Premiere am 10. März 2018
Wieder ein großartiger Opernabend auf Teneriffa
Nach einer exzellenten „Norma“ im vergangenen Jahr wartete die Ópera de Tenerife im futuristischen Auditório Ádán Martín vom in Katalonien geborenen spanisch-schweizerischen Stararchitekten Santiago Calatrava dieses Jahr mit einer ebenso beachtlichen Inszenierung von Giuseppes Verdis romantischer Oper „Don Carlo“ durch den italienischen Regisseur Cesare Lievi auf, die dreimal aufgeführt wurde. Von Jahr zu Jahr präsentiert die Compagnie ein immer umfangreicheres und anspruchsvolleres Opernprogramm. Dieses Jahr stehen auf dem Spielplan „I Capuleti e i Montecchi“, „Faust“ von Ch. Gounod, das Verdi-Requiem (alle Ende 2017), „Don Carlo“, „Die Zauberflöte (im April), „La traviata (im Mai), sowie die Zarzuela „Luisa Fernanda“ von Federico Moreno Torroba (im Juni 2018). Immer mehr bringt die Ópera de Tenerife auch Koproduktionen heraus. So war der „Don Carlo“ eine Koproduktion mit dem Teatro Regio di Parma und dem Teatro Carlo Felice di Genova. Nur „Die Zauberflöte“ im April wird eine eigene Produktion sein.
Lievi zeigt mit seinem florentinischen Bühnen- und Kostümbildner Maurizio Baló das Drama um den spanischen Infanten Don Carlo und seine französische Geliebte Elisabetta di Valois in kargen und kalten Bildern, die fast stets von hellem Carrara-Marmor gebildet und vom italienischen Lichtdesigner Andrea Borelli entsprechend kalt ausgeleuchtet werden. Es herrschen Schwarz- und Grautöne vor, gelegentlich etwas unterbrochen vom düsteren Grün der Hecken königlicher Gärten.
So beginnt das erste Bild gleich mit der riesigen, vertikal stehenden marmornen Grabplatte Karls des V. mit einem großen Lorbeerkranz und Schleifen in den spanischen Nationalfarben sowie den goldenen Lettern des verblichenen Königs. Die Szenerie erinnert etwas an das Valle de los Caídos bei Madrid. Unter dieser Grabplatte treffen Carlo und Rodrigo wie in einer negativen Symbolik zum ersten Mal zusammen. Die Bilder machen unverständlich deutlich, dass in dieser monumentalen Kälte des spanischen Hofes die Liebe zwischen Carlo und Elisabetta von Beginn an zum Scheitern verurteilt ist.
Das Gleiche trifft bei dieser optischen Ästhetik auf das Ansinnens Carlos und vor allem Rodrigos zu, den Flamen aus der spanischen Besatzung unter Philipp II. zu helfen und für ihr Volk um Gnade zu bitten. In umso stärkerem Kontrast dazu stehen die blutüberströmten Ketzer, die vor dem Autodafé von ihren ebenso geschundenen Leidensgenossen über die Bühne gekarrt werden.
Die exzellente und stets auf den Punkt gebrachte Personenführung Lievis stellt die despotische Machtauffassung Philipps II. heraus und das Draufgängerische im Wesen Carlos und Rodrigos dazu in wirkungsvollem Kontrast. So wird die Bedrohung des Königs durch Carlo mit dem Degen unter des Königs Kinn zu einem der stärksten Momente des Abends.
Zu diesen Momenten zählt auch der Auftritt des Großinquisitors in scharlachrotem Gewand, welches schon allein an den Blutzoll der Inquisition erinnert, und des Königs Verzweiflung angesichts der Macht des „Altars“. Ungewohnt einfallsreich gelingt auch des Königs trauriger Monolog „Sie hat mich nie geliebt…“, bei dem Elisabetta zu Beginn noch auf einem Stuhl in seiner Kammer sitzt und diese dann wie zum Beweis der Richtigkeit seiner Vermutung langsam verlässt. Die einer Art Reichskanzlei ähnelnde „Kammer“ des Königs wird von einer gigantischen bronzenen Weltkarte beherrscht, auf der die spanischen Besitzungen zur Zeit Philipp II. hervorgehoben sind – Dokument eines grenzenlosen Machtanspruchs! Die Eröffnung der Privatschatulle durch den König vor Elisabetta und die Szenen der Prinzessin Eboli sind weitere szenische Höhepunkte. Eboli wird hier eine starke Rollenstudie gewährt. Das gesamte Regieteam einschließlich des ebenfalls italienischen Dirigenten Jader Bignamini hatte an diesem Abend sein Hausdebut im Auditório.
