Frankfurt, Konzert: „Academia di Santa Cecilia“ unter Antonio Pappano

1918 wurde die bis heute beliebteste Sinfonie von Sergej Prokofjew uraufgeführt. Dieser kurze sinfonische Edelstein erhielt den Beinamen „Symphonie Classique“. Joseph Haydn war bei diesem Werk die zentrale Inspiration, aber auch Mozart und Tschaikowsky flossen stilistisch mit ein. Heiter und vital im Tonfall stellt dieses Werk durchaus hohe Ansprüche an die spielerische Qualität eines Orchesters. Zum einen gilt es, die z.T. diffizile Rhythmik zu treffen und andererseits den Humor in einen suggestiven Klang-Gestus zu transferieren.

Zu Gast war das römische Orchester der Nationalakademie Santa Cecilia unter seinem langjährigen Chefdirigenten Sir Antonio Pappano, der in seiner Funktion in der letzten Saison sein Orchester seit nunmehr achtzehn Jahren leitet. Die intensive Verbundenheit mit seinen Musikern war jederzeit spürbar. Immer wieder applaudierte das Orchester seinem geliebten Dirigenten zu. So viel gegenseitige, frisch gebliebene Wertschätzung ist selten…

(c) Salar Baygan

Das Orchester aus Italien ist ein akustischer Edelstein. Hoch virtuos an allen Pulten musizierten die Musiker mit viel Charakter und eigener Art, dass es eine große Freude war. Ja und bei diesem Prokofjew ließ sich in der gewählten Vortragsform durchaus an Italien denken. Das Tempo des ersten Satzes sollte ein flottes „Allegro con brio“ sein. Bei Pappano kam es allerdings sehr gemütlich daher. Nix brio…, es klang nach etwas zu viel Pasta und Dolci, schwerfällig und überzuckert. Von dieser Schwere profitierten die beiden Mittelsätze, die als lustige Karikatur zu erleben waren. Das Finale wirkte auch eher gebremst. Dennoch war es ein großes Hörvergnügen, denn das Orchester spielte großartig und Pappano, der große Theatermusiker, gab der Musik alle Bildhaftigkeit.

Im Jahr 1932 erlebte das Klavierkonzert G-Dur von Maurice Ravel seine Uraufführung. Ein Klassiker der französischen Klavierliteratur, der unverkennbar Jazz-Elemente in den Harmonien erkennen lässt. Das beginnende Allegramente startet mit einem Peitschenhieb, gefolgt von einem Wirbel auf der kleinen Trommel und dann folgt bereits der Einsatz des Klaviers.

Seong-Jin Cho war der Solist dieses herrlichen Werkes. Ganz Virtuose stürmte Cho durch die Skalen und kontrastierte deutlich mit den klar heraus gestellten Jazzelementen des Werkes. Dynamisch sehr ausgewogen und überlegen in der Phrasierung gelangen ihm eindrucksreiche Momente. In der Reprise und beschließenden Kadenz hielt Cho intensive Zwiesprache mit seinem Instrument.

Der Kontrast im folgenden Adagio assai könnte kaum größer sein. Sehr ruhig und innig agierte nun die Klavierstimme. Klänge, die auch an Mozart oder Chopin denken lassen, geben diesem Satz eine  besondere Wirkung. Mit spürbarer Anteilnahme und weichem Anschlag gestaltete Cho diesen melancholischen Walzer zum faszinierenden Erlebnis. Jeder Akkord war eine Besonderheit.

(c) Salar Baygan

Danach wieder ein großer Farbwechsel im finalen Presto, hier zeigte Cho seine staunenswerte Virtuosität in der Bewältigung der schwierigsten Tonfolgen. Große Energien wurden von ihm mit leichter Hand zum Einsatz gebracht, um dann einen kraftvollen finalen Schlusspunkt zu setzen.

