasser reichen. Nur Lob für Richard Wiegold (Theseus), Polly Leech (Hippolyta), Thomas Atkins (Lysander), Matthew Durkan (Demetrius), Roxana Constantinescu (Hermia), Marie Adeline Henry (Helena), Luiz-Ottavio Faria (Bottom), Nicholas Crawly (Quince), Paul Curievici (Flute), Daniel Grice (Snug), Colin Judson (Snout), Nicholas Merryweather (Starveling) und Vincent Recolin, Guillemette Daboval und Guilhelm Rosa, die den 50-Köpfigen Kinderchor Choeur Opéra Junior exzellent vorbereitet haben.
Die einzigen falschen Töne kamen aus dem Orchestergraben. Leider müssen wir sagen „wieder“, denn bei Schumanns „Manfred“ beklagten wir uns schon über das Orchestre national Montpellier Occitanie: „die Streicher waren oft unsauber und verpatzten hörbar einige Einsätze. Die Bläser waren dagegen viel feiner und die Solooboistin Tiphaine Vigneron spielte wirklich konzertreif.“ (siehe Merker 1/2018). Dieses Mal waren die Streicher homogen und sauber, aber die Blechbläser „unter aller Kanone“. Da spielten die jungen Hornisten (13-16 Jahre alt), die ich letzte Woche in Saint-Etienne gehört habe, unvergleichlich viel besser. Und in der exzellenten Akustik der großen Oper aus 1888 konnte man jeden einzelnen Musiker genau hören, zumal Benjamin Britten jedem der nur 24 Musiker genau einer Rolle und einer Situation zugeordnet hat. Von ihm stammt wohl auch die originelle Orchesteraufteilung, wo z.B. die Flöten links und die Trompeten rechts im Orchestergraben sitzen. Der Dirigent Tito Munoz dirigierte deutlich und klar artikuliert, hatte sein Orchester rhythmisch im Griff, aber die Intonation war zwei Akte lang höchst problematisch, weil das Orchester nicht gut gestimmt war: die beiden Harfen waren z.B. unterschiedlich ge- eher verstimmt und nicht auf der gleichen Höhe mit dem Glockenspiel und der Celesta, mit der sie im Unisono spielten. Erstaunlich für ein „nationales Orchester“!
Zum Glück ist dies nicht nur mir aufgefallen, denn in der Pause wurden die Harfen gestimmt und die beiden Trompeter, die wirklich jeden Einsatz verpatzt hatten (in letzter Sekunde eingesprungen?) anscheinend in den Probenraum geschickt. Nach der Pause spielten sie (nur) die Noten, die in der Partitur stehen, auch einmal piano und klang das ganze Orchester viel stimmiger, mit übrigens einem exzellenten Flötensolo.
Doch das zahlreiche, gutgelaunte Publikum hat dies offensichtlich nicht gehört oder zumindest nicht gestört. Es gab anhaltenden Applaus für alle Beteiligten, am meisten für Nicholas Bruder als Puck. Nächste Spielzeit wird diese wunderschöne Inszenierung an der Deutschen Oper in Berlin wieder aufgenommen und werden wir Ted Huffman sicherlich wieder in Montpellier begegnen. Wir freuen uns schon!
Waldemar Kamer 14.5.2019
Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online
Alle Fotos (c) Marc Ginot
Info: www.opera-orchestre-montpellier.fr