Baden: „Die Zirkusprinzessin / Giuditta“, Emmerich Kálmán / Franz Lehár

„Die Zirkusprinzessin“, Emmerich Kálmán

© Christian Husar

Fast ist es so, wie all die Jahre zuvor. Mit etwa 50 Freunden und hohen musikalischen Erwartungen wieder in das wunderschöne Baden bei Wien und in die herrliche Sommerarena. Erneut in unserem liebgewonnenen Hotel At the Park, nur ein paar wenige Schritte vom Ort der Aufführungen entfernt, mit toller Unterkunft, klasse Service und ausgezeichnetem Essen, Herz, was willst du mehr. Und doch ist es anders, wie in den Vorjahren. Der Intendant der Badener Bühnen, Prof. Dr. Michael Lakner geht in den wohlverdienten Ruhestand und besucht uns an seinem letzten Abend in Baden im Hotel und plaudert mit uns über die zurückliegende Zeit. Freude über die Freiheit und Wehmut, das wunderschöne Baden und die herausfordernde Tätigkeit als Intendant aufzugeben, halten sich in etwa die Waage und wir sind in den beiden allerletzten Vorstellungen dabei. Über seinen Nachfolger und mögliche nicht sehr schöne Entwicklungen werde ich im Laufe des Artikels noch einige Worte verlieren. Die beiden letzten Aufführungen in seiner Ära sind Zirkusprinzessin und Giuditta, zwei tolle Stücke, die am Ende stehen und auf die wir uns sehr freuen, auch wenn an beiden Abenden leider wegen leichtem Regen das Theaterdach geschlossen bleibt, als würde der Himmel beim Abschied einfach auch ein bisschen weinen.

Die leider, sehr zu Unrecht, etwas im Schatten seiner Csárdásfürstin und Gräfin Mariza stehenden Zirkusprinzessin ist an unserem ersten Abend der rasante Auftakt einer wunderschönen Aufführung. Der Inhalt ist schnell erzählt, wenn auch, wie in vielen Operetten, ein bisschen verschachtelt. Mister X ist der Neffe des russischen Fürsten Palinski und hat sich einst in Fedora verliebt, die ihn jedoch, obwohl sie sich zugetan sind, wegen seines Onkels verlässt, den sie dann auch heiratet. Er muss daraufhin aus dem Haus fortgehen und tritt seit dieser Zeit voller Gram, mit einer schwarzen Maske versehen, als Zirkusreiter Mister X auf, der durch seinen täglichen „Todessprung“ die Menge begeistert, aber dabei trotzdem seinen Seelenfrieden nicht finden kann. In diesem Zirkus trifft er erneut auf Fedora, inzwischen Witwe seines Onkels. Die alte Liebe flammt bei ihm wieder auf, jedoch gibt er sich ihr nicht zu erkennen. Fedora hat zwischenzeitlich dem Prinzen Sergius, der sie leidenschaftlich umgarnt, immer wieder einen Korb gegeben und ihm höhnisch zugerufen, dass sie eher einen Zirkusreiter als ihn heiraten würde. Der Prinz, tief in seiner Ehre getroffen, sinnt auf Rache und engagiert Mister X, in den sich Fedora (jedoch ohne Maske) unsterblich verliebt hat und ihn schließlich in der Zirkusmanege heiratet. Nach vollendeter Hochzeit lüftet der Prinz triumphierend das Geheimnis von Mister X. Dieser gibt sich nun aber auch als Fürst Pedja zu erkennen. Fedora, zutiefst von der grausamen Intrige getroffen, will von ihm, auch als Fürst, nichts mehr wissen und verlässt ihn tief gekränkt und wütend. Aber natürlich befinden wir uns in einer Operette, in einer äußerst fröhlichen obendrein und so trifft man sich in Wien wieder, versöhnt sich, fällt sich in die Arme und selbstverständlich gibt es ein Happy End. Wie in den meisten Operetten, sorgt auch noch ein lustiges liebenswertes Buffopaar, für die heitere Note. Der leichtlebige Hotelerbe Toni Schlumberger wird vom Prinzen Sergius für den Sohn seines Freundes Erzherzog Karl gehalten (dabei ist er nur der Sohn der Besitzerin des Hotels Erzherzog Karl) und verliebt sich in die angebliche amerikanische Zirkusreiterin Mabel Gibson, die jedoch eine waschechte Wienerin ist. Beide heiraten, zusammen mit Fedora und Mister X in der Zirkusmanege. Nach etlichen lustigen Kämpfen mit Mutter Schlumberger und dem altgedienten, aufrechten und liebenswerten Oberkellner Pelikan gibt es natürlich auch hier ein Happy End. Alle sind am Schluss mehr als zufrieden, nur Prinz Sergius bleibt allein zurück.