Sir Antonio Pappano war der wachsame und reaktionsschnelle Begleiter an Chos Seite. Pappano holte aus der Partitur leuchtende Farben, auch manche Dissonanz und erfreute sich an den gut heraus gearbeiteten Kontrasten. Es war ein harmonisches Miteinander zu erleben, welches das Publikum begeisterte. Das Orchester erbrachte auch hier eine meisterliche Leistung, vor allem in den herrlichen Soli-Beiträgen des zweiten Satzes. Bravi tutti! Cho hatte sich Georg Friedrich Händel als Zugabe ausgewählt. Aus dessen E-Dur Suite spielte er den vierten Satz. Wunderbar.

Eine schwere Geburt! Jean Sibelius mühte sich heftig und ausdauernd, um seine fünfte Sinfonie zu schreiben. Zunächst schrieb er eine traditionelle Satzfolge aus vier Sätzen. Wenig überzeugt davon, fasste er die Komposition schließlich in drei Sätze zusammen. Im ersten Satz ist die Musik permanent in Bewegung. Die Motive, vor allem in den Holzbläsern, sind eng miteinander verbunden und verändern sich ständig. Eine fortlaufende Metamorphose der Klänge, die in eine extrem gesteigerte, höllisch schwer zu spielende Coda mündet. Keck und mit deutlichen Fanfarenklängen in den Trompeten kommt das Scherzo daher und greift die Themen des ersten Satzes verarbeitend auf.  Und dann endlich ist der große Moment gekommen, welcher Sibelius zu diesem Werk inspirierte: An einem Morgen sah er sechzehn Schwäne über seinem Haus fliegen und war fasziniert von diesem Anblick.

Wie in einer Stromschnelle beginnt dieser so besondere Satz und baut eine gewaltige Spannung auf. Erlösung schafft dann der magische Es-Dur-Choral der Horn-Gruppe, welcher das Motiv der fliegenden Schwäne sehr markant vor dem Zuhörer ausbreitet. Erhaben, majestätisch und doch auch mit leiser Traurigkeit erklingt eines der ergreifendsten Themen, die der große Finne komponierte. Fortwährend wird dieses zentrale Thema neu bearbeitet, bis der seltsame Schluss mit abgerissenen Akkorden und langen Zwischenpausen diese herrliche Sinfonie beendet. Wer genau hinhört, wird in seinem Geiste das Schwanen-Motiv in den Pausen ausklingen hören.

Die hingerissenen Zuhörer in der Alten Oper erlebten eine Sternstunde im Vortrag dieser besonderen Sinfonie! Pappano fächerte die Partitur wissend auf und ermöglichte eine tiefe Innenschau in Struktur und Seelenklang. Ungemein farbig ließ er die Streicher in den hier unendlich oft geforderten Tremoli spielen. Im Tutti-Klang ergaben sich bei ihnen hinreißende Klangwogen. Mit viel Kreativität und sensibler Tongebung begeisterten Holz- und die nobel tönenden Blechbläser. Die Pauke setzte punktgenau ihre deutlichen Akzente. Mit welcher Erhabenheit und Größe gestalteten die hingebungsvollen Musiker das mitreißende Finale. So viel Licht, Kraft und Seele! Ein Genuss!

Das Publikum begriff genau, welchen besonderen Konzertmoment es da erlebte und feierte mit großer Begeisterung Pappano und sein tolles Orchester.

Mit Charme und Dankbarkeit kündigte er dann die Zugabe an: “Wir lieben Es-Dur und nun…, auf die englische Art!“ Sir Edward Elgars „Nimrod“ aus den „Enigma Variations“! Klangliche Vollendung im Schulterschluss mit größter Hingabe im Vortrag. Knappe fünf Minuten zum Niederknien vor so viel musizierter Schönheit. Mille grazie! Ovationen!

Dirk Schauß, 28. Januar 2023


Besuchtes Konzert am 27. Januar 2023

Alte Oper Frankfurt

Sergej Prokofjew: Sinfonie Nr. 1

Maurice Ravel: Klavierkonzert G-Dur

Jean Sibelius: Sinfonie Nr. 5

Solist: Seong-Jin Cho

Dirigat: Antonio Pappano

Nationalakademie Santa Cecilia