Wuppertal, Konzert: „Beethoven, Korngold, Weill“, Sinfonieorchester Wuppertal unter Christian Reif

© Johannes Vesper

Zunächst erscheint es konventionell, das 1. Sinfoniekonzert der Saison mit Beethovens Vierter Sinfonie zu eröffnen. Robert Schumann sprach von ihr als der „griechisch schlanken Maid zwischen  der 3. (Eroica) und der 5. Sinfonie (Schicksalssinfonie)“. Sie entstand in Wien im 4. Stock des Pasqualiti- Hauses auf der ehemaligen Mölker Basteihoch über der heutigen Ringstraße gelegen. Hier hatte Beethoven mit Unterbrechungen 1804-1815 gelebt- eine seiner rund sechzig Wohnungen in Wien.

Heiter, vergnüglich alles andere als depressiv, ist in dieser Musik von der Verzweiflung über die beginnende Schwerhörigkeit – das Heiligenstädter Testament wurde 1802 verfasst – oder von revolutionärem Zorn, wie er sich in der vorangegangenen Eroica manifestiert, nichts zu spüren. Vielleicht spiegelt sich in der relativ selten aufgeführten Sinfonie aber -wie auch in dem nahezu gleichzeitig komponierten 4. Klavierkonzert– nicht nur der Beginn der Romantik in der Musik sondern auch die Liebe zu seiner Klavierschülerin Josephine von Brunswik. Im Gegensatz zur kurz zuvor vollendeten 1. Fassung seiner Oper „Fidelio“ wurde die 4. Sinfonie aus dem gleichen, schaffensreichsten Jahr 1806 sofort ein großer Erfolg. Schon zu Beginn, bei dem merkwürdig dunklen, unbestimmtem Adagio, welches dem Grundcharakter der Sinfonie nicht entspricht, wurde subtil, konzentriert und eindrücklich musiziert. Endlich startete aus den erlösenden Akkorden das geschwinde, frische Haupthema. Temperament und Empathie des Dirigenten übertrug sich sofort auf das sehr lebendig musizierende Orchester, erst recht, wenn Christian Reif sich von seinem Sitz, der wegen einer Fußverletzung nötig war, zu voller Größe erhob. Mit inspirierendem wie exaktem Dirigat steuerte er das Orchester durch die Fülle der musikalischen Einfälle, bis vor der erneut losstürmenden Reprise nach subtilem Übergang allein die Pauke im Pianissimo übrigblieb. Bei den hier relativ stark besetzten Streichern, wurde deutlich, daß die Zeit Mozarts und Haydns sinfonisch vorbei war. Das Adagio des 2. Satzes ist bestimmt durch zwei liedhafte Themen der Geigen bzw. Klarinetten sowie durch die immer wieder aufsteigenden, punktierten Quarte des Orchesters und der Pauke, die sich fast wie ein Ostinato durch den Satz zieht. Hier sangen die Holzbläser makellos, lyrisch und ergreifend. Nicht immer ganz reine Ansätze der Hörner störten nicht weiter. und wurden verziehen. Der 3. Satz, noch nicht wie in späteren Sinfonien als Scherzo bezeichnet, begannt schwungvoll mit synkopisch sich aufschwingendem Thema. Dem Namen nach noch Menuett allerdings mit eingefügten zwei Trios, zeigt sich mit diesem Satz auch hier, dass das Rokoko des 18. Jahrhunderts vorbei ist. Obwohl „allegro non troppo“ überschrieben, ging es im letzten Satz musikalisch atemberaubend schnell zur Sache mit flinken nahezu amüsanten Fagotten in der Tiefe. Die Zuhörer rutschten alsbald auf die Stuhlkante.  Nach kurzem langsamem Intermezzo bei nachdenklicher Violine und lyrischer Klarinette endete das sprühende Werk mit schnellen Akkordschlägen. Frenetischer Jubel mit Pfiffen und Bravi brach aus.

Dann mussten Publikum und Orchester entgegen den Angaben auf dem Programm erstmal in die Pause gehen. Anschließend ergriff Christian Reif, der 1989 geborene Dirigent aktuell des schwedischen Gävle Symphony Orchestra, das Wort. Er erläuterte kurz das von ihm ausgewählte Programm, sprach darüber, dass beide Komponisten des 20. Jahrhunderts mit ihren Werken Bezug genommen haben auf traditionelle Formen: Variation und Sinfonie. Beide Komponisten sind aus politischen Gründen damals in die USA emigriert.

