Wuppertal: „Intolleranza“ Luigi Nono

In den letzten 40 Jahren hat sich Dietrich Hilsdorf durch alle großen Opernhäuser NRWs inszeniert. In Gelsenkirchen begann seine Karriere 1982 mit „Eugen Onegin“. Am Essener Aalto-Theater stellte er sich 1988 mit einem fulminanten „Don Carlos“ vor. Danach folgten Inszenierungen in Münster, Bonn, der Deutschen Oper am Rhein und der Kölner Oper. Dass Hilsdorf zum Engels-Jahr Luigi Nonos Gastarbeiter-Passion „Intolleranza“ zum Engels-Jahr 2020 inszenieren sollte, war ein echter Coup von Intendant Berthold Schneider. Aufgrund von Corona gab es im Sommer 2021 immerhin einen Stream der Produktion, die nun für drei Aufführungen endlich das Scheinwerferlicht des Wuppertaler Opernhauses erblickte.

Was Luigi Nono in 75 Minuten über seinen Protagonisten, einen namenlosen Emigranten hereinbrechen lässt, ist schon erstaunlich: Ein Bergarbeiter verlässt seine Frau, gerät in eine Demonstration, wird verhaftet, gefoltert und in ein KZ gesperrt. Gemeinsam mit einem Algerier gelingt ihm die Flucht und findet eine neue Partnerin. Das neue Glück wird aber durch ein Hochwasser zerstört.

(c) Wuppertaler Bühnen

Ausstatter Dieter Richter verortet die Geschichte im Einheitsbühnenbild eines Containers, der zur Notunterkunft hergerichtet ist. Das funktioniert gut zum Beginn der Oper, wenn der Emigrant mit blutiger Metzgerschürze als Billigkraft der Fleischindustrie vorgestellt wird. Wenn dieser dann aber seine Frau verlässt und sich auf seine leidvolle Reise begibt, funktioniert diese Einheitsbühne nicht mehr. Der Weg des Emigranten müsste schon durch sich verändernde Räume gezeigt werden müssen. 

Regisseur Dietrich Hilsdorf lässt in den Übertiteln immer konkrete Daten des Jahres 2022 aufleuchten, wodurch das Stück den Anschein einer Dokumentaroper über die aktuelle Situation in der BRD bekommt. Wenn dann aber am 1. Mai die deutschen Polizisten wild prügelnd auf Demonstranten losgehen, verhaften und am 3. Mai verhören und foltern, entfernt sich Hilsdorf weit von der Realität, besonders, wenn man bedenkt, wie die Polizei aktuell in Russland oder dem Iran agiert. Die Flucht aus dem bundesdeutschen KZ-Container gelingt dann am 23. Oktober.

Gesungen wird in Wuppertal auf Italienisch obwohl in den meisten „Intolleranza“-Aufführungen die Übersetzung von Alfred Andersch genutzt wird. Die Texte sind aber sehr abstrakt und laden zu vielfältigen Interpretationen ein, so dass man sich fragt, ob dieses Stück wirklich solch eine konkrete Nacherzählung braucht? In der Personenführung ist Hilsdsorf sorgfältig und genau wie immer, schafft glaubhafte Charaktere, mit denen man mitfühlt.  

Tenor Markus Sung-Keun Park singt die extreme Partie des Emigranten mit souveränem Können. Da ist zum einen die immense Gedächtnisleistung zu bewundern, Nonos atonalen Melodiekurven auswendig zu lernen, und diese dann noch so zu gestalten, dass es wirkt, als es sei es die natürlichste Sache der Welt. Zudem gestaltet er die Rolle sehr schön, zeigt in den expressiven Ausbrüchen große Stimme, weiß aber auch ein feines Piano zu singen.

(c) Wuppertaler Bühnen

Auch das restliche Ensemble singt und spielt hervorragend: Annette Schönmüller als Frau und Lisa Mostin als Gefährtin verkörpern ihre Rollen mit selbstbewusstem und expressivem Gesang. Simon Stricker als Algerier und Sebastian Campione als Gefolterter interpretieren ihre Partien sehr einfühlsam. 

Das Orchester ist so groß besetzt, dass es aufgeteilt ist: Im Graben sitzen unter der Leitung von Nono-Spezialist Johannes Harneit die drahtig klingenden Streicher und Pauken. Auf der Hinterbühne musizieren die anderen Schlagwerker sowie die aggressiv aufspielenden Bläsergruppen unter dem Dirigat von Stefan Schreiber. Für zusätzlichen Raumklang sorgt der Chor der Wuppertaler Bühnen, der nur in wenigen Auftritten auf der Bühne steht, ansonsten aber im 2. Rang positioniert ist, und Nonos Musik mit stimmlicher Schlagkraft erklingen lässt.

Da Nonos „Intolleranza“ selten gezeigt wird, die letzte NRW-Produktion gab es im Jahr 2000 in Köln, sollte man sich dieses ungewöhnliche und anspruchsvolle Werk nicht entgehen lassen. Zwei weitere Aufführungen finden am 5. November und 16. Dezember statt. Das Team Harneit-Hilsdorf-Richter erarbeitet in der aktuellen Saison noch eine weitere wichtige zeitgenössische Oper: Im Mai 2023 bringen sie in Gelsenkirchen Aribert Reimanns „Bernarda Albas Haus“ heraus.

Rudolf Hermes, 03.11.22


Luigi Nono „Intolleranza“ / Premiere am 22.10.2022 Oper Wuppertal

Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf

Musikalische Leitung: Johannes Harneit

Sinfonieorchester Wuppertal