Zur szenischen Klarheit und dramaturgischen Intensität konnte die Ópera de Tenerife auch diesmal wieder ein erstklassiges Sängerensemble aufbieten. Der international bekannte und weltweit auftretende spanische Tenor José Bros, der hier schon 2016 den Werther gesungen hatte (Merker 04/2016), verkörperte den Don Carlo mit einem durchschlagskräftigen und höhensicheren, eher hellen Tenor. Er klang allerdings in den dramatischeren Passagen etwas eng.
Man merkte Bros die große Rollenerfahrung an, hätte sich bisweilen aber etwas mehr darstellerisches Engagement gewünscht. Dieses legte der italienische Bariton Simone Alberghini als Rodrigo an den Tag, der eine eindringliche Charakterstudie des traurigen „Grande di Spagna“ zeichnete. Sein warm klingender und dunkel gefärbter Bariton passte bestens zur Rolle. Zwar ließ er sich zum 3. Akt mit einer kleinen Infektion ansagen. Dies ließ aber seine vokale Leistung noch besser erscheinen. Der Italiener Riccardo Zanellato gestaltete einen eindringlichen Philipp II. mit einem klangvollen und ausdrucksstarken Bass bei exzellenter Diktion und konnte die Tragik der Figur in allen relevanten Facetten ausleuchten.
Die Kanarierin Yolanda Auyanet war schon im Vorjahr eine exzellente Norma (Merker 04/2017) und auch an diesem Abend eine hervorragende Elisabetta di Valois, und zwar sowohl stimmlich wie darstellerisch. Mit ihrem kraftvollen und hell timbrierten Sopran bei hoher Wortdeutlichkeit und sicheren Spitzentönen konnte sie die ganze Emotionalität der Rolle über die Rampe bringen und in allen Szenen mit ihren PartnerInnen ein hohes Maß an darstellerischem Ausdruck erzielen. Um keinen Deut stand ihr die weithin bekannte Ungarin Ildikó Komlósi als Prinzessin Eboli nach, die eindrucksvoll auf größte Dramatik setzte, ohne dabei nie die erstklassige sängerische Linie zu verlassen. Ihr technisch bestens geführter Mezzo verfügt über eine ebenso volle Tiefe wie blendende Höhe bei enormer Ausdruckkraft. Die beiden Damen wurden auch in der Gunst des Publikums zu den Stars des Abends!
Der Brasilianer Luiz-Ottavio Faria sprang als Großinquisitor für Alessandro Guerzoni ein und strahlte auf eindringliche Weise die ganze Macht und Kompromisslosigkeit der Kirche zu Zeiten der dunkelsten Inquisition aus. Eine starke Charakterstudie! Nicht zu vergessen sei die Russin Nina Solodovnikova als Tebaldo, die mit einem schönen lyrischen Sopran für ansprechende kurze Intermezzi sorgte. Ferner sang der Italiener Lorenzo Malagola den Frate und der Costa Ricaner David Astorga den Conte di Lerma. Die Italienerin Gloria Giurgola war klangschön traurig als Stimme des Himmels zu vernehmen. Der Chor der Ópera de Tenerife wurde von der Kanarierin Carmen Cruz einstudiert und sang in allen Szenen klar und transparent sowie mit beeindruckender Stimmkraft.
Schicksalsdräuend, glasklar und imponierend begannen die Hörner das Vorspiel zum 1. Akt, und mit dieser musikalischen Qualität der Sinfónica de Tenerife sollte es unter Jader Bignamini den ganzen Abend über weiter gehen. Er verstand die geniale Partitur Verdis insbesondere in all ihren emotionalen Momenten auszuleuchten und spornte die Musiker zu feiner musikalischer Linienführung und einer Betonung der dramatischen Momente an. Ebenso gelangen aber auch feinste Piani. Zu jeden Zeitpunkt bestand große Einheit zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem Gaben, sodass dieser „Don Carlo“ wie aus einem Guss wirkte.
Am Schluss spaltet sich die marmorne Grabplatte Königs Karl V. in zwei Teile, zu des Großinquisitors „É la voce di Carlo!“ tritt dieser mit der Königskrone hervor und nimmt Don Carlo vor dem Zugriff seines Vaters und der Inquisition in Schutz – starkes Finale eines großartigen Opernabends auf Teneriffa! Das Premierenpublikum spendete enthusiastischen Applaus bis hin zu standing ovations für Auyanet und Komlósi.
Klaus Billand 22.3.2018
Fotos von Miguel Barreto © 2018 Auditorio de Tenerife