Augsburg: „Lohengrin“

Revolution und Theater

Premiere: 3. 5. 2014

Vergänglichkeit von Utopien

Einen verspäteten Beitrag zum vergangenen Wagner-Jahr stellt die Neuproduktion des „Lohengrin“ am Theater Augsburg dar. Wohl bewusst hatte die Theaterleitung den 3. 5. für die Premiere ausgewählt. Nicht nur, dass Wagner in diesem Monat Geburtstag hat, speziell der 3. Mai hatte für ihn im Jahre 1864 eine schicksalhafte Bedeutung: An diesem Tag erreichte ihn in Stuttgart die Berufung von Ludwig II nach München, die ihn aus höchster materieller Not errettete. Der bayerische König stellte ihn fest an und bezahlte zudem alle seine Schulden. Von jetzt auf gleich aller finanzieller Sorgen ledig, sollte Wagner sich nur noch seiner Kunst widmen. Und der „Lohengrin“ war die Lieblingsoper Ludwigs. Gerade dieses Werk an exakt diesem Datum neu herauszubringen, ist eine würdige Begehung dieses Gedenktages.

Chor

Die Regie lag in den Händen von Thorleifur Örn Arnarsson, dessen gelungene „Bohème“-Inszenierung in Augsburg man noch in bester Erinnerung hat. Auch hier wartet er mit einer gut durchdachten, in sich stimmigen und überzeugenden Regiearbeit auf, wobei er gekonnt mehrere Stile mischt. Ausgangspunkt sind für ihn die Entstehungszeit des Werkes und die Biographie des Bayreuther Meisters Ende der 1840er Jahre. Wagner hatte sich damals am Dresdener Maiaufstand – eine weitere zeitliche Parallele zum gewählten Premierendatum – beteiligt und sich auf die Barrikaden begeben – ein Unterfangen, das ihn ins Exil zwang und an der Uraufführung des „Lohengrin“ in Weimar nicht teilnehmen ließ. Der Komponist war Zeit seines Lebens ein Revolutionär und hat aus dieser Gesinnung eigentlich auch nie ein Geheimnis gemacht. Und genau an dieser Mentalität Wagners und ihrer Bedeutung für seine Kunst setzt der Regisseur an.

Gerhard Siegel (Lohengrin), Sally du Randt (Elsa), Jaco Venter (Telramund)

Wenn sich der Vorhang bereits während des Vorspiels öffnet, fällt der Blick auf einen von Jósef Halldórsson entworfenen, marode und heruntergekommen Theaterraum, der augenscheinlich schon bessere Tage gesehen hat. Von der alten Pracht zeugt nur noch ein vom Schnürboden herabhängender Kronleuchter. Die Revolution hat deutliche Spuren hinterlassen, auch bei dem von Filippia Elisdóttir mit Kostümen aus dem 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart ausgestatteten Bühnenpublikum, das geisterhaft geschminkt und wie zu Salzsäulen erstarrt auf seinen Stühlen verharrt. Es scheint von nichts mehr Notiz zu nehmen, auch nicht von der von Anfang an aus ihrem Kreis ausgestoßenen Elsa und von Gottfried, die durch die Reihen wandeln und festzustellen versuchen, ob noch Leben in der Schar von Zombies ist. Diese Menschen sind nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich erstarrt. Sie haben den Halt und alle Hoffnung verloren. Sie glauben an nichts mehr und sehnen eine neue Kunst- und Gesellschaftsordnung herbei, gleichsam die Wiedergeburt der bereits von Wagner nachhaltig beschworenen Volksgenossenschaft. Mit dem Meister erhoffen sie sich ein durch Kunst erfüllten Leben und eine Reform des Theaterbetriebs, die indes nur durch eine neue Revolution erfolgen kann.

Sally du Randt (Elsa), Gerhard Siegel (Lohengrin)

Diese ist hier geistiger Natur und resultiert ganz aus dem Wunsch des Kollektivs nach etwas Neuem. Ohne neue Impulse, ohne etwas, was ihr wieder Auftrieb gibt, ist die Gemeinschaft zum Untergang verdammt. Sich dessen vollauf bewusst, hinterfragt sie ihre alten Werte und gebiert aus sich selbst heraus eine neue Kunstfigur, die den Namen Lohengrin trägt und dem Volk den Weg aus der Misere zeigen soll. Der Gralsritter erscheint als Ausdruck eine Heilssehnsucht, die die Brabanter beherrscht. Zunächst schwören sie ihm begeistert Gefolgschaft, nur um ihn später gnadenlos wieder fallen zu lassen. Die Situation ist vergleichbar mit der eines Film- oder Medienstars, der aufs Abstellgleis geschoben wird, sobald er seine Attraktivität verloren hat und deshalb für die Menschen nicht mehr interessant ist.

