Wien: „Ich bin Vincent! Und ich habe keine Angst“, Gordon Kampe

© Herwig Prammer

Als Auftragswerk, basierend auf dem Libretto von Paula Fünfeck (auch bekannt als Irmelin Gödecke) und inspiriert vom gleichnamigen Roman der niederländischen Autorin für Kinderbücher, Theaterstücke und Lieder, Enne Koens (*1974), wurde diese Familienoper vom MusikTheater an der Wien präsentiert. Handlung: Vincent ist elf Jahre alt und er weiß alles über das Überleben in der Wildnis. Sein Lieblingsbuch ist das große Survival-Handbuch, er kennt es fast auswendig. Ums Überleben geht es für ihn als Einzelgänger auch täglich in der Schule, denn er gilt in der Schule als seltsam und nach Schulschluss lauern ihm jeden Tag Dilan und seine Freunde auf. Sie verprügeln ihn, schleifen ihn durch den Dreck, zerstören seine Habseligkeiten. Seine imaginären Freunde, ein Eichhörnchen, ein Käfer, ein Fohlen und ein Wurm können ihm kaum helfen spiegeln Vincents Charaktereigenschaften und Gewissenskonflikte wider. Und nun steht die Klassenfahrt bevor. Einziger Lichtblick ist die neue Mitschülerin Jacqueline, genannt »Die Jacke«. Sie spricht vier Sprachen, ist cool und mag Vincent. Auf der Klassenfahrt läuft die Situation dann völlig aus dem Ruder. Mitten in der Nacht findet sich Vincent allein im stockdunklen Wald wieder, wo ein echtes Abenteuer über Mut, Anderssein und das Überleben im Alltag beginnt und Vincent sich nun seinen Ängsten stellen muss. Das mehrfach prämierte Kinder- und Jugendbuch „Ich bin Vincent! und ich habe keine Angst“ (Originaltitel: Ik ben Vincent en ik ben niet bang) behandelt das Thema Mobbing mit viel Feingefühl und einem Hauch Humor. Inspiriert davon schufen die Librettistin Paula Fünfeck und der 1976 geborene deutsche Komponist sowie Hochschullehrer Gordon Kampe eine neue Familienoper für das MusikTheater an der Wien. Beide Künstlerinnen und Künstler haben der Kinder- und Jugendoper in den letzten Jahren bedeutende Impulse verliehen und arbeiten nun erstmals gemeinsam an einem Projekt. Regie führte Johannes Schmid, der zuletzt durch seine Christine-Nöstlinger-Verfilmungen Geschichten vom Franz und Neue Geschichten vom Franz große Begeisterung hervorrief. Das von Michael Balke umsichtig geleitete 27-köpfige Orchester der Wiener Symphoniker setzte sich aus einem Klavier, Harfe, Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Flöte, Oboe, Fagott, Klarinette, Horn, Trompete, Posaune, Tuba und zweifachem Schlagzeug zusammen.

© Herwig Prammer

Die betont heutige Ausstattung verantwortete Tatjana Ivschina, die stimmige Choreografie Anna Holter und die adäquate Lichtregie Karl Wiedemann. In der Titelrolle brillierte der Countertenor Alois Mühlbacher, noch bestens in Erinnerung als quirliger Knabentenor Oberto in Händels Alcina an der Wiener Staatsoper 2010, sowohl stimmlich als auch darstellerisch. Als sein fieser Gegenspieler Dilan etablierte sich Tenor Johannes Bamberger mit ebensolcher Bravour. Die „gute Seele“ und Rettungsanker für den zeitverlorenen Vincent war Georgina Fürstenberg als übercoole „Jacke“ mit ihrem prägnanten Koloratursopran. Frau Teich, die völlig überforderte Klassenlehrerin, wurde von Lavinia Dames mit ihrem einfühlsamen lyrischen Sopran interpretiert. Das Tierquartett wurde ausgewogen gesungen und gespielt von Bassbariton Matthias Hoffmann (Eichhörnchen), Mezzosopran Tatiana Kuryatnikova (Käfer), Sopran Mara Guseynova (Fohlen) und Bass Martin Summer (Wurm). Sopran Natalie Weinberg trat als Mitschülerin Stephanie auf.

© Herwig Prammer

Sie ist eine Mitläuferin, die einfach dazugehören will. Als etwas sorglose Eltern Vincents wirkten noch Sopran Birgit Völker (Mutter) und Bariton David Neumann (Vater) mit. Großes Lob gebührt wiederum dem Arnold Schoenberg Chor unter seinem verdienten Leiter Erwin Ortner. Dem jüngeren Publikum dürfte, sofern es den Inhalt der Oper überhaupt verstanden hat, diese Produktion gefallen haben, zumindest dem Applaus nach zu urteilen. Da das zu Grunde liegende Kinderbuch außerhalb der Niederlande wohl kaum bekannt ist, besitzt der Opernstoff keinerlei Wiedererkennungswert für das jüngere und ältere Publikum. Für einen Teil dieses älteren Publikums, einschließlich des Rezensenten, war die Oper insgesamt betrachtet eher langweilig. Die unisono dahin plätschernde eklektizistische Musik setzte zu wenig Akzente und wirkte über lange Strecken ermüdend.

Harald Lacina, 15. Dezember 2025


Ich bin Vincent! Und ich habe keine Angst
Gordon Kampe

MusikTheater an der Wien

Uraufführung: 14. Dezember 2025

Regie: Johannes Schmid
Dirigat:
Michael Balke
Wiener Symphoniker