Premiere 1. Februar 2020
Philip Glass
Mit veränderter Handlung
Unter den Horror-Erzählungen von Edgar Allan Poe nimmt The Fall of the House of Usher (Der Untergang des Hauses Usher oder, wie Arno Schmidt lautmalerisch übersetzt, des Hauses Ascher) insofern eine besondere Stellung ein, daß schon in ihrem Motto (eine Laute klingt wie ein schlagendes Herz) und auch später immer wieder Musik erwähnt wird. Vielleicht auch deshalb gab sie Anregung für Opernkompositionen. Claude Debussy hinterließ La chute de la maison Usher unvollendet. Philip Glass vollendete seine Oper in zwei Akten auf ein Libretto von Arthur Yorick – mit 90 Minuten kurz im Vergleich zu seinen anderen Bühnenwerken – und brachte sie 1988 in den USA (Cambridge Massachusetts) zur Uraufführung.
Am Theater Münster war am vergangenen Samstag Premiere in der deutschen Fassung von Saskia M. Wesnigk unter der musikalischen Leitung von Stefan Veselka in der Inszenierung von Sebastian Ritschel, der die bekannte Handlung völlig veränderte und diese veränderte Handlung auch als Inhaltsangabe im Programmheft veröffentlichte, inzwischen üblich im sogenannten Regietheater..
Eigentlich wird der Ich-erzähler in Poe´s Novelle – in der Oper William geheissen – brieflich dringend zu seinem intimen Jugendfreund und Zechbruder Roderick Usher gerufen. Letzterer, degenerierter letzter Sproß eines alten Geschlechts, lebt geistig überspannt zusammen mit seiner Schwester Madeline in dem von einem modernden Teich umgebenen verfallenden Familiensitz. Die an Katalepsie (Starrsucht) erkrankte Madeline wird nach ihrem augenscheinlichen Tod von den beiden Männern wohl noch lebend im unterirdischen Verlies begraben, gelangt zurück in das düstere Zimmer ihres Bruders, den sie mit sich in den Tod reißt. Auf seiner Flucht sieht William, wie das uralte Gemäuer zusammenbricht und im Schlamm versinkt.
Dieses verfallende Haus als Zeichen des gestigen Verfalls von Roderick ahnte man zu Beginn auf der Bühne, während Teile des Bittbriefs von Roderick vorgetragen wurden. (dabei als Stimme Joachim Foerster) Dann wurde alles anders, denn der Regisseur wollte nach eigener Aussage "nicht die Musik platt bebildern" Vielmehr verwandelte sich durch Drehung die gesamte Bühnenmitte (Bühne ebenfalls von Sebastian Ritschel unter Mitarbeit von Sophia Debus) in eine riesige Maske, die wie die gesamte Handlung durch Spiegel als Bühnenboden und an den Seiten albtraumhaft verdoppelt wurde.
Diese Maske fertigte Roderick als Kunstwerk an, mit dem er die Schwester Madeline irgendwie wieder in sein Leben zurückrufen wollte. Er und der herbeigerufenen William fühlten sich nämlich mitschuldig, daß Madeline – nach Meinung des Regisseurs – im Alter von neun Jahren bei einem Brand ums Leben kam.
Der Wahnsinn von Roderick äusserte sich dadurch, daß er für die Aussenhaut dieser Maske Häute ermordeter Frauen benutzte. Wie mehrmals während der langen Orchesterzwischenspiele wieder durch Drehung der grossen Maske auf deren Rückseite in einem Operationszimmer zu sehen war, tötete der Arzt (in einer sängerisch kleineren Rolle Pascal Herington) diese Frauen mittels Spritze und zog ihnen Haut ab. Der Diener (in einer sängerisch noch kleineren Rolle Christoph Stegemann) schob diese dann auch immer wieder in einer Art Laborwagen über die Bühne. Diese im Programmheft als Opfer bezeichneten jungen maskierten Frauen sah man zwischendurch in unterschiedlichen aber für alle gleichen Kostümen und Masken (auch Sebastian Ritschel) wechselnd etwa zwischen Abendgarderobe und liegend als nackte Opfer auf der Bühne Als William dem Roderick eine Spieluhr in Form eines Totenkopfes als Erinnerung an die gemeinsame Kindheit überreichte, traten William, Roderick und Madeline dann im Rückblick als Jugendliche auf die Bühne, bei modernen Regisseuren heute üblich, wir sahen es noch neulich im Lohengrin in Dortmund.
Zum Schluß tritt ja eigentlich Madeline der Gruft entkommend wieder auf. Hier sahen wir sie sowohl mit verbundenen Brandverletzungen und zum Schluß wohl dem Wahn Rodericks als Vollendung seines Kunstwerks entsprungen in goldenem Ganzkörpergewand mit langer Schleppe. Sängerisch beschränkt sich die Partie auf Vokalisen. Besonders zum Schluß gelangen diese Marielle Murphy durchdringend mit bis zu hohen Tönen leuchtendem Sopran ohne falsches Vibrato. Stimmlich bewältigten auch Youn-Seong Shim die Tenorpartie des Roderick und Filippo Bettoschi die Bariton-Partie des William in der Art überhöhten Sprechgesangs mit kräftigen Stimmen sehr passend zu den extremen Rollen und weitgehend textverständlich. Die Übertitel waren eigentlich nur notwendig, wenn sie im Duett oder zusammen mit Madeline zu dritt sangen.
Hier mußten sie ansingen gegen das im Vergleich zu anderen Opern von Glass klein-besetzte (zwölf Musiker) aber elektronisch verstärkte Sinfonieorchester Münster. Das war schon nötig, da dazu etwa synthesizer und eine E-Gitarre gehörten – in Poe´s Erzählung spielt Roderick Gitarre. Das klang, wie die minimal music von Glass eben klingt, dauernde Wiederholung derselben Akkorde und Melodiestückchen. mit kleinen Änderungen. Da ist es der musikalischen Leitung von Stefan Veselka zu danken, daß auch vorhandene Wechsel der Klangfarben besonders in den langen Zwischenspielen hörbar wurden und das Zusammenwirken mit den Sängern und dem irrealen Bühnengeschehen klappte.
Grosse Teile des Premierenpublikums störte offenbar die Diskrepanz zwischen dem Inhalt von Poe´s Novelle und der erlebten Aufführung nicht. Es gab kräftigen Beifall für Sänger, den Dirigenten und sein Orchester, die so sehr geforderten Statisten und auch für das Leitungsteam.
Sigi Brockmann 3. Februar 2020
Fotos Oliver Berg