Chefsache ist an der Deutschen Oper Berlin seit eh und je Wagners Tannhäuser, sei es in der Regie von Chefregisseur oder Hausregisseur, wie es damals hieß, Werner Kelch in den Sechzigern, der von Intendant Götz Friedrich, der seine Arbeit unter den Titel „Ich bin der Welt noch den Tannhäuser schuldig“ stellte, oder zuletzt der von Intendantin Kirsten Harms, der sich zum Glück weiterhin im Repertoire befindet. Voll ausgekostet wird von ihrer Inszenierung in den Bühnenbildern von Bernd Damovsky die Vielfalt, ja Gegensätzlichkeit mittelalterlichen Lebens, der Konflikt zwischen Eros und Agape, verkörpert in den Frauenfiguren Venus und Elisabeth, zwischen antiker Götterwelt und mittelalterlichem Sittenkodex, und die Regie scheut sich nicht, bis knapp an die Grenze zur Lächerlichkeit zu gehen mit der Überfülle von prallbusigen und langmähnigen Ebenbildern der Venus, bei deren Anblick dem ins Reich der Venus einschwebenden Tannhäuser bereits angst und bange werden könnte, den knarrend (Verzeihung, das war früher, am 5. Oktober lief alles geräuschlos ab) auf die Bühne rollenden Streitrossen, den überaus phantasievoll gestalteten Helmen und Kostümen der Wartburggesellschaft, den überlangen, viel Flechten und Entwirren von ihrer Trägerin fordernden Zöpfen der Elisabeth und vielen anderen Einfällen mehr.

Ein Zugeständnis an „moderne Regie“ scheint die Verlegung des letzen Akts in ein eher Lazarett als Pilgerherberge darstellendes Krankenhaus zu sein. In diesem letzten Akt wird besonders deutlich, dass Damovsky vor allem das immer wieder die Farbe wechselnde Licht und die allgegenwärtigen Rüstungen als Deutungsmittel einsetzt. Da scheint, auch was Hell und Dunkel auf der Bühne betrifft, noch einmal nachgearbeitet worden zu sein. Ein Schmunzeln kann man sich nicht versagen, wenn beim Einsetzen der Venusbergmusik es unter dem Leichentuch, unter dem Wolfram die „tote“ Elisabeth eifersüchtig jedem Blick entziehen wollte, sich zu regen und zu rappeln beginnt, sehr, aber nicht zu spät offenbar wird, dass Elisabeth und Venus zwei Seiten einer Figur sind. Ob der Zuschauer aber, ohne die Ausführungen von Kirsten Harms im alten Programmheft über ihren Schluss für Tannhäuser zu lesen, noch nachvollziehen kann, was sie gemeint hat, ist zweifelhaft. So lebt Elisabeth noch, umarmt Tannhäuser und vollzieht damit die Aufhebung der Schranke zwischen himmlischer und irdischer Liebe.
Der Vorzug dieser Regiearbeit ist es, dass sie viele Möglichkeiten der Deutung eröffnet, nie mit dem Holzhammer zuschlägt und trotz allen humorvollen Augenzwinkerns die Figuren und ihre Probleme ernst nimmt. Da verzeiht man auch gern, wenn um des visuellen Reizes willen mit dem Blick in die feurig wabernde Hölle über das Stück und seine Inhalte hinausgegangen wird, man ist einfach dankbar dafür, dass auch die technischen Möglichkeiten einer modernen Bühne dazu genutzt werden, den Zuschauer zu beeindrucken und zu verzaubern, ihm den Opernabend zum unvergesslichen Erlebnis zu machen und dabei das Werk zu respektieren.

Während in der Staatsoper der Ring unter Christian Thielemann läuft, wartet die Deutsche Oper abgesehen von Tannhäuser noch mit einem Lohengrin auf, beide so qualitativ hochwertig besetzt, dass sich beide Häuser, was die Sänger betrifft, geradezu einander zu überbieten scheinen.
Klaus Florian Vogt durchmisst die schwierige Titel-Partie unverdrossen, von der Siegfried Jerusalem einst meinte, er würde lieber dreimal hintereinander den Tristan als einmal den Tannhäuser singen. Er mied die Partie konsequenterweise die gesamte Karriere hindurch. Vogt singt sie, ohne Ermüdungserscheinungen zu zeigen. Allerdings scheint die Stimme noch immer die Parsifals vor der Erweckung zu sein, verfügt nicht über das baritonale Fundament, das man von einem Sänger der Partie gewöhnt ist, aber es ist sehr angenehm, einen Tannhäuser zu hören, der sich nicht durch die Romerzählung quälen muss, der „Erbarm dich mein“ in aller Inbrunst singt und ohne das Mitleid des Hörers wachzurufen ob der Qual des gewaltsamen Stimmeinsatzes. Camilla Nylund ist eine sehr anständige Venus auch ohne Probleme in der Tiefe, als Elisabeth ist sie eine ideale Besetzung mit silbrig schimmerndem Sopran, aufblühender Höhe und einem jung und frisch klingenden Timbre, dem man auch die keusche Jungfrau abnimmt. Solide in jeder Hinsicht ist Thomas Lehman als Wolfram, dessen Lied an den Abendstern nicht von einer entsprechenden Optik der Bühne profitieren kann, so dass sich die sonst so geschätzte Atmosphäre von Melancholie und Andacht nicht einstellen mag. Ein sonorer, Autorität heischender und ausstrahlender Landgraf Hermann ist Christof Fischesser, dem man stellenweise eine großzügigere Phrasierung wünscht. Michael Bachtadze gibt einen markanten Biterolf und Kangyoon Shine Lee als Einspringer einen lyrischen Walther. Sehr zart ist der Sopran, den Hye-Young Moon für den Hirten einsetzt. Allerdings singt sie aus dem tiefsten und entferntesten Hintergrund der Bühne.

Der eigentliche Protagonist des Abends ist einmal mehr der Chor (Jeremy Bines), der sensibel, machtvoll oder feierlich genau den jeweils geforderten Duktus der Musik trifft. Ein sehr feinfühliger Sängerbegleiter ist Axel Kober mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin, der die Musik atmen und blühen lässt, der den Nachweis führt, dass Wagner nicht nur Orchesterprunk und -pracht ist, sondern feinstes Ausmalen von Charakteren und Situationen. Das meinte auch das Publikum, das ihn und das Orchester besonders herzlich feierte.
Ingrid Wanja, 5. Oktober 2025
Tannhäuser (Dresdner Fassung)
Richard Wagner
Deutsche Oper Berlin
59. Aufführung am 5. Oktober 2025
Premiere am 30. November 2008
Inszenierung: Kirsten Harms
Musikalische Leitung: Axel Kober
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin