Quer durch Europa
Bereits 2019 gastierte das britischen Aurora Orchestra unter seinem Leiter und Gründer Nicholas Collon beim Musikfest Bremen und hatte das Violinkonzert D-Dur op. 61 von Ludwig van Beethoven im Gepäck. Der Solist war damals Leonidas Kavakos. In diesem Jahr präsentierte die in Kirgisien geborene Geigerin Alena Baeva Beethovens Meisterwerk. Collon verstand sich nicht nur als Begleiter der Solistin, sondern setzte deutliche Akzente mit dem Orchester und gab schon im Kopfsatz der Musik sinfonisches Gewicht. Baeva spielte technisch makellos und begeisterte mit schlankem, mitunter ätherischem Ton. Die sehr lange Kadenz im 1. Satz nahm sie virtuos und mit ungestümer Leidenschaft. Sie wurde mit den eingestreuten Paukenschlägen aus Beethovens Fassung des Violinkonzerts für Klavier und Orchester angereichert. Beim Larghetto wurde eine weltentrückte Stimmung beschworen. Das war pure Schönheit aus tiefster Ruhe. Im fröhlich-tänzerischen Rondo bewies sich Baeva dann wieder eher als begnadete Virtuosin. Zusammen mit der Konzertmeisterin gab sie als Zugabe mit schwebendem Ton eine kurzes, sehr intimes und bezauberndes Duett für zwei Violinen von Luciano Berio.

Bei der Sinfonie Nr. 5 d-Moll op. 47 von Dmitri Schostakowitsch war wieder das „Markenzeichen“ des Orchesters zu bewundern. Die Musiker(und bemerkenswert vielen Musikerinnen) spielten im Stehen und auswendig ohne Noten. Es ist eine Sinfonie der Gegensätze, die vom Aurora Orchestra mit unvergleichlicher Intensität musiziert wurde. Die zu massivem Klang gesteigerten, „schreienden“ Streicher, das skurrile Marschthema oder die Pizzicato-Effekte im Allegretto, die große Ruhe im Largo oder das mit maximaler Lautstärke furios gesteigerte Finale: Alles wurde vom Orchester so engagiert dargeboten, als würde es um sein Leben spielen. Dieser Abend wird in nachhaltiger Erinnerung bleiben. Als Zugabe wurde ein Ausschnitt der Sinfonie wiederholt, wobei sich ein Teil der Musiker frontal zum Publikum aufreihte und ein anderer sich in den Seitengängen verteilte. Ähnliches haben sie auch damals bei Berlioz gemacht. Das war eine umwerfende Wirkung und ein besonderes Klangerlebnis. (30. August 2025)

Beim letztjährigen Musikfest bestritt Jonathan Tetelman einen glanzvollen Puccini-Abend, in diesem Jahr kam ein weiterer Star-Tenor der jüngeren Generation: Der in Samoa geborene Pene Pati ist derzeit auf allen großen Bühnen zuhause. Er trat u. a. in London, Paris, Wien, Hamburg, München und Berlin auf. Im Januar hatte er sein Debüt an der Metropolitan Opera als Herzog in „Rigoletto“. In Bremen präsentierte er sein Projekt „Serenata Napoletana“ mit ausschließlich neapolitanischen Liedern. Bemerkenswert, dass als Begleitung ein Barock-Orchester fungierte. Il Pomo d’Oro ist auch in Bremen nicht unbekannt. Mit nur sieben Musikern (Streichquintett, Mandoline und Gitarre) sorgte das Ensemble unter der Leitung des Gitarristen Antonello Paliotti, der auch die Lieder arrangiert hat, für einen intimen, kammermusikalischen Klang. Neapel also nicht in Breitwand und Farbe, sondern als subtile Folge von kleinen Juwelen, näher am Kunstlied oder Chanson, als an der populären Canzone. Und so sang Pene Pati sie auch. Seinen ausgesprochen warm und schön timbrierten Tenor führte er höchst kultiviert durch die Stücke von Tosti, Di Capua, Gambardella, Cannio, Costa, Denza und anderen. Dabei wurden im Programm bekannte Lieder (Maria MarÍ, `A vucchella, A Marechiaro oder Funiculì, funiculà) geschickt mit unbekannteren gemischt. So kunstvoll wie von Pene Pati hat man sie selten gehört. Pati erlag nie der Versuchung, stimmlichen Exhibitionismus zu betreiben. Nur selten drehte er die Stimme auf und bewies seine Kraft. Er bewegte sich meistens im Piano oder Pianissimo und zeigte eine perfekte voix mixte. Exemplarisch sang er das bekannteste Stück O sole mio, das er ganz verhalten und durchgängig im Piano nahm. Das war keine „herausgebrüllte“ Bravourarie, sondern eher die ungläubig staunende Wahrnehmung der Natur. Toll! Es gab drei Zugaben, darunter Com‘ è gentil aus „Don Pasquale“ und ein berührendes Lied aus seiner Heimat Samoa, bei dem er sich selbst an der Gitarre begleitete.

Mehrere rein instrumentale Stücke, manche von Antonello Paliotti, rundeten das Programm ab. Bei einem schlug der ungewöhnlich sympathisch herüberkommende Sänger sogar die Kastagnetten. (4. September 2025)
Auch in diesem Jahr bildete ein Open Air Konzert (bei freiem Eintritt) den Abschluss des Musikfestes – leider diesmal nicht in der wunderschönen Kulisse des historischen Marktplatzes, sondern auf dem angrenzenden Domshof. Zu Gast war die Techno-Marching-Band MEUTE aus Hamburg. Sie verbindet Techno-Sound mit Blasmusik. Die elfköpfige Band besteht aus Bläsern, Percussionisten und Schlagzeugern. Ihr Erkennungszeichen sind die roten Spielmannsuniformen. Die Energie, die die Band freisetzt, ist bemerkenswert. Wummernde Bässe, „gequälte“ Saxophone, kraftvolle Bläsersalven und ein immer gleichbleibende Beat bestimmten das gesamte Konzert. Die Qualität der einzelnen Musiker ist unbestritten, aber auf etwas Abwechslung wartete man vergebens. Wenn man es überspitzt formulieren will, so haben sie eigentlich nur ein einziges Stück mit wenigen Variationen gespielt – und das über 90 Minuten. Aber immerhin ist es der Band gelungen, die Zuschauer durchgehend zum Tanzen oder Hüpfen zu animieren. Im Vergleich zu den vergangenen Konzerten auf dem Marktplatz war dies jedoch ein sehr spezielles Finale des Musikfestes. (6. September 2025)
Wolfgang Denker, 7. September 2025