CD: „Der fliegende Holländer“, Hong Kong Philharmonic Orchestra unter Jaap van Zweden (zweite Besprechung)

Jaap van Zweden (der in Amsterdam studierte) ist der wohl prominenteste niederländische Shootingstar, der bereists mit achtzehn Jahren Konzertmeister des Concertgebouw-Orchesters war. Dann machte er Karriere als Dirigent, zunächst des Netherlands Symphony Orchestra, dann des Residenz Orchester Den Haag, schließlich des Philharmonischen Orchesters Antwerpen und als künstlerischer Leiter des Dallas Symphony Orchestra. Von 2012 bis 2024 war er Musikdirektor des Hong Kong Philharmonic Orchestra. Mehrere Jahre war er in Dallas der bestverdienende Orchesterleiter in den USA, 2018 wurde er Chefdirigent der New Yorker Philharmoniker, seit Januar 2024 leitet er das Philharmonische Orchester Seoul. Er ist ein gefragter Gastdirigent verschiedener international renommierter Orchester, aber ein unumstrittener Orchesterdiktator. Im Mai 2025 berichtete die niederländische Investigativsendung Pointer über Anschuldigungen von mehr als fünfzig Musikern, die grenzüberschreitendes Verhalten und Einschüchterungen durch Van Zweden in mehreren Orchestern beschrieben. Die Quellen gaben an, dass einige Musiker Medikamente einnahmen oder sich krankmeldeten, um die Arbeit mit ihm zu vermeiden.

Wie auch immer: Als Wagnerdirigent ist van Zweden ohne Frage kompetent und fleißig. Den „Parsifal“ hat er bereits mit dem Philharmonic Orchestra der Niederlande eingespielt, den „Ring“ mit dem Hong Kong Philharmonic Orchestra. Und nun also, als Abschied von Hong Kong sozusagen, liefert er den „Fliegenden Holländer“ nach.

Wagner hat seinen „Holländer“ mehrfach bearbeitet, allerdings nie eine definitive Endfassung erreicht. (Er war der Welt also auch noch einen „Holländer“ schuldig, nicht nur einen „Tannhäuser“!) Die Weingartnersche Edition (mit Zustimmung Bayreuths) ist nur die Fiktion einer endgültigen Fassung. An „Holländer“-Aufnahmen mangelt es nicht, allerdings sind die meisten nicht wirklich zufriedenstellend, sind Kompromisslösungen sowohl hinsichtlich der Fassungen als auch der sängerischen Interpreten.

Jaap van Zweden dirigiert das Werk ebenfalls in einer kompilierten Fassung aller Wagnerschen Revisionen (inklusive Tristan-, also „Verklärungs“-Schluss der Ouvertüre, Dreiaktigkeit sowie der Senta-Ballade in g-Moll), also wie meist üblich in einer Mischfassung. Naxos hat jetzt einen Livemitschnitt aus der Hong Kong Cultural Centre Concert Hall vom Juni 2024 herausgebracht.

Das Dirigat ist nicht anders als fulminant zu nennen. Mit rasantem Tempo und dramatischer Gangart präsentiert van Zweden die romantische Weltschmerz-Oper zu Recht mit bedrohlichem, scharfem Zugwind. Dabei zeichnet sich sein Zugang immer durch strukturelle Klarheit und gute Durchhörbarkeit der schönen instrumentalen Details (gerade bei den Bläsern) aus.

Die sängerische Besetzung lässt allerdings zu wünschen übrig. Der US-amerikanische Tenor Bryan Register (der inzwischen das Heldentenorfach singt) verfügt als Erik über keinen angemessenen lyrischen Tenor von klarer Diktion und hellem, strahlenden Ton. Seine Stimme ist baritonal gefärbt, klingt sehr angestrengt und franst gelegentlich aus. Immerhin kann der Holländer des international gefragten irisch-amerikanischen Baritons Brian Mulligan trotz einiger Vokalverfärbungen mit ansonsten guter Sprachbehandlung, kluger Phasierung und imposantem Stimmmaterial mit guter Höhe überzeugen. Der ebenfalle weltweit gefragte estnische Bass Ain Anger als Daland ist eine Idealbesetzung. Das kann man allerdings von der Sängerin der Senta, Jennifer Holloway, nicht sagen. Zwar hat sie sich inzwischen als eine der führenden Sopranistinnen im jugendlich-dramatischen Fach international etabliert. Doch klingt ihre fleischige Stimme bereits reichlich abgenutzt, allzu breit und unschön wabernd. Sie verfügt weder über die nötige Klarheit, noch die geforderte Wendigkeit für die Partie. Auch an Wortverständlichkeit lässt sie zu wünschen übrig. Außerdem stört ihr Tremolo, und Ton-Treffsicherheit um jeden Preis ist schließlich nicht alles. Schreien ist – und das trifft auch auf den Sänger des Erik zu – keine Option. Nein, Jennifer Holloway überzeugt nicht, sie wird der Partie nicht gerecht. Wahrlich keine Penelope und auch kein utopisches Weib der Zukunft, um es mit Wagnerschen Worten zu sagen. Rollendeckend ist die portugiesisch-israelische Mezzosopranistin Maya Yahav Gour als Mary. Der Netherlands Radio Choir (Benjamin Goodson) und der Hong Kong Philharmonic Chorus (Apollo Wong) singen ordentlich, eine etwas pointiertere Interpretation und präzisere Wortbehandlung könnten allerdings nicht schaden. Auch aufnahmetechnisch ist die Aufnahme nicht ganz optimal.

Alles in allem: Keine Aufnahme, die man unbedingt haben muss. Ich ziehe unter den vielen Konkurrenzaufnahmen immer noch die Klemperer- und die Sawallisch-Aufnahme vor.

Dieter David Scholz, 22. September 2025


Der fliegende Holländer
Richard Wagner

Musikalische Leitung: Jaap van Zweden
Hong Kong Philharmonic Orchestra

Naxos
Best.Nr.: 8.660572-73
2 CDs