Berlin: „Intermezzo“, Richard Strauss

Intermezzi

Offensichtlich nicht dauerhaft, wenn überhaupt zu Herzen genommen hat sich Pauline Strauss die Lehren, die sie eigentlich hätte aus des Gatten Richard Oper Intermezzo ziehen müssen: Unüberlegtes Plaudern wie Handeln führt zu nichts Gutem, im nicht nur fiktionalen Bereich fast zur Scheidung zwischen den Eheleuten, in der brutalen Wirklichkeit hätte sie mit ihrem „…wenn der braune Spuk vorbei ist“ in Anwesenheit von Baldur von Schirach die sowieso schon gefährdete Familie gut ein Jahrzehnt später ins Verderben führen können.

© Monika Rittershaus

Vor 100 Jahren fand die Uraufführung des zweiaktigen Werks mit vielen Intermezzi statt, und das damalige Publikum hoffte seine voyeuristischen Neigungen in der Oper befriedigen zu können, aber „der Stoff ist auch für das 21. Jahrhundert interessant“, meint Regisseur Tobias Kratzer, der bereits Arabella auf die Bühne der Deutschen Oper gebracht hat, sich in der nächsten Spielzeit hier der Frau ohne Schatten widmen wird und einen roten Faden der Chronologie, nämlich der unterschiedlichen Stadien der Paarbeziehung zwischen den Werken ziehen will. In einem Interview am Tag der Premiere meinte er allerdings, das sei eher eine Bewerbungsidee der Deutschen Oper als die seine gewesen. (In der Komischen Oper bereitet man gerade Ähnliches mit Così, Figaro, Don Giovanni vor.) Im Intermezzo geht es Kratzers Meinung nach um die „Mühen der Ebene“, was Strauss, im Werk als „Herr Storch“ ebenfalls ein langbeiniger Schreitvogel, zwar auch, aber wohl nicht ausschließlich so gesehen hat, denn dann gäbe es das Happy End nicht. Ein geheimnisvolles „Es gibt kein authentisches Leben im richtigen“ aus Regisseursmund lässt den eigentlich erwartungsvollen Besucher allerdings in einer Wolke aus Tief- bis Trübsinn versinken.

Nicht nur im Intermezzo, auch im Heldenleben mit dem Satz Die Gattin des Helden und in der Sinfonia Domestica hatte Strauss seine Ehe zum Thema gemacht. In Intermezzo geht es um die Abreise nach Wien aus dem Haus im Salzkammergut, während derer Pauline, hier „Christine“, die Hausangestellten scheucht und den Gatten nervös macht, die Gesellschaft eines recht zwielichtigen Burschen genießt, bis dieser sie um finanzielle Unterstützung ersucht, ein falsch adressierter Brief sie die Untreue des Gatten vermuten und zum Scheidungsanwalt eilen lässt. Am Ende klärt sich alles auf, und die Gatten erkennen, wie viel sie einander bedeuten. Heute befremdet den Zuschauer eher der Umgang Christines mit dem reichlich vorhandenen Dienstpersonal als die Eheposse, nimmt er zur Kenntnis, dass Alma Mahler-Werfel Pauline als „ordinäres Weib“ bezeichnete, sollte allerdings nicht übersehen, dass Strauss wie auch Storch zufrieden, wenn nicht gar glücklich in ihrer Ehe waren und ersterer so sehr an dem Sujet interessiert war, dass er nach der Ablehnung Hofmannsthals, der es zu banal fand, und nach dem Versagen Bahrs selbst sein Libretto schrieb.

