Amsterdam: „La forza del destino“

Premiere: 9. September 2017

Besuchte Vorstellung: 13. September 2017

toller TRAILER

Um eine Aufführung auf solch einem Niveau in Deutschland erleben zu können, muss man schon nach München oder Berlin reisen. Die Nationale Oper in Amsterdam ist das einzige Haus der Niederlande mit festem Ensemble, spielt aber international ganz vorne mit, wie jetzt die Neuproduktion von „La Forza del Destino“ beweist, die als Koproduktion mit dem Royal Opera House Covent Garden herauskam.

Regisseur Christof Loy und Ausstatter Christian Schmidt konzentrieren sich auf die Psychologie der Leonora als Hauptfigur und versuchen so die verwirrende Handlung durchschaubar zu machen. Schon währender Ouvertüre zeigt Loy seine Interpretation der Vorgeschichte und inszeniert punktgenau aus der Musik heraus: Die Familie Calatrava wird als Zwangssystem gezeigt, in dem es auch sexuellen Missbrauch geben könnte. Leonora sucht ihren Trost erst in der Religion und versucht später über ihren Geliebten Alvaro aus dieser Familie zu entkommen.

Wenn Alvaro aus Versehen Leonoras Vater erschießt, so wird dies zum zentralen Trauma der Figur, das später mehrfach als filmische Rückblende gezeigt. Leonora flieht und ins Kloster gehen, doch der große Saal, in dem das Stück begann, bleibt bestehen, was sich sp interpretieren lässt, dass Leonora weiter von ihrer Vergangenheit weiter verfolgt wird. Christof Loy inszeniert die Geschichte mit detailverliebter Sorgfalt, kann die Intensität der ersten beiden Akte aber nicht den ganzen Abend halten.

Auch verzichtet Loy darauf einige Figuren des ersten Aktes als Wiedergänger in der Gestalt von anderen Figuren in späteren Szenen auftreten zu lassen, wie dies Dietrich Hilsdorf 2007 in Essen und Immo Karaman 2014 Wiesbaden getan haben. Optisch beeindruckend sind aber die Chorszenen, die wie Gemälde gestaltet sind und in denen jeder Chorist individuell geführt ist. Die Szene desdritten Aktes, wenn sich Alvaro und Leonoras Bruder Carlos während des Krieges begegnen, siedelt Loy in einem Bordell an, während sich im Schlussakt die gealterten Figuren natürlich im Familiensaal begegnen.

Die Kampf und Tanzszenen sind eindrucksvoll von Otto Pichler choreografiert. Die große Rataplan-Szene der Preziosilla im 3. Akt wird zur großen Shownummer, wie man es von der Komischen Oper Berlin gewohnt ist. Stark auch, wie die quirlig singende Veronica Simeoni in die Tanzszenen mit eingebunden wird und auch die Chöre geschickt das Tanzbein schwingen.

Star der Aufführung ist die niederländische Sopranistin Eva-Maria Westbroek, die mit ihrer ausdruckvollen Stimmen und sensiblen Spiel die Zerrissenheit der Figur zwischen Trauer und Sehnsucht sehr gut vermittelt. Mit kräftigem und farbenreichem Bariton singt Franco Vassallo ihren Bruder Carlos. Tenor Roberto Aronica spielt den Alvaro mit Outlaw-Attitüde und einer Stimme, die viel Schmelz besitzt.

James Creswell gibt den alten Marchese als Familienmacho. Mit kerniger Stimme bringt Alessandro Corbelli die Komik des Fra Melitone auf die Bühne, während Vitalij Kowaljow als Pater Guardian mit einer warmen Bassstimme glänzt, die viel Geborgenheit ausstrahl.

Als starker Verdi-Dirigent präsentiert sich Michele Mariotti am Pult des Niederlands Philharmonisch Orkest. Er lässt viel Raum für die lyrischen Seiten des Stückes und in den Arien folgt er dem Atem der Sänger. Gleichzeitig lässt er die dramatischen Seiten des Werkes feurig und effektvoll lodern.

Rudolf Hermes 15.9.2017

Bilder DNO