Besuchte Aufführung: 4.11.2014 (Premiere: 25.10.2014) im Landestheater
Der Narr und der Faschismus
Zu einem Opernereignis der besonderen Art geriet die Neuproduktion von Verdis „Rigoletto“ am Landestheater Salzburg. Geradezu sensationell mutete die in jeder Beziehung geglückte Aufführung an, für die das Haus für Mozart einen adäquaten Rahmen lieferte. Was an diesem Abend über die Bühne des ehemaligen Kleinen Festspielhauses ging, war hochkarätiges, spannungsgeladenes Musiktheater erster Güte, das am Ende von dem zahlreich erschienenen Publikum zurecht mit heftigem Applaus bedacht wurde.
Ivan Inverardi (Rigoletto), Statisterie
Überzeugend war bereits die Inszenierung von Amélie Niermeyer, die das Stück weitab von herkömmlichen Traditionen zur Zeit des italienischen Faschismus spielen lässt, was sich als glücklicher Einfall erwies. Die Rechnung ist voll aufgegangen, da sich die Handlungselemente der Oper bestens in das totalitäre Regime Italiens der 1930er Jahre einfügten. Frau Niermeyer hat das Werk in allen seinen Einzelheiten hervorragend durchdacht und auch technisch perfekt umgesetzt. Das ist eine Regisseurin, die ihr Handwerk ausgezeichnet versteht. Versiert zieht sie alle Register ihrer Kunst und präsentiert eine ungemein fesselnde, atemberaubende und atmosphärisch dichte Regiearbeit, die sich durch eine stringente, packende Personenführung und die vielfache Einbeziehung Tschechow’scher Elemente auszeichnete. Oft ließ sie Personen an Stellen auftreten, an denen Verdi und sein Librettist Piave für diese gar keinen Auftritt vorgesehen hatten. So erscheint die äußerst erotisch gezeichnete, von Kirsten Dephoff mit Strapsen, BH und einem einen großen Teil ihres Popos freilassenden String Tanga ausstaffierte Maddalena bereits im zweiten Bild. Mit großer Lüsternheit bearbeitet der Duca im letzten Akt ihre erogenen Zonen. Während des Quartetts „Bella figlia dell’ amore“ umarmt er gleichzeitig sie und die dazutretende Gilda. Frauen sind für ihn austauschbar, zweigleisig zu fahren ist für ihn kein Problem – ein starkes Bild, das seine Wirkung nicht verfehlte. Indes hat man das bei Àrpàd Schilling an der Bayerischen Staatsoper ähnlich gesehen. Nicht nur individuellen Schicksalen gilt das Interesse der Regisseurin, sondern auch den Auswüchsen der fast durchweg schwarz eingekleideten faschistischen Gesellschaft, innerhalb derer der traditionell vorgeführte Narr Rigoletto wie ein Fremdkörper wirkt. Einen Buckel trägt er nicht; seine Deformation ist nicht körperlicher, sondern seelischer Natur, entstanden durch die Fragwürdigkeit des sozialen Umfeldes.
Eri Nakamura (Gilda), Ivan Inverardi (Rigoletto)
Hier herrschen Zustände wie in Sodom und Gomorra. Gewalt, auch gegenüber den halbnackten Kindern des Ehepaars Ceprano, ist an der Tagesordnung. Der Graf von Monterone wird grausam gefoltert und schließlich blutüberströmt erschossen. Auch Gilda wird nach ihrer Entführung, der Giovanna tatenlos zugesehen hat, immer wieder von den Höflingen heftig drangsaliert, bevor sie der Duca schließlich nach einer Auseinandersetzung mit seinen Untergebenen in seinen Schutz nimmt. Obwohl sich diese Gemeinschaft frauenfeindlich gibt, duldet sie Prostituierte in ihrer Mitte. Das Ganze nimmt oft einen regelrechten Bordell-Charakter an. Zu den japanischen Prostituierten, die hier ihre Dienste anbieten, hat offenbar auch die Mutter von Gilda gehört, die sich für Rigoletto nicht zu schade war und von ihm schwanger wurde. Es ist nur zu verständlich, dass der Narr seiner geliebten, ebenfalls sehr japanisch wirkenden Tochter ihre Herkunft verschweigt und sie einsperrt, um ihr einen seelischen Schock und das Leben in einer verrohten Gesellschaft zu ersparen. Hier dringt Frau Niermeyers Inszenierung einfühlsam in psychologische Gefilde vor. Als Sinnbild für das älteste Gewerbe der Welt fungieren hier weißblonde Perücken. Auch Gilda, die einen großen Teil des Abends lediglich im weißen Unterkleid bestreiten darf, nennt eine solche ihr eigen. Als sie gewahr wird, dass der Duca in der Maske des Studenten die Perücke und nicht sie zärtlich streichelt, wird ihr manches klar. Dennoch streift sie sich das falsche Haar über, um von dem Angebeteten geliebt zu werden, auch wenn sie dessen schlechten Charakter erkannt hat. Etwas später leert sie zur Kühlung ihrer heißen Liebesglut einen Wassereimer über ihrem Kopf aus.
