Köln: Chen Reiss

Gürzenich-Orchester

Lahav Shani (Leitung)

Musikalische Botschafter aus Israel

Dass ein Dirigent vom Gürzenich-Orchester ein halbes Jahr nach seinem Debüt erneut eingeladen wird, ist ungewöhnlich. So erfolgreich die Konzerte von Lahav Shani Ende Juni auch waren, so sehr der junge Israeli die Musiker auch zu beeindrucken wusste: Auslöser für das Reengagement kann das nicht gewesen sein. Vielleicht eine überflüssige Überlegung. Und das aktuelle Konzert rechtfertigte die Maßnahme ohnehin nachdrücklich.

Es ist sicher keine zwingende Notwendigkeit, dass Dirigenten mit Kompositionen ihres Heimatlandes aufwarten. Doch alleine im Falle des Gürzenich-Ehrendirigenten Dmitri Kitajenko führt das immer wieder zu starken Eindrücken wie auch zu Begegnungen mit Werkraritäten. Shani hatte seinerzeit u.a. Serge Prokofjews „Ouvertüre über hebräische Themen“ und Ernest Blochs „Schelomo“ ins Programm genommen. Diesmal betonte die Mitwirkung der Sopranistin Chen Reiss den nationalen Akzent.

Aber auch bei den zwei Komponisten war jüdischer Hintergrund vorhanden. Von Felix Mendelssohn hörte man „Meeresstille und glückliche Fahrt“, von Gustav Mahler die vierte Sinfonie. Die Wahl von Wolfgang Amadeus Mozarts Konzertarie „Ch’io mi scordi di te? – Non temer, amato bene“ mit obligatem Klavier trug hingegen der Tatsache Rechnung, dass Lahav Shani auch ein exzellenter Pianist ist, der beim Spiel seine dirigentischen Aufgaben jedoch nicht aus den Augen verliert. Sämtliche Kompositionen bot das Gürzenich-Orchester übrigens zuletzt im September 2008 unter Markus Stenz.

Mendelssohns Konzertouvertüre ist, mit einem Goethe-Gedicht als literarischer Vorlage, eine sinfonische Dichtung, deren teils nebelhafte Klänge bereits an Claude Debussys „Le mer“ denken lassen. Bei Lahav Shani kamen diese fast schon impressionistischen Wirkungen ebenso stimmig zur Geltung wie später die Kapriolen der Holzbläser und das festliche, freilich wieder in einem Pianoraunen endende Finale. Der sehr körperhaft agierende Dirigent vermittelte seine musikalischen Vorstellungen mit teilweise äußerst vibrierender Gestik. Aber er ging auch souverän und gelassen mit ruhigen, gedehnten Passagen um.

Die Mozart-Arie ist eine mehr oder weniger offene Liebeserklärung des Komponisten an die Sängerin Anna Selina Storace, das Miteinander von Gesangsstimme und Klavier quasi ein zärtlicher Dialog. Am Beginn freilich steht ein schmerzdurchzogenes Rezitativ (Textübernahme aus „Idomeneo“). Der Klavierpart wirkt nicht als entbehrlicher Zierrat, sondern ist integraler, klanglich stimulierender Bestandteil der Orchestrierung. Chen Reiss war den heterogenen Ausdrucksforderungen wie auch der durchaus heiklen Tessitura blendend gewachsen.

Bei Mahler schien ihre Stimme um Grade lichter zu klingen, was den besungenen „himmlischen Freuden“ gut bekam. Lahav Shani wiederum fesselte nicht zuletzt mit orchestraler Ausdrucksvielfalt und der Fähigkeit, Musik atmen zu lassen.

Fotos (c) Marco Borggreve / Holger Talinsky / Paul Marc Mitchel

Christoph Zimmermann 12.11.2017