Für die Ausstattung zeichnet Ulv Jakobsen verantwortlich und man hat ein richtig buntgrelles Bild der Zirkuswelt auf die Bühnenbretter gezimmert, alles farbenprächtig, wunderschön anzusehen und teilweise mit tollen Einfällen. Sogar ein riesiger (Plüsch)Elefant tappt über die Bretter, die die Welt bedeuten. Jongleure zeigen ihre Kunst, es werden Räder geschlagen und Clownsmasken jeder Art präsentiert, auf riesigen Stelzen gelaufen, so dass man manchmal glaubt, gleicht fällt jemand, aber es geht alles gut und das Publikum ist zu Recht mehr als begeistert.

Die Choreographie von Anna Vita und Patricia Brandao Moura ist ansprechend, schnörkellos und das Ballett der Bühne Baden wird eindrucksvoll in Szene gesetzt.

Michael Lakner, der ja selbst ein hervorragender Regisseur ist und es am nächsten Tag bei Giuditta aufs trefflichste beweist, hat auch immer ein gutes Händchen, wenn er einmal nicht Regie führt. Hier hat die Inszenierung Isabella Gregor übernommen und sie hat dies mehr als toll gemacht. Über der Bühne hat sie die Frage platziert: „Wer bist Du?“ und weist damit darauf hin, dass man sich fragen soll, welche Masken man selbst trägt, was man damit verbirgt, was wir uns selbst und anderen vorspielen, wie es bei uns eigentlich innendrin aussieht. Fragen, die zum Überlegen anregen sollen und dabei hat sie die Operette auch wohltuend werkgetreu inszeniert. Man freut sich richtig darüber, nicht einen Selbstverwirklichungscocktail vorgesetzt zu bekommen, der mit dem eigentlichen Werk nichts mehr zu tun hat. Nein, hier bekommen wir eine einmalige, schmissige, abwechslungsreiche und nachvollziehbare Handlung präsentiert, eine Zirkusprinzessin, die Freude macht.

Das Orchester der Bühne Baden, welches für mich eines der besten österreichischen Klangkörpers ist (dazu am Schluss auch mehr) ist wie eigentlich immer, so auch an diesem Abend, einfach gut drauf. Die Musiker werden von dem gebürtigen Niederösterreicher Oliver Ostermann kraftvoll geführt. Vielleicht etwas zu kraftvoll. Er treibt das Orchester teilweise zu einer völlig überhöhten Lautstärke, die Sänger haben stark damit zu kämpfen, die Wogen, die über ihnen zusammenschlagen, stimmlich zu übertönen. Da es alle vorzügliche Sänger sind, gelingt es ihnen auch, aber der stimmliche Einsatz ist für sie wesentlich anstrengender, als normal. Schade. Ein Teil meiner Freunde, die in den ersten Reihen sitzen, sind nicht sehr angetan. Vor allem auch deswegen, weil an diesem Abend das Dach geschlossen bleiben muss und so die überaus kraftvollen Töne nicht nach oben abweichen können. Das mindert den Gesamteindruck der Aufführung aber nur unwesentlich. Man merkt den Musikern auch richtig an, so wie eigentlich die ganzen letzten Jahren, die ich in Baden sein durfte, dass sie mit vollstem Einsatz und Eifer dabei sind, die herrliche Musik Kálmáns zu ihrem Publikum zu transportieren. Dass Ballett der Bühne Baden ist ebenfalls in Hochform und kann sich vor allen in den Zirkusszenen so richtig ausleben und austoben.

