28.1.2019 (Premiere am 17.1.)
Ein barockes Gesamtkunstwerk augenzwinkernd aufbereitet
Im Theater an der Wien wurde dem Publikum am 29. November 2014 unter der musikalischen Leitung von Robert King eine konzertante Aufführung von King Arthur vorgestellt, welche sich unter Verzicht auf die gesprochene Handlung auf die Nebenschauplätze dieser Semi-opera beschränkte. Eine szenische Aufführung gab es bei den Salzburger Festspielen 2004. Die gegenwärtige Produktion ist eine Übernahme der Staatsoper Unter den Linden 2017 im Schillertheater in Berlin. Bei „King Arthur, or The British Worthy“ (Der britische Held) handelt es sich um ein fünfaktiges Schauspiel samt Prolog von John Dryden (1631-1700) in englischer Sprache, für das Purcell anlässlich der Wiederaufführung 1691 am Queen’s Theatre in Dorset Garden in London eine Art „Schauspielmusik“ komponiert hatte. Die eigentliche Handlung wird von Schauspielern vorgeführt, während die gesanglichen Teile, die nur lose mit der eigentlichen Handlung verwoben sind, den Nebencharakteren vorbehalten bleiben. Die Handlung konzentriert sich im Wesentlichen um die Bemühungen Arthurs seine blinde Verlobte, die Prinzessin Emmeline von Cornwall, aus den Armen des Sachsenkönigs Oswald von Kent, seines Erzfeindes, zu befreien.
Sven-Eric Bechtolf verpasste Drydens Drama gemeinsam mit seinem Bühnenbildner und Co-Regisseur Julian Crouch eine Rahmenhandlung, in der ein kleiner Junge namens Arthur, der offenbar während des zweiten Weltkriegs lebt, als Geburtstagsgeschenk von seinem Großvater ein Buch mit der Artussage erhält. Schon in der Salzburger Zauberflöte 2018 ließ Regisseurin Lydia Steier den drei Knaben vom Großvater eine Geschichte vorlesen. Der Flugzeugabsturz seines Vaters löste in dem Knaben Arthur offenbar ein Kindheitstrauma aus und so macht der aufsässige Knabe seine Mutter für dessen Tod verantwortlich. In den Fieberfantasien des Knaben jedoch mutiert der tote Vater zu König Arthur, die verwitwete Mutter aber zu Emmeline. Am Ende dieses etwas mehr als dreistündigen Abends klettert dann Klein-Arthur ebenfalls in eine einmotorige Cessna, um sich dem Ideal des „Rule Britannia“ (James Thomson) hinzugeben und dem Schlachtentod freudig entgegen zu fliegen…
Die Kostüme von Kevin Pollard räumten der Fantasie breiten Raum ein und schreckten auch nicht vor derber Obszönität zurück. Die barocken Säulen wurden durch eine geschickte Beleuchtung von Olaf Freese in einen wundersamen Zauberwald verwandelt, während die Videoprojektionen von Joshua Higgason das barocke Spektakel in die Zeit der Rahmenhandlung, also in die 40ger Jahre des vorigen Jhd., versetzten. Gail Skrela ersann noch die stimmige Bewegungschoreographie. Wolfgang Wiens und Hans Duncker haben die gesprochenen Texte dieser Semi-Opera ins Deutsche übersetzt. René Jacobs schuf eine eigene Fassung indem er einige Tänze Purcells als pantomimische Szenen einbaute. Zwischen die handlungstreibenden Szenen wurden von Purcell sieben aus mehreren Nummern bestehende musikalische Blöcke gleichsam als „Spiel im Spiel“ eingebaut.
Den Sprechtheaterteil haben die Schauspieler und Schauspielerinnen der Berliner Aufführung mit zwei Ausnahmen übernommen. Die Rolle des Merlin, die in Berlin noch von dem mittlerweile verstorbenen Hans-Michael Rehberg verkörpert wurde, hat in Wien Jörg Gudzuhn großväterlich freundlich interpretiert. Conon, in Berlin noch Axel Wandtke, wurde in Wien von Roland Renner dargestellt. Michael Rotschopf gab einen heldenhaften King Arthur, als blinde Emmeline, die in einer berührenden Szene wieder das Augenlicht erlangt, konnte Meike Droste punkten; Oliver Stokowksi gefiel in der Rolle des Intriganten Osmond an der Seite der feindlichen Sachsen; Max Urlacher gab den eher schwächelnden sächsischen Anführer Oswald und in der Rahmenhandlung den schüchternen Liebhaber Dr. Oswald; Tom Radisch ergänzte als böser Erdgeist Grimbald, Sigrid Maria Schnückel als köstliche Amme Mathilda und Steffen Scheumann als Pfarrer Aurelius. In der von mir besuchten Vorstellung war Quentin Retzl als pubertierender junger Arthur zu sehen. Martina Janková konnte als Luftgeist Philidel, gleich dem Luftgeist „Ariel“ in Thomas Adès Oper „The Tempest“, anmutig über die Szenerie schweben und viele herrliche Spitzentöne verbreiten. Robin Johannsen verströmte ihren prächtigen Sopran auch in mehreren Rollen. Die beiden Tenöre Johannes Bamberger und Mark Milhofer setzten ihre eher schlanken Stimmen gekonnt zu Gehör; die beiden Bässe Dumitru Mădărăşan und Jonathan Lemalu ergänzten rollengerecht, wobei Letzterer im dritten Akt noch den von Klaus Nomi einst zum Kult Song geadelten „Cold-Song“ mit wahrhaft kälteschlotternder Stimme interpretieren durfte.
Der in Venezuela geborene Altist Rodrigo Sosa Dal Pozzo gefiel mit seiner eher dunkel abgefärbten Stimme. Der Concentus Musicus Wien unter der Leitung von Stefan Gottfried unterstrich den tänzerischen Stil von Purcells Musik, wobei die barocken Blechbläser fallweise etwas unreine Töne produzierten. Der von Erwin Ortner geleitete Arnold Schoenberg Chor musste dieses Mal neben seinen unzweifelhaft hohen musikalischen Qualitäten auch sein schauspielerisches Talent in den unterschiedlichsten Kostümen unter Beweis stellen. Der Schlussapplaus fiel trotz mancher Längen äußerst wohlwollend aus. Dem Regieteam war es offenbar gelungen, Schauspiel und Oper handwerklich derart gut zusammen zu schweißen ohne allzu große Langeweile beim Publikum aufkommen zu lassen. Chapeau!!!
Harald Lacina 30.1.2019