Innsbruck: „Falstaff“, Giuseppe Verdi

Eine berechtigterweise bejubelte Premiere feierte das Tiroler Landestheater in Innsbruck mit Giuseppe Verdis lyrischer Komödie „Falstaff“ in der Inszenierung von Tobias Ribitzki. Ribitzki richtet den Fokus konsequent auf das Werk und nicht etwa auf eigene Regieeinfälle, sodass der zeitlos gültige Stoff, der geniale Sprachwitz und Esprit des Librettisten Arrigo Boito und natürlich Verdis Musik zur Geltung kommen. Im Mittelpunkt steht Sir John Falstaff, der versoffene Lebemann „in der Blüte seines Spätsommers“, wie es im Libretto heißt, der die Zeichen und den Zahn der Zeit verkennend sich noch immer für unwiderstehlich und besonders schlau hält, jedoch grandios über seine eigene tölpelhafte Intrige stolpert. Am Ende triumphieren die Frauenzimmer, die er aufs Kreuz legen wollte, auf ganzer Linie, indem sie nicht nur ihm, sondern en passant auch einem intriganten Ehemann und dessen Möchtegern-Schwiegersohn eine Lektion erteilen. Am Schluss jedoch hält der schroff brüskierte Falstaff der wütenden Menge und dem Publikum den Spiegel vor und Verdis letzte Oper endet mit einem Lach Chor, der allem und jedem gilt.

© Birgit Gufler

Um dem Werk Raum zu gewähren, benötigt Ribitzki nur eine eher reduktionistische Bühne. Ein leicht ansteigender Bretterboden mit einer Falltür, dezent-dunkel tapezierte Wände mit Wandleuchtern, ein Zwischenvorhang mit einem versteckten Fenster, eine Wäschetruhe, in der Falstaff versteckt gehalten und eingeseift wird, und ein Paravent, der hingegen ein schlechtes Versteck ist, sowie etwas Mobiliar bilden das Interieur. Zum Rendezvous erscheint Falstaff mit Rosen, die sich wie Dartpfeile in den Boden und an die Wand pflanzen lassen. In der Geister- und Feenszene wird die Bühne nach hinten geöffnet, wo ein Glitzersternekosmos vor sich hin funkelt. Sowohl die Bühne als auch die sehr ansprechenden Kostüme, die wechselweise an Fin de Siècle, Al Capone und Sherlock Holmes erinnern, stammen von Stefan Rieckhoff.

Die Personenführung korrelierte bestens mit dem pointenreichen, slapstickartigen Text und der ebenso komisch-grotesken, fröhlich, dunkel, melancholisch, lyrisch und majestätisch in allen Farben des romantischen Orchesters schillernden Musik Verdis. Die szenische Darstellung ist durchgehend schlüssig und witzig. Und wenn Falstaff von seinen wütend singenden Widersachern und der großartigen Statisterie des Tiroler Landestheaters nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum gesucht wird, ergibt sich eine Unmittelbarkeit der Begegnung mit den Heldinnen und Helden.

© Birgit Gufler

Unter jenen gebührt die größte Aufmerksamkeit dem Hauptdarsteller Johannes Maria Wimmer, der mit seiner höchst differenzierten Stimme, die jede Nuance zwischen intimer Lyrik und voluminöser Wirkmacht erfasst, der Titelrolle Fleisch und Blut verleiht. Dieser Falstaff ist ein echter Typ mit gegensätzlicher Persönlichkeitsstruktur, einerseits unverschämt, unbescheiden und überheblich, andererseits abergläubisch und hasenfüßig; einerseits primitiv und gewalttätig, andererseits ein echter Philosoph, alles in allem aber ein Haudegen, der sich nicht unterkriegen lässt. Wimmer ist nicht nur ein fein abstufender Bassist, sondern zudem ein begnadeter Schauspieler. Sein Antagonist Jacob Phillips als Ford spielt die Verkörperung der Empörung mit schöner, vollklingender Baritonstimme. Er wie auch Alexander Fedorov als Fenton, dessen strahlender Tenor zur Hochform aufläuft, fokussieren ihr Begehren auf Nannetta, die von Anastasia Lerman dargestellt wird, aus unterschiedlicher Perspektive: Fenton will sie heiraten, Ford – ihr Vater – will sie an seinen Freund Dr. Cajus verheiraten. Anastasia Lerman singt ihre Partie mit strahlender Bravour und berührt in der Feenszene durch ihren lyrischen, schwebenden Gesang. Jakob Nistler als gescheiterter Freier Dr. Cajus überzeugt ebenso durch stimmliche und schauspielerische Präsenz wie Jason Lee als Bardolfo und Oliver Sailer als Pistola – die beiden verräterischen Diener Falstaffs. Die Riege der wehrhaften Frauen steigert das hohe Niveau der Premierenvorstellung beträchtlich: Cristiana Oliveira (Sopran) ist eine brillante Mrs. Alice Ford, Camilla Lehmeier (Mezzosopran) eine nicht minder ausdrucksvolle, starke Mrs. Meg Page und die komödiantische Abongile Fumba mit ihrer auch in tiefer Lage expressiven Stimme hat als Mrs. Quickly stets die Lacher auf ihrer Seite. Als Gitarrist der Rendezvous-Szene von Falstaff und Alice Ford wirkte Daniel Müller stimmungsvoll auf der Bühne. Der Chor des Tiroler Landestheaters und die Damen des Extrachors traten effektvoll und stimmlich prägnant in Erscheinung.

© Birgit Gufler

Das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung von Matthew Toogood trug durch inspirierte Spielweise und transparenten Klang wesentlich zum Erfolg der Premiere bei, wobei sich der Klangkörper im Laufe des Abends lautstärkemäßig immer besser auf das singende Personal einzustellen vermochte. Toogood als musikalischer Leiter versteht es, Verdis bildhafte, nahezu veristische Musik in all ihren Klang- und Rhythmusschichtungen nachhaltig zu vermitteln.

Thomas Nußbaumer, 13. Oktober 2024

Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Falstaff
Giuseppe Verdi

Tiroler Landestheater Innsbruck

Premiere am 5. Oktober 2024

Inszenierung: Tobias Ribitzki
Dirigat: Matthew Toogood
Tiroler Symphonieorchester Innsbruck