Doch kommen wir nun zum wichtigsten, was in einer Operette im Vordergrund steht, jedenfalls für mich, nämlich zu den Sängern. Und hier schöpft Baden ja seit Jahren aus dem Vollen. Was habe ich hier schon für tolle Stimmen und Gestaltungen erlebt und auch heute ist es nicht anders. Vielfach werden sie in Rezensionen nur am Rande erwähnt, aber sie sind hauptsächlich (natürlich neben dem Orchester) dafür verantwortlich, ob ein Stück einschlägt oder untergeht. In Baden schlägt es praktisch immer ein und deswegen sind auch die vielen Kilometer, die wir von Bamberg bis hierher auf uns nehmen, jederzeit gerechtfertigt.

Als Fürstin Fedora können wir die in Bruck an der Mur geborene Sopranistin Sieglinde Feldhofer hören und erleben. Und sie kann an diesem Abend wieder mehr als voll überzeugen. Mit weichem, klarem und hellem, kräftigem Sopran, der mühelos sich in jede Höhe aufschwingt, verständlich und überzeugend, brilliert sie als anfangs leicht hochnäsige Gräfin, die alle Facetten durchleben muss und dies mit Bravour meistert. Eine bezaubernde Ausstrahlung, eine pure Spielfreude, die auf das Publikum überspringt, eine große Portion Charme, ein quicklebendiges Agieren und das Gefühl, das sie das, was sie da singt, auch selbst für sich verinnerlicht. Großer Beifall für eine große Leistung.

Als der geheimnisumwitterte Mister X. tritt der Wiener Clemens Kerschbaumer auf die Bühne. Und er übernimmt sie sofort, gleich mit seinem Auftrittslied von den zwei Märchenaugen. Er besitzt einen mehr als durchschlagskräftigen, stimmschönen Tenor, der alle Höhen problemlos meistert. Gefühlvoll, einfühlsam, aber auch kraftvoll und brillant. Daneben verfügt er auch über den zarten Ausdruck, den er gefühlvoll einsetzt. Seine tenorale Strahlkraft überzeugt auch seine Partnerin und in den Duetten können beide zeigen, wie gut sie aufeinander eingespielt sind und was sie auch zu leisten imstande sind. So macht das Zirkusleben einfach nur Spaß.

Elisabeth Schwarz, die in Salzburg geborene Sopranistin, ist auf der Bühne als Mabel wie ein kleiner Wirbelwind. Die kecke, humorvolle Künstlerin macht die amerikanische Wienerin zu einem wahren Hingucker. Mit frischem, klarem, feinem Sopran und einer unbändigen Spielfreude kann sie mehr als überzeugen und den Applaus des begeisterten Publikums auf sich ziehen. Es macht einfach nur Laune ihr zuzuhören, aber auch zuzusehen. Ein richtiges Energiebündel. Ihr Toni wird von dem Düsseldorfer Tenorbuffo Ricardo Frenzel Baudisch, gespielt und gesungen. Er ist aus Baden fast nicht wegzudenken und stellt erneut, wie so oft, einen ausgesprochenen Pluspunkt und Farbtupfer in der Aufführung dar. Sein schöner, weicher, klarer Spieltenor wird von ihm mehr als rollendeckend eingesetzt. Er kann auch darstellerisch aus dem Vollen schöpfen und sein natürliches, überzeugendes Spiel macht einfach Freude.  Dass er zusammen mit seiner Mabel das Publikum so richtig in Laune bringen kann, brauche ich sicher nicht extra zu erwähnen. An den beiden merkt man, dass das Buffopaar nicht so nebenbei dabei ist, sondern mitten im Geschehen agiert und es voranbringt,

Einen tollen Auftritt legt auch der in Genua geborene Bariton Marco Di Sapia als intriganter Prinz Sergius hin. Darstellerisch kann er ausdruckstark, den ergebnislos Liebenden, abgewiesenen und düpierten und sich dann rächenden Edelmann dem Publikum nahebringen. Schade, dass er mit seinem samtigen, schönen Bariton kaum etwas zu singen hat, ihn möchte man hier gerne auch einmal in einer größeren Rolle hören.

