Premiere: 29.08.2021
Begeisternder Spielzeitauftakt am Theater Bonn
Zugegeben, im Vorfeld der gestrigen Premiere am Opernhaus Bonn war es schon ein etwas mulmiges Gefühl nach fast genau 1 ½ Jahren erstmals wieder in einem nahezu komplett gefüllten Theatersaal Platz zu nehmen, insbesondere mit dem Hintergedanken, dass die Corona-Schnelltests nicht wirklich überzeugen können, wenn man sich nur mal näher anschaut, wie einige (natürlich nicht alle) Teststellen diese Tests durchführen. Schöner wäre hier angesichts der hohen Inzidenzwerte im Land wohl eine 2G-Reglung oder eine 3G-Regelung mit entsprechend sicheren PCR-Tests, aber diese Entscheidung liegt im Ermessen der Landesregierung, dem Theater Bonn ist hier also kein Vorwurf zu machen. Im Gegenteil, die Überprüfung der Daten beim Einlass war sehr vorbildlich. Doch damit genug der persönlichen Vorworte und vor allem genug zum Thema Corona, welches uns nun über die letzten Monate überall begleitet hat. Vorhang auf für die neue Spielzeit am Theater Bonn, die am 29. August 2021 mit dem Musical Chicago fulminant eingeläutet wurde.
Auch wenn die Uraufführung im Juni 1975 in New York zunächst noch verhalten aufgenommen wurde, sollte spätestens das Revival aus dem Jahr 1996 dem Musical Chicago zu großem Ruhm verhelfen. Insgesamt gewann diese Produktion sechs der renommierten Tony Awards. Die Verfilmung aus dem Jahr 2002 unter der Regie von Rob Marshall in der u. a. Renée Zellweger, Catherine Zeta-Jones und Richard Gere mitwirkten gewann sechs Oscars bei dreizehn Nominierungen und wurde ein weltweiter Erfolg. Grund hierfür ist nicht zuletzt auch die schwungvolle Musik von John Kander, die in Bonn von einer großen Band unter der musikalischen Leitung von Jürgen Grimm erstklassig wiedergegeben wurde. Hierbei nehmen die Musiker rechts und links auf der Bühne Platz, ganz so, wie man es von einer großen Big Band in alten TV-Shows gewohnt ist. Doch vorab kurz zur Story des Musicals. Erzählt wird die Geschichte der Nachtclubsängerin Roxie Hart, die ihren Geliebten Fred Casely kaltblütig erschießt, da er ihrer Karriere nicht wie erhofft zuträglich ist. Im Gegenteil, um Roxie ins Bett zu bekommen, hatte er seine Beziehungen ins Show-Business nur vorgetäuscht. Im Gefängnis trifft Roxie auf Velma Kelly, eine bekannte Vaudeville-Sängerin, die ebenfalls zur Mörderin wurde, nachdem sie ihren Mann mit ihrer Schwester in flagranti erwischte. Hier im Frauenblock des Cook Country Gefängnis hält Mama Morton die Fäden in der Hand und organisiert gegen gute Bezahlung so ziemlich alles. Sie war es auch, die Velma als „Top Mörderin der Woche“ zum Medienstar machte. Großen Anteil hieran hatte und hat auch der charismatische Staranwalt Billy Flynn, der sich nun auch der Geschichte von Roxie Hart annimmt. Es entbrennt eine große Rivalität um die größere Medienaufmerksamkeit der beiden Mörderinnen, da die großen Zeitungen, stets gierig nach den neuesten Sensationen, bereitwillig die von Billy Flynn frei erfundenen tragischen Geschichten abdrucken. Hierbei schreckt er auch nicht davor zurück, Roxies Ehemann Amos, der seine kaltblütige Gattin noch immer liebt, in seine eigene „Wahrheit“ zu integrieren.
In Zeiten, in denen die BILD in Deutschland einen eigenen Fernsehsender startet, vielleicht ein ganz passendes Musical, welches von Regisseur Gil Mehmert mit schönem Witz umgesetzt wurde. Kleiner Spoileralarm, auch der gute „Uncle Sam“ wird in dieser Inszenierung entlarvt werden. Die Autoren Fred Ebb und Bob Fosse entwickelten das Musical 1975 bereits als eine Abfolge von Varieté-Nummern, einen Aspekt den Mehmert in seiner Regie besonders würdigt und der Geschichte so einen gelungenen Rahmen setzt. Durch diese Inszenierung gelingt es, dass nahezu alle Songs gut zur Geltung kommen und fast wie in einem Varieté-Programm ein Highlight das nächste jagt. Die Bühne von Jens Kilian ist hierbei dank einer zentralen Drehscheibe zweckdienlich und mit einer großen Showtreppe zudem nett anzusehen. Vorteil hierbei auch, dass der Abend ohne größere Umbauten flüssig abläuft. Nett anzusehen sind auch die vielen prächtigen Kostüme von Falk Bauer und die wunderbaren Choreografien von Jonathan Huor.
Großen Respekt muss man dem Theater Bonn für die Auswahl der Besetzung zollen, bis in die letzte Rolle bringt das Ensemble eine ebenso sehens- wie auch hörenswerte Vorstellung auf die Bühne. Der gleiche Respekt gebührt den Darstellern selbst, denen man die Spielfreunde nach monatelangem Stillstand förmlich ansieht. Als mörderisches Duo stehen in Bonn Bettina Mönch als Velma Kelly und Elisabeth Hübert als Roxie Hart auf der Bühne, die Gefängnisaufseherin Mamma Morton wird von Dionne Wudu verkörpert. Ein Genuss den drei Damen rund 2 ½ Stunden zuzuhören. Wie Anton Zetterholm dem Anwalt Billy Flynn immer wieder eine besondere Mimik gibt, selbst wenn er nur als beobachtende Person am Bühnenrand steht, ist wirklich spannend zu beobachten. Enrico de Pieri verkörpert den armen Amos Hart so, dass man permanent Mitleid mit ihm hat. Und dann wird ihm auch noch im Gegensatz Velma Kelly oder Billy Flynn seine Abtrittsmusik verwehrt, so dass er lieber seitlich von der Bühne schleicht, statt die große Showtreppe zu benutzen. Erfahren in der Darstellung der Mary Sunshine ist Victor Petersen, der diese Rolle bereits mehrfach übernahm und dem es auch in Bonn wieder gelingt, einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.
Zu Beginn der Vorstellung gleich nach „All that Jazz“ hat man sich noch gefragt, ob dies vielleicht in all den vielen Jahren als Theaterbesucher eine der lautesten Beifallsbekundungen nach einer ersten Nummer war und alle Zuschauer froh sind, dass es wieder losgeht oder ob man einen solchen Beifall einfach nur nicht mehr gewohnt ist. Im Laufe des Abends wurde der Applaus aber nicht leiser und nach einem langen und verdienten Schlussapplaus war klar, dass dem Theater Bonn hier ein großer Erfolg gelungen ist. Auch die Darsteller schienen allesamt sichtlich gerührt und am Ende des Abends steht die Erkenntnis, dass man einen solchen Abend viel zu lange vermisst hat.
Markus Lamers, 30.08.2021
Fotos: © Thilo Beu