Premiere am 9. September 2016
Grosse Emotionen auf kleiner Bühne
Nach dem gelungenen Auftakt mit „Rheingold“ im vergangenen Jahr heißt es auch im ostwestfälischen Minden wieder „Wir schaffen das“ – wir, das sind vor allem die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von GMD Frank Beermann und Dr. Jutta Hering-Winckler, die enorm engagierte Vorsitzende des Richard-Wagner-Verbands Minden. Schaffen wollen sie, daß im kleinen Stadttheater Minden (Intendantin Andrea Krauledat) in vier Jahren hintereinander aufgeführt wird Richard Wagners Bühnenfestspiel für einen Vorabend und drei Tage „Der Ring des Nibelungen“. Auf den Vorabend „Das Rheingold“ im vergangenen Jahr folgte nun der erste Tag „Die Walküre“ der emotional mitreissendste Teil der Tetralogie, vorweg sei gesagt „Gelungen ist auch der zweite“ Teil! Wieder war das Orchester hinten auf der Bühne zu sehen und fand die Handlung auf der Vorderbühne statt.
Deren Begrenzung durch einen viereckigen Holzrahmen mit darin befindlichem riesigen je nach Handlung im verschiedenen Farben leuchtenden Ring hatte Frank Philipp Schlößmann vom „Rheingold“ übernommen. Entsprechende Form hatte die Esche im I. Aufzug und solche Ring-Abschnitte sah man auch im II. und III. Aufzug. Geblieben war auch die an der linken Bühnenseite nach oben führende Treppe – des vornehmen Hundings Schlafzimmer war natürlich im ersten Obergeschoß. Die Kostüme deuteten Mittelalter an. Demgemäß gingen die Walküren „mit dem Pfeil, dem Bogen“ und Schwertern auf Heldenjagd, wobei sie als Trophäen Waffen und Brustpanzer mitbrachten, aber auch ein römisches Feldzeichen. Das Denkmal für Hermann, der die Römer besiegte. steht ja nicht weit entfernt.
Wieder sorgte Matthias Lippert für passende Videos wie etwa Stacheldraht für die von Wotan geplante Not des Wälsungen-Paars, fallende Felsbrocken für Wotans Einsicht in das Scheitern seiner Pläne, oder der vom „Rheingold“ bekannte Hintergrund-Ring für den III. Aufzug. Hunde, mit denen Hunding Siegmund verfolgte, wurden durch ein Video mit Aufnahmen dafür ausgesuchter Mindener Hunde angedeutet, ob letzteres auch für die Pferde des Walküren-Ritts zutrifft, ist nicht bekannt.
In diesem Rahmen inszenierte Gerd Heinz ganz nach Wagners Vorstellungen Leidenschaften, Machtpoker und Enttäuschungen nach eigenem Bekunden als „Kammerspiel“ – nur möglich in Minden, wo die Darsteller nah am Zuschauer ohne trennenden Orchestergraben oder -deckel agierten. Dabei gelang es, durch das Spiel die Handlung zu vertiefen, nicht sie zu verharmlosen oder zu karikieren. Nie sah man zum Beispiel so nah, wie Sieglinde und Siegmund im I. Aufzug beim Betrachten ihrer Gesichter deren Ähnlichkeit entdeckten, oder, wenn bei der Todverkündung auf Siegmunds Frage, ob er Wotan und seinen Vater Wälse in Walhall fände, Brünnhilde grinste, weil sie ja wußte, daß Wotan beides war. Etwas heitere Abwechslung im traurigen Stück zeigte sich auch, wenn etwa Fricka sich nach Wotans Ausspruch „Nimm den Eid“ diesen schriftlich geben ließ.
Erfolg konnte dieses Konzept nur haben, weil alle Mitwirkenden trotz des grossen Orchesters so textverständlich wie eben möglich sangen, der vollständige Abdruck des Textes im Programmheft hilft da wohl nur nachträglich.
Eine ideale Sieglinde in Aussehen, Spiel und Gesang gelang Magdalena Anna Hofmann. Jubel über die Aussicht auf Befreiung aus der erzwungenen Ehe machte sie mit exakt getroffenen Spitzentönen über den Orchesterklang hinweg ebenso deutlich wie den Selbstzweifel im II. Aufzug. Die tiefe Lage fast ohne Orchester im III. Aufzug bei „Nicht sehre dich..“ gelang ergreifend so auch das Legato der Spitzentöne beim „hehrsten Wunder“ Für ihren Siegmund stand mit Thomas Mohr ein stimmgewaltiger Heldentenor mit ewig langen „Wälse“-Rufen auf der Bühne. Er beherrschte aber auch Legato-Bögen, etwa in der Todverkündung, oder zartes p, etwa bei „So schlummre nun fort“. Sein Stimmfarbe blieb allerdings stets gleich, ob er von Rache oder Liebe sang. Spitzentöne zu forcieren hätte er nicht nötig gehabt.