Als Carla Schlumberger, punktet die in München geborene Musicaldarstellerin, Schauspielerin und Musikpädagogin Lilly Kugler-König eindrucksvoll beim Publikum. Sie kann das Publikum voll davon überzeugen, dass sie als sehr dominierende Mutter schließlich der Liebe ihres Sohnes nachgeben kann und auch muss. Alles mit viel Spielwitz und Spiellaune.

Als ihr Oberkellner Pelikan fügt der in Wien geborene Entertainer, Kabarettist und Radio- und Fernsehmoderator Oliver Baier seinen vielen tollen Auftritten ein weiteres Kabinettstückchen hinzu. Ihm zuzuhören und zuzusehen, macht einfach nur Spaß. Der Profi sagt mehr mit dem kleinen Finger, wie ein anderer mit der ganzen Hand.

Ein toller Abend und ich muss zugeben, dass ich sehr zufrieden, heiter und die „Zwei Märchenaugen“ leise vor mich hin pfeifend, das Sommertheater verlasse. Was kann man von einem Operettenabend mehr verlangen, den man als voll gelungen bezeichnen darf.

Manfred Drescher 9. September 2025


Die Zirkusprinzessin
Operette von Emmerich Kálmán

Premiere: 21. Juni 2025
Besuchte Vorstellung: 29. August 2025

Regie: Isabella Gregor
Musikalische Leitung: Oliver Ostermann

Orchester, Chor und Ballett der Bühne Baden

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„Giuditta“ – Franz Lehár

© Christian Husar

Am nächsten Tag ist die letzte Vorstellung der Saison der Sommerarena Baden, die letzte Vorstellung des Intendanten Michael Lakners, seine letzte offizielle Regiearbeit und ein schwungvolles Ende der Ära Lakner. Der Himmel weint auch an diesem Abend mit dem Abschied mit und das Dach bleibt leider erneut geschlossen. Meine Damen haben sich Taschentücher eingesteckt, denn die Operette Giuditta ist eine der wenigen Werke ohne ein Happy End. Wir alle wissen, dass der große Operettenkönig Franz Lehár sein Leben lang einen gewissen Drang zur Oper verspürte und mit diesem, seinem Spätwerk, war er diesem Traum ein großes Stück nähergekommen. Er benannte sie auch als musikalische Komödie und geadelt wurde sie, dass die Premiere mit Jarmila Novotná und Richard Tauber in den Hauptrollen, am 20. Januar 1934 unter dem Dirigat des Meisters persönlich, an der Wiener Staatsoper aufgeführt wurde. Damit hatte Lehár sein Ziel erreicht, einmal in den heiligen Hallen der Staatsoper gespielt und anerkannt zu werden. Die Premiere wurde ein rauschender Erfolg für ihn und Giuditta war viele Jahre an der Spitze der Aufführungen. Heutzutage wird sie leider nur noch selten aufgeführt, was sehr schade ist.

In kurzen Worten der Inhalt des Werkes. Guiditta, verheiratet mit dem wesentlich älteren, langweiligen und eifersüchtigen Manuel, möchte mehr in ihrem Leben erleben. Von ihrer Mutter, die eine gefeierte Tänzerin war, hat sie die Lebenslust, das feuriger Temperament und die Leidenschaft geerbt. Sie möchte aus dem Käfig der Ehe ausbrechen und verliebt sich in den jungen Offizier Octavio. Als dieser versetzt wird, verlässt sie kurzerhand ihren Mann und folgt dem Offizier auf sein Schiff. Anita, ein Fischermädchen und ihr Freund Pierrino, ein Obsthändler gehen mit und bleiben auch bei ihnen. In einer Villa am Meer können die beiden das süße Leben in vollen Zügen genießen. Dann jedoch bekommt Octavio den Marschbefehl und Giuditta droht ihm, ihn zu verlassen, wenn er von ihr fortgeht und sie allein zurücklässt. Octavio überlegt zu desertieren, doch schließlich setzt sich die Vernunft durch und er folgt dem Befehl, in dem Glauben, dass Giuditta auf ihn warten wird. Sie hat zwischenzeitlich in einem Nachtlokal als Tänzerin eine Anstellung erhalten, führt ein mehr als ausschweifendes Leben und wechselt die Männer in Rekordzeit. Als Octavio nach einigen Jahren aus dem Militär ausscheidet, findet er Giuditta in einem verrufenen Etablissement. Seine Hoffnung, sie zurückzugewinnen, erfüllt sich nicht. Er arbeitet inzwischen als Barpianist in einem Hotel, in welches Giuditta, begleitet von einem Herzog kommt. Er soll beiden am Klavier den Abend verschönern. Als Giuditta ihn sieht, entflammt in ihr die alte Leidenschaft, doch Octavio ist ein gebrochener Mann und will nichts mehr von ihr wissen.

