Oldenburg: „Werther“, Jules Massenet

Als Johann Wolfgang von Goethe 1774 seinen Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ veröffentlichte, wurde dieser gleich zum Bestseller, wie man heute sagen würde. Jules Massenet verarbeitete den Stoff in seiner 1892 uraufgeführten Oper Werther. Auch andere Werke von Goethe fanden den Weg in die Oper. Neben „Mignon“ von Thomas war es vor allem der „Faust“, der häufig vertont wurde – von Gounod, Boito, Berlioz, Spohr, Schumann, Busoni und anderen. Im Falle des Werther war Massenet der Einzige, der eine Oper darübergeschrieben hat. Und die ist bis heute festen Bestandteil des internationalen Repertoires.

In Oldenburg gab es den Werther zuletzt 2008 und spielte in einer Art Legoland. Jetzt hat Regisseurin Kai Anne Schuhmacher das Werk neu inszeniert – und es spielt eigentlich nirgendwo. Die dunkel ausgeschlagene Bühne (Dominique Wiesbauer) ist leer. Eine wie auch immer geartete Atmosphäre entsteht hier nicht. An der Decke gibt es eine spiegelnde Fläche, die herunter oder herauf gefahren und gekippt werden kann. Dadurch entstehen mitunter bedrohlich enge, klaustrophobische Räume. Diese Deckenfläche hat ein kreisrundes Loch, durch das häufig der Regen nieselt. Wenn eine Tür gebraucht wird, schwebt ein leuchtender Bogen herab. Nur ganz am Schluss, wenn Charlotte mit einem Koffer aus ihrer zerbrochenen Welt flieht, verlässt sie den Schauplatz durch eine richtige Tür.

© Stephan Walzl

Werther ist ein Werk der großen Gefühle mit einem unglücklichen Liebespaar im Mittelpunkt. Bei Schuhmacher spielen aber die Nebenfiguren Schmidt (Seumas Begg) und Johann (Irakli Atanelishvili) eine zentrale Rolle. Sie sind fast ständig auf der Bühne. Es sind skurrile Kobolde mit Flügeln aus Pappe und fungieren als Drahtzieher des Geschehens. Das ist eine unglückliche Verschiebung der Akzente. In Bremen hat man 1996 auf diese Episodenszenen ganz verzichtet. Soweit muss man nicht gehen, aber hier ist man froh, wenn sie mal nicht über die Bühne wuseln.

Trotzdem will der Funke über weite Strecken nicht überspringen. Das Schicksal von Werther und Charlotte berührt nicht wirklich, weil Schuhmacher alles mit Ironie konterkariert. Dazu zählen auch die knallbunten, übertriebenen Kostüme von Valerie Hirschmann. Werther in kanarienvogelgelb mit großer Brille sieht aus wie die karnevalistische Parodie eines Intellektuellen und Albert in scheußlich grünem Karoanzug ist auch nicht viel besser. Überzogen ist auch die Zeichnung des Amtmanns (Seungweon Lee) als saufendem Alkoholiker. Erst am Ende, wenn Werther sich erschossen hat und die beiden Liebenden allein auf der Bühne sind, kann die Inszenierung fesseln. Da agieren plötzlich Menschen, deren Gefühle und Verzweiflungsausbrüche berühren. Trotz seiner tödlichen Verwundung steht Werther wieder auf und entschwindet langsam in den Bühnenhintergrund bis nur noch ein Schatten von ihm zu sehen ist. War alles nur ein Albtraum von Charlotte?

© Stephan Walzl

In der Titelpartie ist Paride Cataldo als Gast zu erleben. Sein heller Tenor ist der riesigen Partie in jedem Moment gewachsen. Er verfügt über eine sichere und glanzvolle Höhe und kann sich bis zum Ende sogar noch steigern. Die expressive Arie „Pourquoi me reveiller“ ist ein Glanzpunkt seiner Leistung, In der von uns besuchten Aufführung sang Dorothee Bienert die Charlotte. Ihr schlanker, aber sinnlich timbrierter Mezzo klingt in allen Lagen rund und voll, hat Farbe. Ihre Arie „Va! Laisse couler mes larmes“, die vom Altsaxophon begleitet wird, was Massenets Zeitgenossen als „beschwörendes Exotikum eines Übergangs in eine andere Welt“ empfunden haben, geht unmittelbar ans Herz. Als Albert, dem Ehemann von Charlotte, kann Arthur Bruce mit sonorem Bariton durchgängig überzeugen.

Die Sophie hat man (regiebedingt) schon profilierter gesehen, aber Penelope Kendros, die in Oldenburg schon als Olympia in „Hoffmanns Erzählungen“ begeistert hat, macht ihre Sache gut.

© Stephan Walzl

Massenet schrieb für seinen Werther eine lyrische Musik, voll subtiler Poesie und mit schwelgerischen, zarten Pastellfarben im Orchestersatz. Aber die Musik kann sich auch zu dramatischen Steigerungen aufschwingen. Genau diese Passagen betont Vito Cristofaro am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters und heizt das emotionale Moment kräftig an. Dass dabei kleine Feinheiten etwas vernachlässigt werden, beeinträchtigt den positiven Gesamteindruck aber nicht. Positiv ist auch die engagierte Leistung des Kinder- und Jugendchors (Marija Jokovic) zu bewerten. Trotzdem – ein Abend, der zwiespältige Eindrücke hinterlässt.

Wolfgang Denker, 16. November 2025


Werther
Oper von Jules Massenet

Oldenburgisches Staatstheater

Premiere am 8. November 2025
besuchte Aufführung am 15. November 2025

Inszenierung: Kai Anne Schuhmacher
Musikalische Leitung: Vito Cristofaro
Oldenburgisches Staatsorchester

Weitere Vorstellungen: 28. November, 3., 11-. 30- Dezember 2025, 14., 8., 31, Januar, 8,. 20., 27. Februar 2026