© Monika Rittershaus

An zwei Stellen greift die Regie in die Handlung ein, und beide Male wirft das kein gutes Licht auf die Eheleute, denn anstelle einer rauschenden Ballnacht gibt es einen Ehebruch durch Christine in der Studentenbude, und nach der Versöhnung der Ehegatten verschwindet Storch sofort wieder in Richtung Orchester, der Vorhang sinkt hinter ihm hernieder, Christine ist wieder allein zu Haus und nicht einmal an einem „reich gedeckten Tisch“, wie das Libretto verheißt, sondern auf dem einzigen Möbelstück, einem Sofa. Auch an ihrem Söhnchen wird sie nicht viel Freude haben, denn das ist bereits ebenfalls der Musik verfallen. Ansonsten hat es der Ausstatter Rainer Sellmaier eher mit Verkehrsmitteln als mit Mobiliar, lässt ein Taxi ein- und Christine mit ihrem auf den Wagen von Baron Lummer auffahren und sogar noch in einer stürmischen Nacht Storch mit Stroh in einem Flugzeug ihre Auseinandersetzung führen. Die Bühne ist in ein Unten, Mitte und Oben geteilt, das Unten bildet den Sockel für die einzelnen Behausungen, darüber kann man in den Intermezzi Orchestergruppen, den Dirigenten Sir Donald Runnicles, aber auch Strauss bzw. Storch in dessen Funktion sehen. Lustig wird es, wenn dieser vor dem Eingang der Deutschen Oper Berlin sich huldvoll dankend von der begeisterten Menge feiern lässt. Bei ganz stürmischer Musik fliegen auch einmal die Notenblätter umher, aber bemerkenswert ist, dass das auch als ein Ganzes von optischen und akustischen Eindrücken die stärksten Szenen sind, die Oper anstelle von Intermezzo durchaus Intermezzi heißen könnte. Dabei hat Kratzer nicht mit Einfällen gegeizt, wenn er sich Christine in Salome, Arabella, Marschallin verkleiden und gegenüber dem Notar sogar die Axt der Elektra schwingen lässt. Auch gibt es über der „realen“ Szene Ausschnitte aus vergangenen Aufführungen dieser Opern zu sehen. Die eigentlich belanglose Handlung ist also ordentlich aufgepeppt und geht manchmal fast unter in all dem interessanten Beiwerk.

© Monika Rittershaus

Zu nicht weniger als sechs Umbesetzungen ist es im Vergleich mit der ursprünglichen Besetzung gekommen, zum Glück nicht bei der mit Abstand umfangreichsten und anspruchvollsten Partie, der Christine. Maria Bengtsson, einst Star der Komischen Oper, ist eine moderne, elegante Erscheinung, die sich zwar aller modernen Kommunikationsmittel bedient, sich aber doch von einem Briefchen voll bunten Flitterkrams das Herz brechen lässt. Bis zur Pause, vor allem im Duett mit der schnippischen Anna von Anna Schoeck, die einen frischen, herzhaften und die Orchesterwogen nicht scheuen müssenden Sopran einsetzt, klingt der ihre etwas matt, weniger präsent und nur wenig vom Text vermittelnd. Das ändert sich nach der Pause, wenn man sich wieder an den gewohnten Qualitäten, an Weichheit, Geschmeidigkeit und Glanz des Soprans erfreuen kann. Als ihr Bühnengatte bringt Philipp Jekal eine angenehme Erscheinung mit, dazu einen ebenmäßig gefärbten Kavaliersbariton, der durchaus auch einmal auftrumpfen kann. Thomas Blondelle ist der windige Baron Lummer mit großer Musikalität, der einmal mehr seine Vielseitigkeit beweist. Zwei Stützen des Ensembles, Markus Brück als Notar und Clemens Bieber als Kapellmeister Stroh, bewähren sich darstellerisch wie vokal. Eine ausgesprochene Luxusbesetzung ist Tobias Kehrer als Kammersänger, die Skatrunde wird ergänzt von Joel Alison (Commerzienrat) und Simon Pauly (Justizrat). Die große Nadine Secunde ist die Frau des Notars. Das Orchester der Deutschen Oper schwelgt und lässt genießen, scheint der Banalität der Handlung zu spotten und lässt, man kann es nur wiederholen, aus dem schlichten Intermezzo schillernde Intermezzi werden.

Ingrid Wanja, 24. April 2024


Intermezzo
Richard Strauss

Deutsche Oper Berlin

Besuchte Premiere am 25. April 2024

Inszenierung: Tobias Kratzer
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin