Ich bin kein Freund davon, wenn ehrgeizige Regisseure eine Oper in eine andere Zeit verlegen. Denn meistens stimmt dann das Ganze gar nicht mehr. Vor allem dieser inhaltlich ohnehin recht armselige Traviata-Verschnitt wird dadurch regelrecht gekillt. Denn die Story von der opferbereiten ehemaligen Edeldirne, die, um ihren jungen Liebhaber nicht zu desavouieren, auf ihre gemeinsame große Liebe verzichtet, ist selbst im 19. Jahrhundert mit seiner heuchlerischen Doppelmoral kaum glaubhaft. Völlig blödsinnig wird es aber durch die Verlegung ausgerechnet ins Hollywood der wilden 50-iger. Wen hätte damals noch das Vorleben einer Diva interessiert? Die noch dazu ausgerechnet im Jane Mansfield Outfit daherkommt! Der ohnehin schwächliche Spot bricht dadurch endgültig in sich zusammen und die armen Sänger stehen auf fast verlorenem Posten. Dabei wuchtet Fiorenza Cedolins im Totaleinsatz ihrer großen Stimme die Magda zu packender Dramatik hoch, die allerdings die doch etwas seichtere Musik, vor allem im 3. Akt, überfrachtet. Ihr Partner schafft es nicht so gut, sich gegen die wirklich verfehlte Regie von Graham Vick zu behaupten. Ich lernte das Werk vor Jahren leider mit dieser Aufnahme kennen und hätte ihm damals keine große Chance gegeben. Welch ein Irrtum!
Eine strahlend schöne Wiedergeburt istdiese Aufnahme dagegen, belehrte mich schnell eines Besseren. So perfekt von Weltspitzensängern dargeboten, mit glaubhaften Rollenidentifikationen und sensibel in wunderschönem Jugendstil verortet, hat diese Oper durchaus ihre Wirkung, wenn sie auch wirklich kein Knüller, wie z.B. die Tosca, ist. Die alte Regel erweist sich wieder mal als richtig: eine Spitzenoper wirkt auch noch in mittelmäßigen Aufführungen, eine schwächere Komposition braucht eine Top-Realisation. Und die hat die MET hier zweifellos geschaffen. Angela Gheorghiu ist die geniale Verkörperung der Magda, stimmlich und darstellerisch kaum zu toppen. Ihr damaliger Ehemann Roberto Alagna bemüht sich sehr einen jungen Mann darzustellen, ist aber einfach zu alt für die Rolle. Zwar singt er strahlend schön, mit leuchtendem Höhenglanz, klingt aber doch schon zu heldentenoral, zumal für eine Operette, die dieses Werkchen ja eigentlich werden sollte. Lisette Oropesa war damals schon auf dem Weg zur Weltspitze: eine perfekte Luxusbesetzung der Sonderklasse. Marius Brenciu als schwärmerischer Dichtertenor vervollkommnet das großartige Quartett. Und dass man für die winzige Nebenrolle des alten Liebhabers sogar einen, wenn auch abgesungenen, Samuel Ramey bemüht hat, beweist den Standard dieser Inszenierung. Total unterschätzt wurde schon immer Marco Armiliato als Dirigent (genau wie sein Bruder als großartiger Tenor). Hier zeigt er wieder einmal, zu welcher Klasse er eigentlich gehört. Eine wahre Spitzenaufnahme der Sonderklasse!
Eine Erweckung mit Phantasie und Pepp! Villazon hat gleich 3 Vorteile als Regisseur: er hat Phantasie, er weiß was Sängern zuzumuten ist und er kann Noten lesen, was die meisten seiner neumodischen Kollegen nicht von sich behaupten können. Und so entstand auch hier wieder eine werkgerechte, sängerfreundliche, sehr fantasievolle und auch witzige Inszenierung. Und sie steckt voller Überraschungen, die den vom Libretto her doch recht dürftige Traviata Aufguss bis zum Schluss spannend macht. Auch das Rätsel der neu erfundenen 3 Masken erzeugt Interesse und wird am Schluss recht intelligent aufgelöst. Das surrealistische Bühnenbild will ebenfalls erst mal verstanden werden und ist alles andere als langweilig. Also doch kein so schlechter Weg, um einer Oper, die vielleicht nicht zu den allerstärksten Schöpfungen gehört, das Interesse zu sichern, das sie dennoch verdient hat. Denn Puccini geht hier durchaus neue Wege, indem er die von Melodien überschäumenden Arien seiner 3 berühmten Opernknaller durch anspruchsvollen psychologisch durchdachten Sprechgesang ersetzt. Dinara Alieva und Charles Castronovo sind dafür beinahe eine echte Traumbesetzung. Und da alle um sie herum ebenfalls Klasse und Niveau haben, begeistert diese Einspielung vor allem den Kenner und empfiehlt das bisher so selten gespielte Schmerzenskind Puccinis auch anderen Theatern.
Fazit: Es lohnt sich wirklich, dieses leider fast vergessene doch recht interessante und federleichte Werk kennen zu lernen. Denn seine Probleme liegen nur im schwachen Libretto und keinesfalls in der Musik. Im Gegenteil. Puccini probiert hier neue interessante Wege mit einer Art melodienreichem Sprechgesang. Dem Neuling empfehle ich mit der wunderschönen sensiblen Inszenierung aus der MET zu beginnen. Kenner werden ihre intellektuelle Freude dazu auch an Villazons ideenreichem Rätselspiel haben, das musikalisch der anderen Aufnahme nicht nachsteht.
Peter Klier 30. April 2023