Es ist ja nicht so, dass ich mich erstmals mit kritischen Einwänden zu einer Theaterproduktion allein auf weiter Flur befinde, während rundum die Begeisterungsstürme losbrechen. Aber so einsam wie bei „Alma“ habe ich mich selten gefühlt. Das hat das Zeug zum Publikumserfolg? Das rauscht bis in den deutschen Blätterwald, wo die Wiener Volksoper sonst wohl eher nicht Stammgast ist. Das ist der „frische Blick“ auf Alma Mahler-Werfel, das ist die Oper, die „Wien ihr schuldig war“? Geht’s noch? Man ist es einem Menschen schuldig, ihn so durch den Druck zu ziehen?
Soll ich jetzt den Mund halten? Mich dem allgemeinen Urteil beugen? Oder trotzdem meine Meinung sagen? Was habe ich – und offenbar nur ich – gesehen? Das rücksichtslose Ausschlachten, Ausstellen und Vorführen einer Frau, die wohl mehr als nur ein „Groupie“ war, wie es in „News“ heißt. Groupies gibt es Hunderte und Tausende, und keiner nimmt sie wahr. Alma wurde wahrgenommen. Sicher, sie hatte mit dem berühmten Vater (ich bin eine ganz große Bewunderin der Werke von Emil Jakob Schindler) einen denkbar besten Start ins Leben, kopfüber in die Wiener Kunstszene, die damals (wie auch Arthur Schnitzler in seinem Tagebuch vermerkte) so reich war wie kaum je. Und die schöne Alma fühlte sich wie ein Fisch im Wasser. Mit dem, was sie aus ihrem Leben gemacht hat, füllte sie die Phantasie und die Bücher anderer Leute. Bis heute.
Bin ich wirklich die Einzige, die das, was sie nun auf der Bühne der Volksoper gesehen hat, als extrem geschmacklos und lustvoll hässlich, ja in Hinblick auf das Publikum geradezu übergriffig widerlich empfand? Ich bin nach Jahrzehnten ununterbrochener Theater- und Opernbesuche, gestählt durch Inszenierungen, die Wahnsinn und Blödsinn produzierten, wirklich nicht zimperlich. Aber ich schwöre, das was ich da sah, verursachte mir körperliche Übelkeit. Bin ich wirklich eine prüde Zimperliese, die nicht sehen will, wie ein blutiges Embryo an einer Nabelschnur tanzt (wie pervers muss, man eigentlich sein, damit einem so etwas einfällt?)? Bin ich wirklich die Einzige, die nicht sehen will, wie Madame auf dem Flügel die Beine spreizt, damit der Göttergatte sie bespringt und ihre Frühgeburt veranlasst? Wie abscheulich ist das? Toll, diese miese, charakterlose Vettel auf die Bühne zu bringen, nicht wahr?` Und warum macht das eine Frau, eine Regisseurin, die das, was das Libretto offenbar vorgibt, bis zum Exzess ausreizt, jede Widerlichkeit ausschlachtet? Wie gut (mutig, ehrlich, was immer) kommt sie sich dabei vor? Und sie geniert sich keine Sekunde lang für das, was sie da tut?
Und niemand protestiert, dass man so etwas auf der Bühne zeigt, schließlich handelt es sich ja um eine üble Antisemitin, der man damit eines auswischt, nicht wahr. Nein, auch ich mag Alma Mahler-Werfel als Person nicht. Sie ist mir in meinem Berufsleben oft begegnet, nicht zuletzt in der üblen Rolle, die sie beim Scheitern der Ehe von Arthur und Olga Schnitzler gespielt hat. Aber würde ich mir je herausnehmen, mit einem Menschen – wie unsympathisch er auch sei – so umzugehen? Man macht es, es wird bejubelt, und es stört offenbar niemanden als mich.
Na gut, ich ziehe mich dann immer auf das (von mir ein bißchen veränderte) „Tasso“-Zitat zurück: „Und wo ein anderer in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide.“ Michael Heltau tröstet mich gelegentlich mit dem Ausspruch des fassungslosen Giorgio Strehler angesichts einer „modernen“ Inszenierung:
Warm so laut? Warum so böse? Warum so hässlich?
Ich kann die Frage nur an die „Alma“-Macher, voran die von mir bisher so geschätzte Ruth Brauer-Kvam, weitergeben. Des „rauschenden“ Erfolges ungeachtet, ist das nichts, worauf sie stolz sein sollte. Schon gar nicht als Frau.
Renate Wagner 30. Oktober 2024
Dank an unseren Hauszeichner Peter Klier