Wien: „My Fair Lady“, Frederick Loewe

Ein Burgschauspieler, zwei Damen aus der Josefstadt, zwei Herren, die durch Film und Fernsehen höchst bekannt sind – die Volksoper hat tief in das Wiener Schauspieler-Reservoire gegriffen, um die alte „My Fair Lady“ (immer ein verlässlicher Kassenschlager) wieder einmal neu aufzuputzen. Freilich, so unbefangen, wie vor gut 30 Jahren geht man heute nicht mehr damit um. Von damals stammt die Inszenierung von Robert Herzl, die man nun angeblich wieder zeigt – an sich ist es wohl nur die schöne Ausstattung von Rolf Langenfass, die hier überlebt hat.

© Barbara Palffy

Denn in einer Zeit, wo eine woke Journalistin in der Vorberichterstattung anmerkt, sie finde „My Fair Lady“ unerträglich, weil Eliza da so gedemütigt wird (dass es dabei um eine Demontage der Machos geht, ist bei der heutigen Verengung des Blicks offenbar nicht ersichtlich), kann man auch ein klassisches Musical nicht unbeschädigt lassen.

Dass sich hier zwischen dem anfangs so hochnäsigen Professor Higgins und dem Blumenmädchen Eliza nicht nur ein Lernprozeß abspielt, der das Proletarierkind sprechen und auch denken lehrt, sondern auch eine Liebesgeschichte – nein, das geht nicht, da würde man ja den alten weißen Mann für sein schlechtes Benehmen, das er die ganze Zeit zeigt (und das einen Teil des Reizes des Werks ausmacht), am Ende noch belohnen… Nein, pfui, das geht in unserer Welt nicht.

Darum darf Ruth Brauer-Kvam, die die Neueinstudierung übernommen hat, auch vieles anders sehen. So einiges verkürzt – und Eliza darf auch nicht mehr „I could have danced all night“ singen, denn das würde ja bedeuten, dass sie glücklich war, und das ist in den Augen des Zeitgeistes nicht erlaubt, weil die Männer sie so quälen. Und wenn Professor Professor Higgins auch am Ende so in die Knie geht, dass er gesteht, „gewöhnt an ihr Gesicht“ zu sein (mehr ist bei ihm wirklich nicht möglich), so bekommt er – wie im Original – seine Eliza doch nicht. Die steigt auf ein Fahrrad und radelt ein paar Mal über die Bühne. Vorhang. Das muss reichen, um ihre Unabhängigkeit zu zeigen. (Denkt man es durch, kann man sich nicht vorstellen, dass sie ohne männliche Hilfe zu einer selbständigen Geschäftsfrau werden kann, aber was soll’s?) Fest steht – diese Fair Lady wird keine gelassene Mrs. Higgins, sondern ein Tramp…

© Barbara Palffy

Auch sonst ist einiges anders in der Aufführung des Werks, das in seiner Schönheit und Eleganz   in dem Film mit Rex Harrison und Audrey Hepburn seine Vollendung fand. Schön will man es ja nun heutzutage nicht, und seltsamerweise trägt die Dirigentin Charlotte Corderoy viel zur Vergröberung des Abends bei. Die Musik, die nie vergessen lässt, dass Komponist Frederick Loewe aus Wien stammte, verliert ihren Charme, ihre Leichtigkeit und wird gnadenlos gehämmert. Das tut dem Text nicht gut, denn wenn die deutsche Fassung trotz kompetenter Übersetzer auch nie so gut sein kann, wie das englische Original (in dem noch der Geist von G.B: Shaw und dessen „Pygmalion“ sprüht), so ist der Text doch anspruchsvoll, soll als handlungsbezogen verstanden werden, trotz der Schnelligkeit, mit der er komponiert ist. Und wenn die Musik so laut und grob exekutiert wird, geht ein großer Teil der Verständlichkeit verloren. Und damit verlieren auch die Darsteller so einiges.

Jedenfalls ist Markus Meyer ein witziger Higgins, mehr schrulliger Professor als Liebhaber (ob Schreibmayer, Heltau, Föttinger, die prominenten Interpreten dieser Produktion versprühten dieses Flair). Aber jedenfalls tobt Meyer höchst präzise und pointiert vor sich hin.

Paula Nocker schafft den Wandel von dem schimpfenden Blumenmädchen zur gequälten Schülerin bis zur Möchtegern-Lady in Ascot, die mühevoll nur Aussprache antizipiert hat, aber nicht das, was man in feinen Kreisen sagen kann oder nicht. Wenn sie im zarten, weißen Abendkleid zum Ball geht, versprüht sie etwas von Audrey-Hepburn-Zauber und ist überzeugend in der Souveränität, mit der sie Higgins den Rücken kehrt. Alles in allem eine gute, wenn auch (noch nicht) eine mitreißende Leistung.

Ganz anders als gewohnt ist Karl Markovics als alter Doolittle (da kann man Robert Meyer nicht vergessen, dem der Schnaps aus den Augen leuchtete und der mit seinem Charme alle einkochte). Karl Markovics ist ein ungemütlicher Proletarier, sperrig, eckig und nicht wirklich komisch, auch wenn ihm die Regie zu seinem Hochzeits-Song noch eine längliche Slapstick-Nummer dazu gibt, die wenig bringt.

© Barbara Palffy

Manuel Rubey sieht gut aus wie immer als Oberst Pickering, den schrullig-herzlichen alten englischen Militär findet man in ihm nicht, er bleibt eher am Rande. Marianne Nentwich als Higgins‘ Mutter ist mehr betulich als scharfzüngig. Martina Dorak (die auf diesen Brettern einmal eine Eliza war) ist zur eher unauffälligen Mrs. Pearce gereift, und Lionel von Lawrence als Freddy hat ja nur seinen einzigen Schlager (von der Straße, in der Eliza lebt) zu singen.

Das Publikum nahm diese grob gestrickte Fassung des Musicals, das fast eine Operette ist (die Tanzszenen nach Susanne Kirnbauer und nach Gerhard Senft funktionieren noch immer) mit großem Enthusiasmus auf.

Renate Wagner, 28. Dezember 2024


My Fair Lady
Frederick Loewe

Volksoper Wien

Premiere der Neueinstudierung: 27. Dezember 2024

Inszenierung: Robert Herzl (Neueinstudierung: Ruth Brauer-Kvam)
Musikalische Leitung: Charlotte Corderoy
Orchester der Volksoper Wien