Besuchte Aufführung: 6. 10. 2013 (Premiere: 21. 9. 2013)
Konventionelle Heiterkeit
Mit Schwung und guter Laune startete das Landestheater Coburg in die neue Saison. Auf dem Programm stand eine Neuproduktion von Donizettis „L’ Elisir d’ amore“, die einen heiteren, unbeschwerten Nachmittag bescherte und von dem zahlreich erschienenen Publikum voll akzeptiert wurde. Jean Renshaw ist eine solide, aber harmlose Inszenierung zu bescheinigen, die mit dem Bühnenbild und den Kostümen von Christof Cremer eine gelungene Symbiose einging.
Modernes Musiktheater scheint Frau Renschaws Sache nicht so sehr zu sein. Sie setzt vielmehr auf konventionelle Mittel und siedelt das Ganze in einem etwas surreal anmutenden Einheitsbühnenraum an, der sowohl Innen- als auch Außenbereich ist und an dessen Decke eine stattliche Anzahl Stühle hängt. Eine ausgedehnte, häufig benutzte hölzerne Rutsche führt vom Hintergrund bis in den vorderen Bereich der Bühne. Auf ihr rutscht auch Dulcamaras von einem Assistenten gelenkter Verkaufskoffer, dem der Quacksalber schließlich selber entsteigt, geradewegs in das Geschehen. Mit lockerer Hand beschwört die Regisseurin ein Stück unbeschwerten toskanischen Lebensgefühls herauf, lässt aber auch geschickt soziologische Aspekte in ihre Deutung einfließen.
Sie legt den Focus auf eine überalterte Dorfgesellschaft, deren Kinder längst in die Städte abgewandert sind. Adina ist aus so einer Metropole gerade zurückgekehrt und geht in ihrem Heimatort nun nicht so ganz eindeutigen Tätigkeiten nach. Sie kann einen Hof geerbt haben, andererseits aber auch Sozialarbeiterin oder Altenpflegerin sein. Eine genaue Antwort liefert die Regisseurin – bewusst? – nicht. Jedenfalls bringt sie das Leben im Dorf ganz schön auf Trab. Sie, Nemorino und Gianetta sind die einzigen jungen Leute in dieser Gemeinschaft von Senioren, die von der Regisseurin gekonnt in individuell gezeichnete Charaktere aufgespaltet wird, so beispielsweise in den alten Chordirigenten, einen Pfarrer und einen Blinden, der glatt in den Orchestergraben stürzen würde, wenn Adina nicht ein wachsames Auge auf ihn hätte. Diese gelungenen Individualisierungen trugen viel zum Gelingen des Nachmittags bei.
Es ist ganz offensichtlich, dass Frau Renschaw mit dem Chor hervorragend umzugehen versteht. Auch bei der Führung der Solisten wurde ihre choreographische Vergangenheit merkbar. Ihre Personenregie war ausgezeichnet. Sie ging äußerst versiert ans Werk, führte die Figuren sehr kurzweilig und heiter-beschwingt, wobei sie szenische Akzente in genauem Einklang mit der Musik setzte und auch mit zahlreichen witzigen, aber nie überzogen wirkenden Einlagen nicht sparte. Da steckte so mancher Gag im liebevoll herausgearbeiteten Detail. Für komödiantische Effekte hat die Regisseurin wahrlich eine gute Ader. So hinterließen beispielsweise das Tauziehen an einer aus BHs bestehenden Wäscheleine und die Attacke der mit Unterhöschen winkend auf den reichen Neuerben Nemorino eindringenden Alt-Weiber-Liga einen gefälligen Eindruck – desgleichen die Szenen, in denen Gianetta sich recht erotisch präsentieren und Teile ihrer Unterwäsche zeigen darf. Jean Renschaw versteht es schon, das Auditorium zu unterhalten. Als letztes Mittel diente ihr dazu der unter reger Einbeziehung der Rutsche durchinszenierte Applaus. Eine tiefgehende kritische Hinterfragung des Inhalts bzw. eine intellektuell-geistvolle Auseinandersetzung mit dem Stück blieb sie aber leider schuldig.
Bei Lorenzo Da Rio, der auch den Chor famos einstudiert hatte, war Donizettis Werk in guten Händen. Er animierte das Philharmonische Orchester Landestheater Coburg zu einem spritzigen, locker aufgefächerten Spiel von großer Klarheit und prägnanten, nie zu stark gesetzten Akzenten.
Zum größten Teil zu begeistern vermochte auch das aufgebotene Sängerensemble. Allen voran die wunderbare Sofia Kallio, die mit immenser Spiellust eine herrlich kokette und quirlige Adina gab und mit ihrem dunklen, mezzohaft anmutenden, bestens italienisch geschulten, sehr gefühlvoll und flexibel geführten und dabei äußerst koloraturgewandten Prachtsopran auch stimmlich hundertprozentig überzeugen konnte. Neben ihr lief David Zimmer ebenfalls zu großer Form auf. Er gab den Nemorino als sympathisches, schüchternes und leichtgläubiges Bürschchen, dem man seine große Liebe zu Adina ohne weiteres abnahm. Mit seinem bestens gestützten und nuancenreichen lyrischen Tenor wusste er auch gesanglich sehr für sich einzunehmen. Herrlich gelang ihm das sehr emotional und ausdrucksstark dargebotene „Una furtiva lacrima“. In dem Belcore hat Benjamin Werth eine neue Paraderolle für sich gefunden, der er in jeder Beziehung voll entsprach. Einfach köstlich, wie er diesen aufgeblasenen, selbstverliebten Macho von Sergeanten auf die Bühne brachte und mit sonorem, tiefgründigem hellem Bariton auch perfekt sang. Gianetta, zu der er sich am Ende hinwendet und die er kurzerhand schultert, wurde von der mit guter Körperstütze und substanzreich singenden Anna Gütter stark aufgewertet. Das hohe Niveau seiner Kollegen vermochte Rainer Scheerer in der Rolle des Dulcamara nicht ganz zu erreichen. Rein darstellerisch war er sehr glaubhaft. Indes müsste er seinen in der Mittellage insgesamt gut sitzenden, in der Höhe aber etwas flach und halsig klingenden Bass noch besser in den Körper bekommen. Als stummer Diener des Quacksalbers war Valentin Fruntke zu erleben.
Ludwig Steinbach, 12. 10. 2013 Die Bilder stammen von Andrea Kremper