Wien: „Die Fledermaus“, Johann Strauß

© Karl Forster

Wenn ein Theater eine eigene Spielfassung ankündigt, weiß in Wien das interessierte Publikum, das an dem am Ort der Uraufführung gespielten Werk kein Stein auf dem anderen bestehen bleibt. Ja, wir kennen unseren geliebten Stefan Herheim! Er setzt voraus, dass man die „Fledermaus“ ohnehin in- und auswendig kennt. Wer sie allerdings (noch) nicht kennt, wäre besser beraten, eine Vorstellung der Fledermaus zu Silvester an der Staats- oder Volksoper zu besuchen. Das Libretto der Operette geht auf das Lustspiel in vier Aufzügen Das Gefängnis des Leipziger Schriftstellers Roderich Benedix (1811-73) zurück, aus welchem wiederum das Lustspiel Le Réveillon des französischen Autorenduos Henri Meilhac und Ludovic Halévy.

Mit Réveillon wird in Frankreich das Fest am Heiligen Abend bezeichnet, welches durchaus ausufern kann (ein ähnliches Fest spielt am Rande im zweiten Akt von Giacomo Puccinis Oper La Bohème eine Rolle). Motive und Inhalte wurden von Karl Haffner (1804–76) bearbeitet, allerdings erwies sich seine Vorlage als wenig geeignet für eine musikalische Umsetzung. Der in Wien tätige Kapellmeister, Komponist und Librettist Richard Genée (1823–95) überarbeitete diese Vorlage zu einem kompakten, operettengerechten Werk. Dabei stellte er ein Fest bei einem russischen Großfürsten in den Mittelpunkt der Handlung, um das sich die Intrigen der Figuren Eisenstein und Falke drehen.

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Die Musik entstand im Sommer 1873 in Wien: Strauß schrieb die Melodien, Genée übernahm die Instrumentierung. Der Csárdás aus dem zweiten Akt wurde noch vor der Uraufführung gespielt und fand Anklang. Trotz mehrfacher Verschiebungen wegen der Wirtschaftskrise wurde die Operette am 5. April 1874 uraufgeführt und erhielt positive Kritiken. Bis 1888 gab es 199 Wiener Aufführungen; in Berlin waren es sogar über 300. Die erste Opernhaus-Inszenierung erfolgte 1894 unter Gustav Mahler in Hamburg. Um 1879 wurde Johann Strauss gebeten, eine Operettenfortsetzung zu schreiben, lehnte jedoch ab und komponierte stattdessen „Das Spitzentuch der Königin“. Leon Treptows Libretto wurde später von Carl Alexander Raida (1852-1923) vertont. „Prinz Orlofsky“ wurde am 8. April 1882 im Berliner Viktoria-Theater uraufgeführt, aber nach nur 23 Vorstellungen abgesetzt. Lediglich der „Prinz-Orlofsky-Walzer“ ist heute noch bekannt. Im Theater an der Wien wird „Die Fledermaus“ inszeniert – allerdings ganz anders als erwartet. Schon zu Beginn erklingt Beethoven statt Strauß, und die Handlung startet mit einer Gefängnisszene. Sogar Kaiser Franz Joseph erscheint und verwandelt sich in den Frosch. Hier bleibt wenig beim Alten. Die Inszenierung von Stefan Herheim verzichtet bewusst auf die traditionellen „Fledermaus“-Pointen und setzt stattdessen auf neue Erzählweisen. Der Regisseur arbeitet oft mit Meta-Ebenen und Sub-Texten und in dieser Produktion steht der Untergang des Habsburger-Reiches im Mittelpunkt. Die Operette wird als politische Fabel gesehen: Franz Joseph erscheint als tragikomische Figur, die über Sisi klagt.

Rosalindes Kostüm erinnert an Kaiserin Elisabeths Krönungsrobe, und Franz Joseph tritt sogar skurril unter ihrem Rock auf. Die Verbindung zwischen seinem Kummer und der „Fledermaus“ bleibt jedoch offen.

Im vorliegenden Fall wird weder Habsburg-Nostalgie noch Habsburg Kritik thematisiert. Bei Eisenstein befindet sich ein neunarmiger Leuchter (Menora) auf dem Tisch. Es wird die Frage gestellt, ob Herheim aus dem Namen Eisenstein eine mögliche mosaische Herkunft ableitet. In einer besonders auffälligen Szene serviert Adele anstelle des erwarteten Abendessens einen Schweinskopf. Diese Inszenierung wirft die provokante Frage auf, ob Adele damit antisemitische Tendenzen ausdrückt. Die Darstellung ist bewusst irritierend gewählt und spielt möglicherweise auf die vorherigen Hinweise zur Menora und der vermuteten mosaischen Herkunft Eisensteins an, wie sie im Kontext der Inszenierung angesprochen wurden. Doch wie bei den anderen Elementen dieser Produktion bleibt auch hier vieles offen und der Interpretation des Publikums überlassen.

