Meiningen: „Tristan und Isolde“, Richard Wagner (zweite Kritik)

Musikalisch gut, szenisch fragwürdig

Lena Kutzner, die schon vor drei Jahren in Meiningen als Senta und im Januar diesen Jahres als ausgezeichnete, noch sehr junge Isolde in Lübeck aufgefallen ist, sang und spielte die Rolle auch diesmal mitreißend, voller vokaler Power, mit mühelosen Höhen und einem intensiven darstellerischen Engagement. Genauso gut und eindrucksvoll war Marco Jentzsch als Tristan, der ja immer bekannter wird auf der Wagner-Bühne unserer Tage und die Rolle schon in Wiesbaden eindrucksvoll verkörpert hat. Aber nicht nur seine heldentenorale Stimme, sondern auch seine hünenhafte Größe und große Bühnenautorität bei stets passender Mimik trugen nicht nur an diesem Abend in Meiningen erheblich zu einem starken Gesamteindruck seiner Tristan-Interpretation bei. Die beiden waren ein beeindruckendes Paar und haben den Abend praktisch gestaltet.

© Christina Iberl

Shin Taniguchi, der hier vor drei Jahren schon als Telramund reüssierte, sang einen einfühlsamen Kurwenal mit einem bestens geführten Bariton. Selcuk Hakan Tirasoglu als König Marke wirkte zwar etwas rustikal, sang aber seinen verzweifelten Monolog mit einem sehr guten Bass einnehmend. Johannes Moser war ein eher unauffälliger Melot. Ganz hervorragend sang Tamta Tarielashvili die Brangäne mit einem klangvoll strömenden, dunkel temperierten Mezzo. Sie war somit ein idealer Kontrast zu der sehr hohen Lage von Lena Kutzner, was wie immer sehr gut passte. Aleksey Kursanov gab die Stimme eines jungen Seemanns mit viel Melancholie und sang auch den Hirten im 3. Aufzug. Hans Gebhardt war der Steuermann.

GMD Killian Farrell war mit der Meininger Hofkapelle der dritte Star des Abends nach Lena Kutzner und Marco Jentzsch. Er hat das wirklich hervorragend gemacht und bewies mit seinen jungen Jahren schon erhebliche Wagner-Kompetenz. Die Hofkapelle war in Bestform mit großartiger Dynamik, viel Abwechslungsreichtum sowohl in den lyrischeren Phasen wie in den dramatischen Steigerungen, wobei Farrell stets auf einen guten Kontakt zu den Sängern achtete. Das war offenbar große Meininger Klasse und erinnerte daran, dass ein Großteil der Orchestermusiker der Bayreuther Festspiele zu deren Beginn im 19. Jahrhundert aus Meiningen kam. Der Chor des Staatstheaters Meiningen war von Roman David Rothenaicher sehr gut einstudiert.

© Christina Iberl

Regisseurin Verena Stoiber, bekanntermaßen dem Regisseurstheater zugewandt, denn sie assistierte bei Calixto Bieito und Jossi Wieler in Stuttgart, hat uns hier wieder mit einigen überraschenden Details ihrer Regie-Ideen versorgt, die allzu oft nicht nachvollziehbar waren, vielleicht noch häufiger auch entbehrlich. Es beginnt mit einer starken Einengung der Bühne von Susanne Gschwender, einem relativ kleinen Bühnenkasten, sodass sich an dessen Rändern große Flächen für die Videos von Jonas Dahl ergeben, einem Videokünstler. Stoiber meint, möglicherweise verleitet von Wagners Titulierung des „Tristan“ als „Handlung in drei Aufzügen“, dass man das Stück kammermusikalisch inszenieren solle, denn dann würde man sich besser konzentrieren auf die Personenregie und stärker in die Schicksale der einzelnen Protagonisten hineinblicken. Gut, das mag ja sein, aber es könnte auch eine Entschuldigung dafür sein, das Bühnenbild so stark zu reduzieren, um Platz für die überbordenden Videos zu schaffen. Andere Häuser haben auf der großen Bühne auch eine hervorragende Personenregie geführt. Man denke nur an Wieland Wagner oder Jean-Pierre Ponnelle in Bayreuth, unter vielen anderen. Natürlich war für die Sänger dieser Kasten akustisch ideal, er wirkte wie eine Konzertmuschel.

