Mailand: „Gurre-Lieder“, Arnold Schönberg

Im Jahr, welches die Wiederkehr von Arnold Schönbergs 150. Geburtstag feiert, setzte die Scala – wie viele andere Opernhäuser und Konzertstätten – dessen spätromantisches Meisterwerk an. Bekanntlich hatte der Komponist mit der enthusiastischen Aufnahme seitens des Publikums bei der von Franz Schreker 1913 dirigierten Uraufführung keine große Freude, waren seine später entstandenen atonalen Werke doch vehement abgelehnt worden. Allerdings wird beim Anhören klar, dass eine musikalische Weiterentwicklung nach der Entstehung dieses Mammutwerks dem Komponisten unmöglich scheinen und er daher einen ganz anderen Weg einschlagen musste.

An der Scala war die Darbietung luxuriös besetzt (die Rede ist von der zweiten dreier Aufführungen, deren erste am 13., Schönbergs Geburtstag, stattgefunden hatte). Die so schwierige wie kraftraubende Rolle des Waldemar, des einzigen Solisten, der in allen drei Teilen zu singen hat, interpretierte Andreas Schager mit ganz zu Beginn nicht immer festem Tenor (bei der ersten Vorstellung war er indisponiert gewesen, hatte sich aber nicht ansagen lassen), erholte sich aber rasch und fesselte nicht nur mit berührenden, großen stimmlichen Ausbrüchen, sondern auch mit vorbildlicher Wortdeutlichkeit (die auch allen anderen Solisten zu attestieren ist). Die Tove von Camilla Nylund bestach mit ausladendem, üppigem Material, das sie in stilleren Passagen geschickt zurücknahm und damit die Poesie der Figur noch unterstrich. Ganz wunderbar gab Okka von der Damerau die verzweifelte Klage der Waldtaube wieder – man konnte in Schőnklang schwelgen. Besonders köstlich das sängerische und interpretatorische Kabinettstück von Norbert Ernst als Klaus Narr. Auch wenn es vielleicht etwas ungebührlich klingt, möchte ich Michael Volle als Tupfen auf dem I dieses exzellenten Ensembles bezeichnen, denn seine Interpretation des Bauern und des das Werk beschließenden Sprechers war exemplarisch.

© Brescia & Amisano / Teatro alla Scala

An der Spitze des Orchesters des Hauses stand Musikdirektor Riccardo Chailly, der den Riesenapparat mit dem Chor des Hauses unter Alberto Malazzi und dem Chor des Bayerischen Rundfunks unter Peter Dijkstra nicht nur perfekt unter Kontrolle hatte, sondern auch mit der intensiven Deutung der orchestrale Ausbrüche wie der lyrisch-versonnenen Stellen beeindruckte. (Und es ist ungerecht, wenn ich mich mit noch größerer Verzückung an die Interpretation von Claudio Abbado 1992 im Großen Musikvereinssaal in Wien erinnere).

Das Publikumsecho war stark und lang anhaltend.

Eva Pleus, 21. September 2024


Gurre-Lieder
Arnold Schönberg

Teatro alla Scala, Mailand

16. September 2024

Musikalische Leitung: Riccardo Chailly
Orchestra del Teatro alla Scala
Coro del Teatro alla Scala / Leitung: Alberto Malazzi
Chor des Bayerischen Rundfunks / Leitung: Peter Dijkstra