Sally du Randt (Elsa)

Das ist ein Punkt von zeitloser Relevanz. Dementsprechend nimmt auch das Bühnenbild ab dem zweiten Aufzug einen abstrakten Charakter an. Die in einzelne verschiebbare Segmente aufgeteilte weiße Wand symbolisiert eine letztlich nicht zu verwirklichende politische Utopie, die Lohengrin verkörpert. Dabei ist das große Verlangen der Gesellschaft nach einer neuen Führungsperson nicht an ein bestimmtes Individuum gebunden. Lohengrin ist austauschbar, nicht subjektgebunden. Entscheidend ist der frische Wind, den der von der Regie bewusst nicht gerade als Strahlemann und etwas ältlich gezeichnete Titelheld mit sich bringt und das Kollektiv anregt, sich mit den neuen Aspekten auseinanderzusetzen und auf diese Weise weiterzuentwickeln. Damit verbunden ist aber ein kritischer Blick auf den Titelhelden, der einigen Personen mehr zu eigen ist als anderen. Viele Brabanter sind aufgeklärter als die anderen und tragen dementsprechend sichtbar modernere Kleider als ihre Mitbürger. Die zuerst im weißen Unterkleid auftretende Elsa bekommt von Lohengrin später ein helles Kleid mit prächtigen Schwanenfedern und wird dergestalt rein äußerlich an ihn gebunden. Schließlich geht aber auch ihr die Erkenntnis auf, dass ihr Held durchaus zu hinterfragen ist. Indem sie schließlich im Brautgemach die verbotene Frage doch stellt und sich dabei das Kleid vom Leib reißt und ihm vor die Füße wirft, zerstört sie die von ihm verkörperte Utopie. Dass sie es ist, die gleich im Anschluss den hier durchaus nicht angrifflustigen Telramund mit einer simplen Schwanenfeder ersticht, ist ein Überraschungseffekt der besonderen Art. Indes scheint sie dem Grafen nicht immer feindlich gegenübergestanden zu haben. Jedenfalls sitzt sie den größten Teil des letzten Bildes trauernd an seiner Leiche. Das lässt auf eine durchaus positive Beziehung zwischen den beiden in früherer Zeit schließen. Mit dem Abgang Lohengrins kann eine neue Utopie beginnen. Wenn am Ende dann ein doppelter Gottfried erscheint, belegt das das Vorhandensein von gleich zwei utopischen Zukunftsmöglichkeiten, zwischen denen das Volk wählen kann. Die Brabanter glauben aber nicht mehr an Utopien und verlasen die Bühne. Elsas als kleiner konventioneller Lohengrin vorgeführter Bruder bleibt einsam zurück – ein sehr pessimistisches Ende. Die Quintessenz des Ganzen besteht in der Aufzeigung der Zeitlosigkeit von immer neuen politischen Utopien und deren Verwerfungen.

Gerhard Siegel (Lohengrin), Sally du Randt (Elsa), Jaco Venter (Telramund), Kerstin Descher (Ortrud)

Gesanglich hinterließ die Premiere gemischte Gefühle. Obwohl er manchmal etwas zum Forcieren neigte, sang Gerhard Siegel den Lohengrin insgesamt viel besser im Körper als man es bisher von ihm gewohnt war. Bei seinem gleichermaßen kraftvollen und auch emotional eingefärbten Vortrag konnte größtenteils wirklich von Glanz und Wonne die Rede sein. Ebenfalls eine gute Leistung erbrachte Sally du Randt, die sich mit großer darstellerischer Energie in die Rolle der Elsa stürzte. Auch stimmlich vermochte sie mit ihrem gut gestützten, durch alle Lagen ausgeglichen geführten und eine schöne Pianokultur aufweisenden Sopran für sich einzunehmen. Als Telramund gefiel mit markantem, intensiv eingesetztem und eine hohe Ausdrucksintensität aufweisendem Heldenbariton Jaco Venter vom Badischen Staatstheater Karlsruhe. Die beste Leistung des Abends erbrachte Dong-Hwan Lee, der einen wunderbar italienisch focussierten, frischen und sonoren Bariton von edelster Klangqualität für den Heerrufer mitbrachte. Kerstin Descher sang die Ortrud in Mittellage und Tiefe solide. Indes weist ihre Stimme zur Höhe hin einen Registerbruch auf. Im oberen Bereich ging sie durchweg vom Körper weg und verlegte sich auf eine nicht gerade gefällige, sehr kopfige Tongebung. Mit dem König Heinrich, der für ihn viel zu hoch lag, kam Vladislav Solodyagin mehr schlecht als recht zurecht. In der oberen Lage wirkte sein Bass reichlich halsig und klangarm. Obendrein neigte er in diesem Bereich zum Distonieren. Diesen Sänger hat man schon besser gehört. Ziemlich dünnstimmig klangen auch die vier brabantischen Edlen von Eckehard Gerboth, Gabor Molnar, André Wölkner und Alexander Yagudin. In der kleinen stummen Partie des Herzogs Gottfried waren David Mayr und Gregor Richter zu erleben. Den trefflich singenden Chor hatte Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek einstudiert.

Eine beeindruckende Leistung erbrachte Dirk Kaftan am Pult. Er hat die beiden entgegengesetzten Welten hervorragend voneinander abgegrenzt. Herrlich bereits zu Beginn die flirrenden Violinen. Noch beeindruckender gelangen dem Dirigenten indes die düsteren Stimmungen in der Szene zwischen Ortrud und Telramund im zweiten Aufzug. Er setzte vornehmlich auf zügige Tempi und auf eine klare Abgrenzung der Konturen. Die eine oder andere Generalpause geriet ihm aber etwas zu lang. Die meisten Instrumentengruppen der Augsburger Philharmoniker waren in blendender Form. Lediglich die Holzbläser ließen zeitweilig intonationsmäßig zu wünschen übrig.

Ludwig Steinbach, 6. 5. 2014 Die Bilder stammen von A. T. Schaefer.