Der scheidende Intendant, der in Wien geborene Michael Lakner hat dabei in dieser Eigenschaft letztmalig die Regie übernommen und man kann sich darauf verlassen, dass alles werkgetreu mit einigen Verfeinerungen auf die Bühne gebracht wird. Und es kommt, wie erwartet, Lakner zeichnet ein wunderschönes, trauriges Märchen mit herrlicher Musik in die Sommerarena.  Er zeigt die Geschichte der lebenshungrigen Frau und der tragischen Liebe zu Ihrem Octavio in bunten, teilweise widersprüchlichen Einstellungen und läßt die Handlung in Spanien, Marokko und Frankreich, statt in Italien und Libyen spielen. Zum Symbol wird ein goldener Käfig, in welchem Giuditta von Schmetterling zu Schmetterling (bildlich gesprochen) flattert und aus dem sie im Endeffekt nicht entfliehen kann. Die Zerrissenheit ihrer Person zwischen Liebe, Hingabe, Leidenschaft, Selbstverwirklichung, Lebensgier und auch Verzweiflung, wird dadurch plastisch herausgestellt. Das Publikum leidet mit den Protagonisten und fühlt förmlich den Schmerz, den eigentlich beide haben, mit. Schnörkellos bringt er das bittersüße Märchen auf die Bühne und das Publikum fiebert und leidet mit, ein toller Abschied, den er Baden hier beschert. Sein Weggang wird nur sehr schwer, ich persönlich glaube kaum, zu kompensieren sein, denn Lakner hat man in jeder Sekunde seine Leidenschaft zum Theater, zur Musik, zur Operette angemerkt, denn er hat sie vorgelebt, in einfach unnachahmlicher Art. Dazu kommt, dass der neue Intendant seinen Schwerpunkt mehr auf das Musical legt, dass die Operette zurückgedrängt wird und dass auch die Auflösung des wunderschönen Badener Orchesters im Raum steht. Alles ohne Rücksprachen, mit einem Federstrich entschieden, von Leuten, die scheinbar überhaupt nicht wissen, was Kunst eigentlich bedeutet und die am Rechenschieber mit menschlichen Schicksalen spielen. Das Badener Orchester, eingespielt, hochgeachtet und mehr wie anerkannt, soll entlassen werden, angeblich aus Kostengründen, was aus meiner persönlichen Sicht rein vorgeschobene Argumente sind. Die Orchestermusiker haben das unmittelbar vor den letzten Vorstellungen erfahren, dass sie dennoch so toll, wenn auch leider heute wieder etwas zu laut spielen, kann man nur mit Hochachtung zur Kenntnis nehmen und inständig hoffen, dass durch entsprechende Interventionen das nicht nachvollziehbare Schicksal noch abgewendet werden kann. Der Bühne Baden ist es zu wünschen, denn eines der österreichischen Aushängeschilder beginnt dadurch langsam zu wackeln.