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Die Szene fügt sich in die Reihe der ironischen, verfremdeten und teils überzeichneten Momente ein, die Stefan Herheims Regie prägen und das Publikum zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Regisseur Stefan Herheim arbeitet in seiner Inszenierung gezielt mit irritierenden und herausfordernden Bildern, die die Zuschauer zum Nachdenken und Hinterfragen anregen. Besonders prägnant tritt dies in der Darstellung der Figur Dr. Falke zutage. Herheim bricht bewusst mit traditionellen Vorstellungen, indem er Falke mit einem auffälligen Hitler-Bärtchen und eindeutigem Nazi-Gehabe auf die Bühne bringt. Diese Inszenierung geht damit weit über das übliche Rollenbild hinaus und greift auf historische Symbolik zurück, um die gewohnten Grenzen zu überschreiten und das Publikum mit provokanter Bildsprache zu konfrontieren. Der Einsatz solcher visuellen Mittel ist charakteristisch für Herheims Regiestil und trägt dazu bei, die Operette in einen kritischen und ironischen Kontext zu rücken, der zur Reflexion über die dargestellten Themen auffordert.

Auch die Tänzer, die ursprünglich als „Schani“ mit Geige definiert sind, werden für kurze Zeit in Nazis verwandelt. Diese Verwandlung erinnert stark an die Szenen aus Viscontis Film „Die Verdammten“, in dem die Verbindung zwischen Kunst, Macht und Faschismus thematisiert wird. Zum Ende der Aufführung erscheinen schließlich Soldaten in faschistischen Uniformen, wodurch die Inszenierung ihre kritische und ironische Grundhaltung noch einmal unterstreicht. Die Inszenierung nutzt starke Bilder und gezielte Anspielungen, die zum Nachdenken anregen – sie fordern das Publikum zu kritischer Reflexion heraus, bergen aber das Risiko einer Überinterpretation. Das Geschehen bleibt ironisch und wirkt durch politische Anspielungen verfremdet. Rosalinde und Alfred singen im ersten Akt ein Opernduett nach dem anderen – von Tristan und Isolde bis zu Traviata und Chenier – fast wie in einem Quiz, das Wiener Publikum kennt ohnehin alle Stücke. Wird die Inszenierung jedoch überladen, verliert sie ihren Humor. Regisseure bringen eigene Ideen ein, aber setzen diese nicht immer effizient um.  Stefan Herheim hat das Bühnenbild selbst entworfen. In den ersten beiden Akten ist, nach dem kurzen Beginn im Gefängnis, der Hintergrund der Drehbühne – das Theater an der Wien mit seinem Logenrund. Die Spiegelung des Aufführungsortes wurde bereits mehrfach verwendet, bleibt jedoch ein gestalterisches Element. Im dritten Akt gestaltet Herheim ein detailreiches Gefängnis, die Szene ist dicht gefüllt und der Chor nimmt nun die Rolle der Gefangenen statt der Ballgäste ein. Die Figur des Kaisers bewegt sich wiederholt auf und ab auf den Treppen.

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Hulkar Sabirova war als Rosalinde die Heldin des Abends. Eine Sängerin, die schier unerschöpfliche Kräfte an Stimmpotential und darstellerischer Spannung hat, komisch, souverän und witzig.

Eisenstein wird als Tenor von Thomas Blondelle verkörpert, der gemeinsam mit David Fischer als Alfred überzeugende sängerische Duelle liefert. Alina Wunderlin setzte ihre Koloraturen temperamentvoll um, was hervorragend zum überdrehten Spiel passt. Ines Hengl-Pirker überzeugt als laute Schwester Ida. Jana Kurucová (Orlofsky), Leon Košavić (Falke) und Krešimir Stražanac (Gefängnisdirektor) konnten das Potenzial ihrer Rollen wegen gestrichener Pointen weniger entfalten.

Die neue Hauptfigur des Abends ist der Kaiser: weder tragisch noch komisch, aber stets präsent. Alexander Strobele fiel früher eher in Nebenrollen auf, wurde jedoch lange unterschätzt. Er gibt die Figur des Kaisers nicht preis, degradiert sie aber auch nicht zum rührenden „Weißen Rössl“-Kitsch. Die sechs Tänzer, der Arnold Schoenberg Chor unter Erwin Ortner und Dirigent Petr Popelka beeindruckten gemeinsam mit den Wiener Symphonikern durch Tempo und Präzision. Das Orchester steigerte die Unterhaltung des Abends spürbar. Am Ende gab es sowohl Applaus als auch deutliche Buh-Rufe für den Regisseur, da das Originalwerk stark verändert wurde. Die „Fledermaus“ präsentierte sich diesmal ungewöhnlich… und so sollte es ja auch sein! Setzt uns, die Theaterliebenden, stets in Erstaunen, auf dass wir begierig euren Neuschöpfungen harren!

Harald Lacina 6. Oktober 2025


Die Fledermaus
Johann Strauß
MusikTheater an der Wien

Premiere: 4. Oktober 2025

Regisseur: Stefan Herheim
Dirigat: Petr Popelka
Wiener Symphoniker
Arnold Schoenberg Chor