Eine Idealbesetzung nach Isolde vor einigen Jahren war wieder Dara Hobbs in der Titelpartie der Brünnhilde. Oktavensprünge und folgender Triller beim ersten „hojotoho“ klangen jugendlich. Dabei spielte sie überzeugend beweglich das übermütige, lustige – so nennt sie sich ja selbst – Kampf-Girl. Nach den Legato-bögen der Todverkündung wurde sie auch stimmlich durch Siegmunds bedingungslose Liebe zu Sieglinde zur mitfühlenden Frau. Ebenso glaubwürdig gestaltete sie Verzweiflung mit den für Wagner-Sängerinnen manchmal schwierigen tiefen unbegleiteten p-Stellen wie etwa „War es so schmählich“, dann folgte perfekt gespielt die Erleichterung, daß sie den gewünschten Mann kriegen wird.
Seine Erfahrung mit der Riesenrolle des Wotan in der Walküre merkte man Renatus Mészár schon daran an, wie gut er tiefe und hohe Töne traf und seine Stimmkraft bis zum gelungenen Schluß einteilte. Nach verhaltenem Parlando-Beginn der Erzählung im II. Aufzug gestaltete er überlegen die grossen stimmlichen Ausbrüche . Im III. Aufzug half ihm dabei, daß er grosse Teile rechts im I. Rang oder links oben auf der Treppe singen konnte und so mit seinem für diese Partie hell timbrierten Bariton besser über das Orchester hinweg verständlich blieb.
Aus seiner angetrauten Fricka machte Kathrin Göring darstellerisch und sängerisch ein wahres Kabinettstück. Groß gewachsen gekleidet in vornehmen Pelz, deckte sie – ganz die Göttin – anklagend und ironisch mit makelloser Stimme Wotans Doppelspiel überzeugend auf. Später sang sie dann auch noch als Walküre die Waltraute.
Hunding spielte und sang mit tiefem fast zu wohlklingenden Baß Tijl Faveyts , ganz lässig als reicher selbstbewußter Lehnsherr auftretend. Auch körperlich mußte er als Hunding widerstandsfähig gewesen sein, denn noch am Ende des I. Aufzugs überwand er die Wirkung von Sieglindes Schlafmittel und taumelte auf die Bühne.
Die acht Walküren waren trotz Hin- und Her- Laufens – auch auf den Rängen – immer so platziert, daß sie mit Blick auf den Dirigenten die schwierigen Ensembles sicher bewältigen konnten. Mit Oktavensprung bis zum strahlenden hohen C und Triller zeigte Julia Bauer (Freia im „Rheingold“)hochdramatische Gesangskunst, dies später zusammen mit Christine Buffle als Ortlinde. Den andere verliehen Julia Borchert, Evelyn Krahe, (Erda im „Rheingold“) Dorothea Winkel, Tiina Penttinen und Yvonne Berg treffsichere Walküren-.Stimmen.
Für diese erfreulichen Gesangsleistungen war das akustische Fundament und dank Wagners Motivtechnik und Instrumentation der Hauptträger des Dramas die Nordwestdeutsche Philharmonie unter Leitung von Frank Beermann. Er differenzierte je nach Handlung und musikalischer Entwicklung die Tempi, überdehnte nie, ließ aber gekonnt auch mal recht zügig musizieren, so hörte man Siegmund und Sieglinde als sehr feuriges Paar Hundings Hütte verlassen, und es ritten die Walküren durchaus im Galopp. Eindrucksvoll war auch, daß man an handlungsärmeren Stellen das gesamte Orchester sehen konnte. Bei seiner grossen Kantilene im I. Aufzug, als Sieglinde Siegmund zu trinken reicht, sah man und hörte bewundernd den Solocellisten. Auch die Soli von Klarinette, Oboe und Englischhorn klangen viel direkter als aus einem Orchestergraben. Alle Bläser, besonders die tiefen Blechbläser beeindruckten bei den p gespielten und rund klingenden Walhall-Motiven, vor allem zur Todverkündung. Zum Schluß liessen die Solo-Flöten die Flammen des Feuerzaubers so richtig züngeln.
Dank bühnenwirksamer Beleuchtungseffekte und einfühlsamer Orchesterbegleitung wurden Wotans Abschied – liebevoll deckte er Brünnhilde mit seinem Mantel zu – und Feuerzauber zu einem intensiven abschliessenden Theater- und Hörerlebnis
Entsprechend groß und ganz lange dauernd mit Bravos für Sänger, Orchester und Leitungsteam war der Applaus im ausverkauften Haus. Besucher kamen teils von weit her – so z.B. Paris oder natürlich Bayreuth, darunter viele Mitglieder von anderen Wagner-Verbänden. Sympathisch und passend war, daß neben den Sängern auch Solisten des Orchesters durch je eine Rose geehrt wurden
Möglich wurde die Aufführung wiederum durch Beiträge einiger grosser „Unterstützer“ und weit über hundert kleinerer Sponsoren, aber auch durch das Land NRW mit der Ministerpräsidentin als „Schirmherrin“ Den Schild, der Helden schirmte, wird Brünnhilde im „Siegfried“ erwähnen, Premiere am selben Orte vorgesehen für den 8. September 2017!.
Sigi Brockmann 11. September 2016
Fotos (c) Theater Minden / Dorothée Rapp und Friedrich Luchterhandt