Die Bühnenbilder, die von Michael Lakner und Gerhard Nemec entworfen worden sind, sind einfach, einprägsam, passend und wirksam. Ein ständig wiederkehrendes Symbol ist der bereits erwähnte goldene Käfig, in den Giuditta immer wieder zurückkehrt. In seinem Programmheft sagt Lakner: In der Figur der Giuditta findet immer eine Entwicklung statt, doch sie bleibt immer eine Gefangene. Das Bühnenbild passt genau so zu der Aufführung, wie die bunten, teilweise grellen, immer schön anzusehenden und einfach passenden, abwechslungsreichen Kostüme, welche die aus Innsbruck stammende Friederike Friedrich entworfen hat und die die damalige Zeit plastisch auf die Bühne der Sommerarena zaubern. Die Choreografie von der aus Neuss am Rhein stammenden Anna Vita ist passend und sowohl ausdrucks- als auch eindrucksvoll. Das Ballett agiert mit Feuer und Esprit und auch die Auftritte des Chores sind mehr als gelungen und runden das positive Gesamtbild eindrucksvoll ab. Herauszustellen auch das wunderschön anzusehende akkurat einstudierte Auftreten des Chors und des Balletts insgesamt.

Das wunderbare eindrucksvolle Badener Orchester steht unter dem Dirigat des aus Grieskirchen in Oberösterreich stammenden Chefdirigent Michael Zehetner und er kann mit seiner Mannschaft alles bieten, was für eine solche spitzige Operette verlangt ist. Sein Orchester lässt alle Facetten der herrlichen Musik von Lehár aufblühen und zum Leuchten bringen. Zehetner ist ein wahrer Künstler am Taktstock und hat seine Orchestermitglieder fest in der Hand. Leider ist auch an diesem Abend der Orchesterklang, vor allem da auch das Dach wieder geschlossen ist, eindeutig zu mächtig. Die Sänger müssen alles geben und die Zuhörer haben auch damit zu kämpfen. Schade, vor allem für die Besucher der vorderen Reihen. Viel Applaus für eine dennoch mehr als eindrucksvolle Orchesterleistung,

Kommen wir nun zum Salz in der Suppe jeder Operette, den Sängern. Mit ihnen steht und fällt eine Aufführung und am heutigen Abend steht alles und fällt nichts. Franz Lehár hatte seinem „Haustenor“ Richard Tauber die wunderschöne Arie „Du bist meine Sonne“ auf die Stimmbänder geschrieben. Doch nicht diese Arie wurde zum Hauptmotiv, sondern das schmetternde, verschwenderisch ausgestattete Eröffnungslied des Octavio „Freunde, das Leben ist lebenswert“. Gleich zu Beginn, noch nicht eingesungen, bedarf es hier eines besonderen Tenors, um dieses tolle Lied dem Publikum entsprechend zu präsentieren und Baden hat einen solch besonderen Tenor. Der in Moldawien geborene rumänische Tenor Iurie Ciobano schmettert diese Bravourarie in das Publikum, als wenn es kein Morgen mehr gäbe. Eindrucksvoll, stimmkräftig, glänzend bis in die höchsten Töne, vollmundig und einfach nur stimmschön, zieht er den Jubel des begeisterten Publikums gleich zu Beginn auf sich. Sein ganzer Octavio ist eine mehr als vorzügliche Leistung. Weich, schmeichelnd, aber auch mit strahlenden Höhen und einem durchschlagenden metallisch glanzvollen Timbre, ist der Ausnahmetenor ausgestattet, den man immer wieder mehr als gerne hört, aber auch zuschaut, denn auch vom darstellerischen ist er von Jahr zu Jahr mehr herangereift und hat sich zu einem hervorragenden Darsteller entwickelt. Es ist einfach nur schön, ihm zuzuhören und zuzuschauen. Tosender Beifall für ihn.

Wunderbar auch in seinen Duetten mit seiner kongenialen Partnerin und Darstellerin der Giuditta, der in Wien geborenen Sopranistin Ursula Pfister. Mit imponierenden Stimmmitteln und stimmlicher Brillianz, bringt sie das notwendige Feuer mit, um die, fast könnte man sagen männermordende Kurtisane, eindrucksvoll zu gestalten. Ihre große Arie „Meine Lippen, sie küssen so heiß“ zelebriert sie richtiggehend und mancher der im Publikum sitzenden Männer, bekommt leuchtende Augen. Sie ist immer auf der Höhe der Handlung, temperamentvoll im Spiel, wie auch bei den Tänzen, einfühlsam und mit einem schönen silbrigen Sopran versehen, der ebenfalls keine Höhenschwierigkeiten zu kennen scheint.

