Osnabrück: „Luisa Miller“, Giuseppe Verdi

Lieber Opernfreund-Freund,

Verdis vergleichsweise selten gespielte Luisa Miller ist derzeit in Osnabrück zu erleben. Und das meine ich wörtlich: die symbolstarke Lesart von Manuel Schmitt, die Sebastian Ellrich kongenial umgesetzt hat, und die junge Tetiana Miykus in der Titelpartie sind gleichermaßen ein Erlebnis.

© Stephan Glagla

Verdis Version von Kabale und Liebe ist die dritte seiner vier Vertonungen von Werken Friedrich Schillers. Die Oper erzählt die Geschichte einer nicht standesgemäßen Liebe, die am Ende die beiden Verliebten, die sich in gesellschaftlichen und religiösen Zwängen gefangen sehen, das Leben kostet. Das Werk steht musikalisch an einem Wendepunkt in Verdis Schaffen: 1849 uraufgeführt, markiert es schon fast das Ende der so genannten Galeerenjahre, vor dem Rigoletto aus dem März 1851, der allgemein nicht mehr zu dieser schaffensintensiven, anstrengenden Zeit in Verdis Komponistenleben gezählt wird. entsteht nur noch Stiffelio. Die veränderte Herangehensweise merkt man auch schon der Luisa Miller an; klingt sie im ersten Akt noch sehr nach Bellini, weist das Finale der Oper schon auf die weiten verdischen Klangbögen hin – die eindringliche Schlussszene ist ein herrlich-intensiver Ohrenschmaus. Die junge Ukrainerin Tetiana Miykus, die die volle – auch technische – Bandbreite mitbringt, die diese Rolle einfordert, ist dabei eine echte Entdeckung. Noch leicht perlend in den Koloraturen ihrer Auftrittsszene, beleuchtet sie mit starkem Ausdruck und nicht enden wollender Kraft auf der einen und Piani zum Dahinschmelzen auf der anderen Seite die zahlreichen Facetten ihrer Figur auch stimmlich vollkommen, so dass man gar nicht mehr aufhören will, ihr zuzuhören.

© Stephan Glagla

Das Bühnenbild, in dem sich dieses Stimmwunder präsentiert, ist an sich recht reduziert. Regisseur Manuel Schmitt betont die Klassenunterschiede, die die Wurzeln des ganzen Dramas der beiden Verliebten sind, und setzt dabei auf starke Symbole. Ausstatter Sebastian Ellrich gelingt das Kunststück, Nüchternheit und Opulenz zu vereinen.  Oben befindet sich eine festlich gedeckte Tafel, Diener im Livree umschwänzeln die royalblau gewandeten Herrschaften. Unten steht ein toter Wald auf buckelpistigem Boden, der den Bauern abverlangt, auf jeden Schritt penibel zu achten. Eine geniale Idee! Stimmlich und optischer Gegenpart zur reinen Luisa ist die mondäne Fürstin von Ostheim, die Rodolfo nach dem Willen des despotischen Vaters heiraten soll. Nana Dzidziguri ist gestern für Ensemblemitglied Olga Privalova eingesprungen und setzt dem klaren Sopran von Tetiana Miykus einen dunkel timbrierten, fast verrucht klingenden Mezzo entgegen, erscheint diamantenbehangen in ausladender Robe, während Luisa im Laufe des Abends immer mehr in der Kreidefarbe versinkt, mit der der intrigante Wurm (wunderbar speichelleckerisch mit fiesen Untertönen: Ricardo Llamas Varquez) sie das falsche Geständnis schreiben lässt.

© Stephan Glagla

Graf Walter ist für seine Macht über Leichen gegangen und deshalb auf tragische Weise mit dem Fiesling Wurm verbunden. Der junge maltesische Sänger Dominic Barberi präsentiert ihn mit profundem, Ehrfurcht gebietendem Bass. Der türkische Sänger Önay Köse ist für mich die zweite Überraschung des Abends. Mit facettenreichem Bassbariton macht er die Nöte des streng gläubigen Vaters, der sich zum Wohl der Tochter gegen die Obrigkeit auflehnt, förmlich greifbar, so packend spielt er den Miller. Timothy Richards mag in diese junge und frisch aufsingende Riege auf den ersten Blick nicht ganz passen, präsentiert den Rodolfo jedoch mit höhensicherem Tenor, streut endlose Spitzentöne ein und überzeugt so gleichermaßen.

© Stephan Glagla

Sierd Quarré hat die Damen und Herren des Chores präzise auf die umfangreiche Partie vorbereitet, sie erscheinen als Einheit, die sich am Ende mit verzweifelter Geste dem Grafen entgegenstellt. Im Graben entfacht GMD Andreas Hotz ein regelrechtes Klangfeuerwerk, bringt die selten gehörte Partitur zum Leuchten und schafft auch hier die Gratwanderung zwischen feinen Belcanto-Passagen und ausdrucksstarker Verdi-Oper perfekt.

Am Ende des Abends ist das Publikum im außerordentlich gut besuchten Osnabrücker Theater schlichtweg aus dem Häuschen und bejubelt alle Akteure ausgiebig. Vor allem die Jubelrufe für Tetiana Miyus wollen nicht enden. Dem Produktionsteam um Manuel Schmitt und Sebastian Ellrich ist eine durch die Bank packende Interpretation des Stoffes gelungen. Und auch ich finde kaum ein Haar in der Suppe und empfehle Ihnen ausdrücklich einen Besuch dieses Ausnahme-Verdis.

Ihr
Jochen Rüth

26. September 2024


Luisa Miller
Oper von Giuseppe Verdi

Theater Osnabrück

Premiere: 14. September 2024
besuchte Vorstellung: 25. September 2024

Inszenierung: Manuel Schmitt
Musikalische Leitung: GMD Andreas Hotz
Osnabrücker Symphonieorchester

weitere Aufführungen: 6., 20., 22. und 27. Oktober, 28. November sowie 13. und 20. Dezember 2024

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