Als Keith Warner einst den Lohengrin bei den Bayreuther Festspielen inszenierte, sagte er, dass die Grundfarbe der Oper für ihn Schwarz sei. So sah die Bühne dann auch meist aus: ein Waste Land auf schwarzem Grund. Ein unbefangener Hörer, der die Farbe der Oper nach dem Klang der Musik beurteilen müsste, käme nach Anhören des Vorspiels mit größter Wahrscheinlichkeit auf einen schimmernden Silberton. Der Lohengrin, der 2018 in Bayreuth herauskam, zeichnete sich äußerlich durch eine Farbe aus, die eher in der Silbernähe als dem Schwarzgrund zu verorten ist: das Blau war unübersehbar; hinzu kam, bei Elsa, ein grelles Orange, zuletzt bei der Erscheinung Gottfrieds ein intensives Grün, das manch Beobachter an das Grün der DDR-Ampelmännchen erinnerte.
Wir begegnen all diesen Farben und Figuren in einem Band, der – das ist bei den Festspielen inzwischen eine gute Tradition – die Produktion nachträglich dokumentiert. Es war ja nicht das erste Mal, dass sich ein, in diesem Fall zwei bildende Künstler an einem Bayreuther Lohengrin beteiligten, in diesem Fall das Künstlerpaar Rosa Loy und Neo Rauch. Auch von Henning von Gierkes Entwürfen zu einem romantischen Lohengrin, der die Geschichte symbolistisch durch die vier Jahreszeiten und die deutsche Kunstgeschichte (mit einer tiefen Verbeugung vor Caspar David Friedrich) führte, gibt es einen Kunstband, der die Idee der Inszenierung ästhetisch erläutert. Im Fall des neuen Buchs zum Lohengrin von 2018 ist dies nur bedingt der Fall – denn Erklärungen zu den Bildfindungen, den Flügeln und dem Elektrowerk, finden sich weniger hier als im Programmheft der Premiere. Worauf die Insektenflügel des Fliegenvolks und die Käfer für Ortrud verweisen, bleibt nach wie vor persönliche Interpretationssache: je nach Insektenzu- oder abneigung. Dass sich das grundlegende Blau und die Gestalt der Kostüme vor allem, mit Abweichungen zu Strickweste und Overall, auf das Goldene Zeitalter der Niederlande und die Kunst der Delfter Kacheln beziehen, ist dagegen klar. Wer sich also die blauen Wolkenprospekte, die blauen Kostümentwürfe für die Damen und Herren des Chors, für König Heinrich und die vier blauen Edlen genauer anschauen will, erhält jetzt durch einen schön gestalteten und ebenso schön gebundenen Band eine Gelegenheit, die sich der Bayreuth-Aficionado selbst dann nicht entgehen lassen sollte, wenn er die Inszenierung schlicht und einfach ridikül fand; über Geschmack (betr. der Bühnenbilder und Kostüme) lässt sich im Übrigen nicht streiten. Loy und Rauch sprechen, in Tusche und Acryl, eine durchaus unterschiedliche Zeichensprache, aber wer Rauchs Gemälde kennt, wird in Loys Skizzen das genaue Widerspiel einer ästhetischen Idee entdecken, die in diesem Fall das traditionelle Herbeizitierte und das interpretatorisch Gewagte – das gleichzeitig sehr einschichtig ist – in Eins setzte. „Spannung, Energie, Elektrizität“, das war es auch schon, eingepackt in, ja, interessante Bilder, aber wie so oft sind die Entwürfe bisweilen faszinierender als die fertigen Produkte. Das wussten vielleicht schon die Maler des Barock, deren Bozetti moderner sind als die vollendeten Altartafeln. Also ein weiterer Pluspunkt für dieses neue Bayreuth-Produkt.
Was hier vorgelegt wurde, ist also ein autonomer Kunstband, der für den Wagnerneuling den Komplettabdruck des Textbuchs und für den „Kenner“ die Skizzen, Entwürfe und ein Gespräch mit dem Dirigenten der 2018er-Premiere, Christian Thielemann, bereithält. Was er zu sagen hat, ist durchwegs beachtenswert. Als langjähriger Praktiker im Graben der Bayreuther Festspiele weiß er um die Tücken und Vorzüge desselben, aber auch um den eigenen Charme der „Romantischen Oper“. Was er über den Theater-Charakter des Werks und seine singuläre Stellung in Wagners Oeuvre zu sagen hat, ist aphoristisch und genau – und seine Kritik an Elsa, die zu früh fragt, ist diskutabel; die meisten Regisseure dürften das anders sehen, während Thielemann eher (s)einen Wagner von innen befragt. So wie Loy und Rauch, die ihre eigene Sicht auf den ins Heute transzendierten Märchenstoff im Kunstbuch verewigt haben. Wie gesagt: Für Kenner und Neulinge, für Kunstfreunde und Bayreuth-Narren.
Und wenn er genau hinschaut, weicht das Blau nicht selten dem nächtlichen Schwarz.
Frank Piontek, 16. Mai 2023
Richard Wagner: Lohengrin.
In Bildern von Rosa Loy und Neo Rauch.
152 Seiten, 51 farbige Abbildungen.
Verlag C.H. Beck. 34 Euro.