Beide passen einfach zueinander und ihre Stimmen verschmelzen in den großen Duetten wunderbar miteinander. Beide sind mehr als spielfreudig und voller Leidenschaft, aber über allem liegt bei den beiden die Tragik des kommenden Endes und der versunkenen Liebe.

Da ist es gut, dass Lehár zwei weitere Figuren in seine Operette eingebaut hat, die das lockere, leichte verkörpern, die nur so über die Bühne wirbeln und alle Sorgen, die das Hauptpaar hat, einfach vergessen lassen. Das Fischermädchen Anita, wird von der belgischen Sopranistin Loes Cools verkörpert und wie. Sie ist ein richtiger Wirbelwind, keck, fröhlich, temperamentvoll, immer zu einer Dummheit bereit und kann stimmlich mit einem mehr als gefälligem, leichtem, klarem Sopran mit sehr schönem Timbre und frischem und eindrucksvollem Ausdruck überzeugen. Auch darstellerisch kann sie sich voll entfalten und gibt alless.

Der Obsthändler Pierrino wird von dem Tiroler Bariton Thomas Zisterer verkörpert. Sein stimmschöner, weicher und sehr gefälliger Bariton weiß mehr als zu begeistern. Auch darstellerisch ist er eine Nummer für sich, gibt alles und gemeinsam mit seiner Partnerin wirbelt er auf der Bühne herum, dass es eine wahre Freude ist. Die reizenden Duette der beiden Künstler bleiben in der Erinnerung haften und manches summt man noch lange nach der Vorstellung. Man merkt beiden so richtig die Freude am Spiel und die Leidenschaft in der Darstellung an, ein mehr als positiver Farbtupfer, der die etwas düstere Stimmung der Hauptfiguren, eindrucksvoll aufhellt.

Erwähnen möchte ich auch besonders die Darsteller der kleineren Rollen, bei denen es keinen Ausfall gibt und die sich nahtlos in das Geschehen einfügen und eine gute Portion zum Gelingen der Aufführung beitragen und die so oft einfach vergessen werden. Alle haben sich eindrucksvoll in den Dienst der Operette gestellt. Jakob Hoffmann als Manuel, dem Ehemann der Giuditta, der auch den Leutnant Antón, Ibrahim, den Besitzer des Alcazar in Marrakesch und den Herzog von Anjou verkörpert.

Artur Ortens, der den Wirt Sebastian, Lord Barrymore und den Adjutanten des Herzogs darstellt.

Tsveta Ferlin als Lolita, Ardeshir Babak als Türsteher, Branimir Agovi als erster Kellner und Baltasar Leone als zweiter Kellner. Sie alle haben hervorragend zum Gelingen des eindrucksvollen Abends beigetragen.

Dieser letzte Abend in der Sommerarena Baden hat einfach nur Spaß gemacht und man kann nur hoffen, dass diese wunderbare Spielstätte weiter so erhalten bleibt, wie es die vielen begeisterten Zuschauer in den zurückliegenden Jah empfunden und geliebt haben. Dem scheidenden Michael Lakner wünscht der Opernfreund alles erdenklich Gute in seinem Ruhestand, wobei ich mir sicher bin, dass man ihn hin und wieder mit Sicherheit bei einer Regiearbeit, einem Klavierabend oder einem sonstigen künstlerischen Auftritt erleben wird. Dazu die allerherzlichsten Wünsche!

Manfred Drescher 9. September 2025


Giuditta
Operette von Franz Lehár

Premiere: 3. August 2025
Besuchte Vorstellung: 30. August 2025

Regie: Michael Lakner
Musikalische Leitung: Michael Zehetner

Orchester, Chor und Ballett der Bühne Baden