© Christina Iberl

Stoiber will also Tristan und Isolde in einen Traum versetzen. Und so geht es los in dem Moment, als sie den Trank im Bett zu sich genommen haben. Isolde fällt ins Wasser unter dem imaginären Schiff – man sieht sofort Fische und Wasser-Ästhetik. Und dann geht’s los mit Traumvorstellungen diversester Art. Das Bett wird kurzerhand zu einer Minibar umgestaltet, und beide stoßen mit einer Flasche Schampus auf ihr neues Glück an. Dann rasen sie zuerst durch einen Wald in einer Kutsche, wobei Tristan der Kutscher ist, nachdem das Bett zur Kutsche umfunktioniert worden ist. Dann wiederum geht’s mit ihm auf einen an den Königsee erinnernden See. Tristan rudert langsam vor sich hin, natürlich immer mit ihr romantisch verklärt, bereits im Hochzeitskleid! Am Schluss dieser Traumsequenz rasen sie auf einem Motorrad mit Scheinwerferlicht durch das Monument Valley in den Rocky Mountains mit einem Affenzahn. Videos zum Abwinken! Meines Erachtens verfangen diese überzogenen Traumvisionen, die sie offenbar in ihrer jungen Liebe haben, nicht. Es hat auch wenig mit der Musik zu tun, ist stattdessen eher reine Bildregie. Der Videokünstler Jonas Dahl beherrscht hier vollkommen das Bild im wahrsten Sinne des Wortes, tobt sich gewissermaßen aus. Die Dramaturgin Julia Terwald widmet im Programmheft gar einen einseitigen Aufsatz der Technik des Videos und des Films – auch unter Nutzung der KI – in der Oper.

© Christina Iberl

Der Höhepunkt ist dann der 3. Aufzug. Da ist offenbar die Realität wieder eingekehrt, jedoch in einem überstrapazierten Maße. Denn in einem Krankenhausbett liegt ein halbtoter Mann die ganze Zeit auf der Bühne, natürlich mit den Infusions-Flaschen und allem medizinischen Drumherum. Krankenhausbetten auf der Bühne sind mittlerweile alte Hüte des Wagnerschen Regietheaters und des Regisseurstheaters im Allgemeinen. Der Mann geht auf einmal weg, als Kurwenal bemerkt, dass Tristan noch lebt. Der alte Bettlägerige sollte also wohl den nahenden Tod verkörpern. Aber ist das nicht alles in der Musik zu hören?! Die Kostüme wurden von Clara Hertel erstellt, nicht nimmer ganz geschmacksicher. So steckt Tristan im 1. Aufzug in der Uniform eines Flugkapitäns, also des Heute, während König Marke sich zu Beginn des 2. Aufzugs im Schlafzimmer mit Isolde umständlich in einen traditionellen Jagdrock zwängt, um mit Melot auf die Jagd zu gehen. Später tritt er dann mit Melot in einem mittelalterlichen Gewand auf, mit dem Verena Stoiber offenbar und völlig unerwartet einen Querverweis in die mittelalterliche Gestehungsgeschichte des Werkes von Gottfried von Straßburg im 13. Jahrhundert geben will. Weder das eine noch das andere wirkte wirklich überzeugend.

© Christina Iberl

Also wieder einmal ein Regisseurstheater-Ansatz, der hier und da vielleicht seine Reize haben mag, aber letztlich doch nicht überzeugt, auch wegen zu offensichtlicher Redundanzen. So war der neue Meininger „Tristan“ ein musikalisches Erlebnis, aber weitaus weniger ein szenisches.

Klaus Billand, 3. Mai 2025


Tristan und Isolde
Richard Wager

Staatstegeater Meiningen

Besuchte Aufführung am 21. April 2025
Premiere am 12. April 2025

Inszenierung: Verna Stoiber
Musikalische Leitung: Killian Farrell
Meininger Hofkapelle