Die Vita des Dirigenten, der sich um die Nachfolge von Patrick Hahn hier bewirbt, ist charakterisiert durch zahlreiche Auftritte mit US-amerikanischen Orchestern (darunter San Francisco Symphony und Dallas Symphony Orchestra), relativ seltene in Deutschland (darunter das Münchener Rundfunkorchester). Zusammen mit anderen leitet er kollegial das Lakes Area Music Festival in Minnesota, welches regionalen Sommerfestivals hierzulande zu entsprechen scheint. Seine nächsten Auftritte wird er mit Helene Grimaud mit Houston Symphony und mit Nashville Symphony Orchestra im Nashville-Symphony-Center Schermerhorn absolvieren. Christian Reif studierte Dirigieren an der Universität Mozarteum Salzburg und der Juillard School of Music in New York.

Im Konzert folgte jetzt „Thème and Variations“ von Erich Wolfgang Korngold (1897-1957). Er schrieb dieses Werk op. 42 (Aufführungsdauer ca. 10 Min.) für amerikanische Schulorchester. Sein größter musikalischer Erfolg ist die Oper Die tote Stadt, 2019 im Barmer Opernhaus aufgeführt worden ist. Im Neujahrskonzert 2023 war hier sein Violinkonzert D-Dur op 35 (1945) mit Leia Zhu zu hören. Ausgewandert in die USA ist er 1938, si er als Hollywoodkomponist reüssierte. Sein jetzt gespieltes op 42 entstand 1953. Mit dunkler Flöte erklingt zunächst das liedartige Thema, welches in den Variationen von unterschiedlichsten Seiten rhythmisch und harmonisch unterhaltsam durchgearbeitet wird. Harfenarpeggien, Seufzer der Violinen, Gassenhauer, Trauer, Ernst, Pracht: Wer Hollywood-Musik kennt, wird sie in dieser modernen Musik ohne jeden Anflug von Atonalität oder Zwölftonmusik vielleicht wieder erkennen. In Europa wurde er nach Aufgabe der Filmmusik 1946 als ernster Komponist nicht mehr richtig akzeptiert. In Wuppertal zeigte sich das Publikum begeistert von dieser musikantischen Musik.

© Johannes Vesper

Zuletzt endlich, sozusagen als Hauptwerk des Konzerts war Kurt Weills (1900-1950) seine selten aufgeführte Sinfonie Nr. 2. zu hören. Nach Beginn seiner musikalischen Karriere 1919 am Städtischen Theater Lüdenscheid -einem Theater ohne festes Haus mit wechselnden Aufführungsorten- wechselte Kurt Weill 1921 nach Dessau, später nach Berlin und emigrierte 1935 nach New York. Seine 7 Todsünden sind, von Pina Bausch choreographiert, noch dieses Jahr im Barmer Opernhaus zu sehen gewesen. Mit seiner Dreigroschenoper und mit Mahagonny wurde er sehr bekannt. Bruno Walter hat diese Sinfonie uraufgeführt. Dann erlebte sie das Schicksal emigrierter Musik, sie wurde in Deutschland nicht mehr aufgeführt. Die 2. Sinfonie, beginnend mit einem rhythmisierten Staccato- Motiv, welches bei leisen Streichern unter makellosem Trompetensolo wach bleibt, bietet zunächst traurigen Klarinetten und anderen Holzbläsern Entfaltungsraum. Bei überraschenden Pausen nach schnellsten Streicherpassagen ist exaktestes Dirigat notwendig, um den riesigen Orchesterapparat zusammen zu halten. Das gelingt! Im Largo des 2. Satzes besticht die gesangvolle Kantilene der Solocellistin, bevor sich unter Führung der Pauke ein ernster Aufschrei des gesamten Orchesters aufbäumt. Er wird abgelöst von elegantem Flötensolo. Unter rhythmisierten langsamen Paukenschlägen und leisen Trompeten geht der Satz zu Ende. In dieser Sinfonie fehlt das Scherzo. Autobiographisch bedingt? Zum Allegro vivace, dann Presto des letzten Satzes huschen die Streicher mit Dämpfern auf den Stegen los. Hochvirtuose Bläserpassagen ohne Streicher werden in Höchstform bewältigt.  Nach plötzlicher weiterer Steigerung des ohnehin sehr geschwinden Tempos scheint das ganze Orchester, nein der ganze Saal zu beben und nach einer kaum mehr vorstellbaren musikantischer Stretta geht das Stück zu Ende. Riesiger Applaus, erneut Pfiffe, Bravi, stehende Ovationen, Blumen gibt es für den Dirigenten, die er an die Soloflötistin weitergibt.

Johannes Vesper, 22. September 2025


Ludwig van Beethoven: Sinfonie 4 B-Dur op 60
Erich Wolfgang Korngold: Thème and Variations op 42
Kurt Weill: Sinfonie Nr. 2.

1. Sinfoniekonzert der 133. Saison
Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal

Sonntag, 21.September 2025

Christian Reif, Dirigent
Sinfonieorchester Wuppertal