Eri Nakamura (Gilda)
Alexander Müller-Elmau hat eine äußerlich ein wenig der Ästhetik von Pasolinis Film „Saló“ huldigende faschistische Machtzentrale auf die Bühne gestellt, deren gesamter Zuschnitt im Lauf des Abends sichtbar wird. Die verschiedenen Stockwerke, in denen sich die Handlung abspielt, sind durch einen in die Hinterwand integrierten Aufzug miteinander verbunden. Mit ihm wird der Ort des Geschehens immer wieder rasch gewechselt, wobei die Mauern in stetigem Wechsel hoch- und herunterfahren, der Lift aber stillsteht. Gleichzeitig ändert sich dabei auch der Charakter des Raumes. Das Ambiente des ersten Aktes gemahnt noch ein wenig an die Architektur der Renaissance. Rigoletto und Sparafucile treffen hingegen in einem ziemlich heruntergekommenen, maroden Raum aufeinander, der im Schlussakt auch an die Stelle des Wirtshauses tritt. Gildas Reich ist der karg anmutende, mit zwei Betten, Waschbecken und Stuhl nur spärlich eingerichtete Keller des Hauses, der ebenfalls schon bessere Tage gesehen hat. Die in einer oberen Etage angesiedelten Privaträume des Duca werden von prachtvollen Wänden in samtenem Violett gesäumt. Das Ende spielt sich auf dem Dach ab. Hier gelingt Frau Niermeyer noch einmal ein bravouröser Regieeinfall, wenn sie den Duca zu dem wegen der mit größter Brutalität erfolgten Ermordung seiner Tochter verzweifelten Rigoletto treten und ihm lässig-locker in Sinn von „Alles halb so wild“ die Hand auf die Schulter legen lässt, ehe er sich ungerührt davontrollt. Das war einer der eindringlichsten Momente der ganzen Inszenierung. Nicht die sterbende Tochter ist es, mit der der Narr beim Schlussduett Zwiesprache hält, sondern mit einer Vision aus dem Jenseits, einer inneren Stimme, während im Sack ein Double liegt – ein zwar nicht mehr neuer, aber immer wieder effektiver Einfall. Insgesamt haben wir es hier mit einer der eindrucksvollsten Inszenierungen des Werkes der vergangenen Jahre zu tun.
Ivan Inverardi (Rigoletto), Eri Nakamura (Gilda), Rame Lahaj (Duca), Tamara Gura (Maddalena)
In Adrian Kelly und dem brillant aufspielenden Mozarteumorchester Salzburg hatte Verdis Musik ausgezeichnete Vertreter. Bereits die von packenden, in atemberaubende Höhepunkte mündenden Crescendi beherrschte Ouvertüre atmete eine ungeheure Fulminanz. Kellys Dirigat zeichnete sich insgesamt durch einen mitreißenden Duktus voller markanter Akzente und glutvoller Emotionalität aus. Und auch eine schöne Italianita und lang gesponnene Bögen kamen in seiner Interpretation nicht zu kurz.
Statisterie, Ivan Inverardi (Rigoletto), Eri Nakamura (Gilda)
Und was für phantastische Sänger, die sich teilweise aus Gästen, teils aus dem Ensemble rekrutierten, hatte das Salzburger Landestheater doch aufgeboten. Es spricht für dessen hochkarätiges Niveau, dass an diesem Abend fast alle Gesangssolisten vorbildlich im Körper sangen. Ivan Inverardi war ein darstellerisch von der Regie etwas plump angelegter Rigoletto, dem er auch gesanglich mit seinem kräftigen, robusten Bariton, den er ausdrucksstark und intensiv einzusetzen wusste, voll gerecht wurde. Dass ihm die Intonation hier und da mal leicht zu tief geriet, fällt angesichts seiner imposanten Gesamtleistung nicht ins Gewicht. Einen wunderbaren Sopran bester südländischer Schulung brachte Eki Nakamura, die man noch aus München in guter Erinnerung hat, für die Gilda mit. Wunderbar, wie ihre nuancenreiche, ebenmäßig geführte und farbenreiche Stimme zur Höhe hin fein aufblühte und auch in diesem Bereich noch eine ansprechende Pianokultur aufwies. Insbesondere ihre recht emotional vorgetragene E-Dur-Arie „Caro nome“ profitierte von diesem Vorzügen. Insgesamt gelang ihr ein einfühlsames Rollenportrait. Seinen beiden großartigen Mitstreitern in nichts nach stand Rame Lahaj, der mit frischem, impulsivem Spiel und einem virilen, höhensicheren Tenor als Duca glänzte. Dem Sparafucile verlieh mit sonorem, prägnantem Bass Alexey Birkus die notwendige Unheimlichkeit. Tamara Gura, die einem noch von ihrer Karlsruher Zeit her ein Begriff war, machte die äußerst erotische regieliche Anlage der Maddalena nicht die geringsten Schwierigkeiten. Auch vokal entsprach sie mit profundem, sinnlichem Mezzosopran ihrer Rolle voll und ganz. Gut sitzendes, fülliges Stimmmaterial brachte die junge Frances Pappas für die Giovanna mit. Einar Th. Gudmundsson schlug sich stimmlich achtbar, blieb dem Monterone aber die notwendige Dämonie schuldig. Für die beiden Höflinge Marullo und Borsa, sonst die Domäne leichter Stimmen, stellten die rund und tiefgründig singenden Simon Schnorr und Franz Supper regelrechte Luxusbesetzungen dar. Solide war Ugur Okays Conte di Ceprano. Übertroffen wurde er von der tadellos intonierenden Contessa di Ceprano von Meredith Hoffmann-Thomson und Ayse Senoguls Paggio. Ein reichlich flachstimmiger Usciere war Latchezar Spasov. Auf hohem Niveau bewegte sich der markant singende Chor, den Stefan Müller bestens einstudiert hatte.
Fazit: Herzlichen Glückwünschen an das Landestheater Salzburg für diesen in jeder Beziehung imposanten, preisverdächtigen „Rigoletto“, der einen wesentlichen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte darstellt. Der Besuch der Aufführung wird sehr empfohlen!
Ludwig Steinbach, 5.11.2014
Die Bilder stammen von Christina Canaval