Köln: „Saul“, Georg Friedrich Händel

Es mag ungewöhnlich anmuten, dass man zehn Jahre nach einer Premiere ein Stück an ein Haus holt und es dort neu aufführt – aber es spricht auch sehr für die Produktion. In Köln hat man nun Händels Saul, der 2015 in Glyndebourne in einer Inszenierung von Barrie Kosky herauskam, auf die Bühne des Staatenhauses gebracht, und diese Entscheidung zahlt sich voll und ganz aus, denn das Publikum ist beim Schlussapplaus von diesem wunderbaren barocken Spektakel wahrlich beseelt.

Dabei zählt Saul vielleicht nicht zu den populärsten Werke Händels, ist es doch als Oratorium konzipiert. Umso überraschender ist, mit welch intensiver Dramatik dieses Werk daherkommt, wie unterhaltsam, ja im besten Sinne kurzweilig es ist. Die Geschichte um den von Neid zerfressenen König Saul, der sich selbst in einen Konkurrenzkampf zu David begibt und dabei seine eigene Familie und letztlich auch sich zu Grunde richtet, wird in dieser Produktion spannend und aufwühlend erzählt. Dass dies so gelingt, ist nicht nur der ausgezeichneten Figurenzeichnung Koskys geschuldet, auch das so einfache, wie atmosphärische Bühnenbild von Katrin Lea Tag, die auch für das beeindruckende Kostümbild verantwortlich zeichnet, macht diese Produktion so besonders. Zu Beginn sehen wir Saul, seine Familie und seinen Hof in barocker Opulenz und Farbigkeit. Auf der Bühne und im Graben entfaltet sich rauschhafte Pracht, man kann sich kaum sattsehen an den aufwendigen Dekorationen auf der Bühne. Je mehr der Herrscher von seinem eigenen Neid zerfressen wird, desto düsterer werden die Orte, desto leerer, fast gespenstischer zeigt sich alles: Die Bühne wird zum Seelenraum. Diese Idee ist so einfach, wie sie gut ist, und das ist vermutlich auch das, was diesen Abend so mitreißend und schlüssig macht.

© Sandra Then

Dabei sind gerade die schauspielerischen Leistungen beeindruckend. Die Sänger spielen um ihr Leben, werfen sich mit selten zu erlebender Intensität in ihre Rollen. Allen voran Christopher Purves in der Titelpartie ist beeindruckend. Er singt nicht nur ausgezeichnet, er spielt den König mit einer rohen Wildheit, teils mit einer Skurrilität, die den Wahn des Herrschers plakativ auf die Bühne bringt. Aber nicht nur szenisch beeindruckt das Ensemble, auch die musikalische Seite ist durchweg erstklassig aufgestellt. Sarah Brady als Merab geht kraftvoll an ihre Partie, beweist in den Koloraturen große Beweglichkeit und Akkuratesse. Giulia Montanari als Michal kommt mit einer deutlich feineren und zarteren Stimme daher, weiß aber genau damit auch zu gefallen. Als David startet Christopher Lowrey etwas verhalten in den Abend, vermag sich aber gesanglich und darstellerisch mühelos in das exzellente Ensemble einzufügen. Klangschöne, fein timbrierte Höhen zeichnen seinen wunderbaren Counter aus. Linard Vrielink als Jonathan begeistert mit einem feinen, wohlklingenden Tenor, der in allen Lagen exzellent disponiert ist. Benjamin Hulett, der neben dem Hohepriester auch noch kleinere Partien singt, besitzt einen strahlenden, kräftigen Tenor, den er der Exaltiertheit seiner Rolle geschuldet schon fast ins Dämonische treiben kann. Die kleine Partie der Hexe von Endor ist bei John Heuzenröder in besten Händen.

© Sandra Then

Ein kleines, aber feines Tanzensemble rundet den szenischen Gesamteindruck mit großer Lebendigkeit (Choreographie: Otto Pichler) ab. Die fünf Herren und eine Dame wirbeln über die Bühne, sind szenische Farbtupfer oder Impulsgeber. Besonderes Lob verdienen bei dieser Produktion aber auch Chor und Orchester. Der Chor agiert spielfreudig und meistert den nicht kleinen Part mit sattem Ton, trumpft aber nie zu sehr auf, wirkt nie zu massiv oder voluminös. Ein homogener, wunderbar nuancierter Chorklang zeigt wieder einmal die Klasse dieses Ensembles. Am Pult des Gürzenich-Orchesters steht Barock-Fachmann Rubén Dubrovsky, der im Graben alle Farben, die Händelsche Musik verlangt, aufs Beste entfesselt. Er musiziert einen leichten, luftigen Händel-Klang ohne dramatische Schwere oder Strenge. Barocker Pomp trifft auf beseelte kammermusikalische Momente, große Emotionalität trifft auf überschäumende Wildheit, Trauer auf Freude – es ist beeindruckend wie facettenreich hier musiziert wird. In Tempo, Dynamik und Ausdruck ist einfach alles stimmig. So entsteht eine nahezu perfekte Verbindung zwischen Graben und Szene.

© Sandra Then

Am Ende des Abends jubelt das Kölner Publikum, und das mit Recht. Diese Produktion ist wegen eines so quicklebendigen Spiels und der unglaublichen Präsenz der Darsteller auf der Bühne, aber auch wegen der bemerkenswerten musikalischen Qualität wirklich sehenswert.

Sebastian Jacobs, 24. November 2025


Saul
Oratorium in drei Akten von Georg Friedrich Händel

Oper Köln

Premiere am 23. November 2025

Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Rubén Dubrovsky
Gürzenich-Orchester Köln

Trailer