Zwischen Jubelsturm und Buhorkan
Zweiter Premierenbericht
Da ist er nun fertig geschmiedet: Der Ring der deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Und was man schon in den anderen Teilen erahnen konnte: Mit der Götterdämmerung erfährt Wagners Opus nun seinen musikalischen Höhepunkt und seinen szenischen Tiefpunkt. So sei die Musik auch zuerst gewürdigt, denn die musikalische Seit ist es, die wirklich beachtlich ist – das ist Wagner-Klang vom Feinsten und so brandet über die Protagonisten auch eine wahre Welle phrenetischen Beifalls und Bravo-Rufens, bevor die Regie die Bühne betritt und absolut berechtigt von einem Buh-Orkan weggefegt wird.
Dass der Abend so ein musikalisches Ereignis wird, ist sicherlich allen voran Düsseldorfs GMD Axel Kober zu verdanken. Souverän lenkt er sein Orchester durch alle Passagen Wagnerscher Musik und die Düsseldorfer Symphoniker beginnen mit ihrem Chef einen aufwühlende, hochmusikalischen Ritt durch Wagners Partitur. Hier stimmt eigentlich alles (und ein Kiekser im Horn sei auch mal verziehen). Ausgewogene Tempi, lyrische Feinheiten im Kontrast zum Monströsen der Partitur: So muss Wagner klingen. Die Sängerriege des Abends ist durch die Bank weg in den großen Partien exzellent besetzt: Star des Abends ist – wen mag es wundern – Linda Watson, die die Partie der Brünnhilde vortrefflich meistert. Sie singt und spielt diese Monsterpartie mit soviel Hingabe, dass man ob der unglaublichen Anstrengung, die so ein Abend für eine Sängerin bedeutet, erstaunt ist, mit welcher Leichtigkeit, mit wieviel Klangschönheit sie selbst ihren großen Schlussmonolog noch gestaltet. Watson lotet ihre Partie stimmlich in alle Richtungen aus: So rührt sie in den lyrischen Passagen zutiefst um im nächsten Moment mit der nötigen Schärfe die kämpferische Walküre zu geben. Ihr zur Seite steht Michael Weinius der hier sein Rollendebüt gab und das war mehr als beachtlich. Exzellente Diktion, eine großartige Strahlkraft im Heldenhaften, eine wunderbare Stimme im piano – so wünscht man sich einen Siegfried. Und auch im Spielerischen haben Watson und Weinius nach ihrem Aufrtitt im Siegfried, der doch über weite Strecken etwas statisch geriet, nun noch einiges mehr zu bieten. Voller Agilität bewegen sich beide auf der Bühne und begeistern mit großer Emotionalität.
Die Partie des Hagen wird von Hans-Peter König voller dämonischer Schwärze und dunkler Energie gefüllt – das ist spielerisch aufregend und gesanglich einfach perfekt. Bogdan Baciu liefert einen Gunter, der stimmlich überzeugt und spielerisch alles zwischen Held und Zweifler auslotet. Die Gutrune von Sylvia Hamvasi ist klangschön, bleibt aber ein kleines bisschen hinter den großen Stimmen ihrer Kollegen zurück. Katarzyna Kuncio beeindruckt in der Waltrauten-Szene und meistert den kurzen Auftritt als Walküre mit bester Textverständlichkeit und vermag gesanglich absolut zu überzeugen. In den übrigen Partien ist nur Tadelloses zu hören. Gerhard Michalski hat den Chor der Deutschen Oper am Rhein, samt Extrachor, exzellent einstudiert. Satter und absolut sauberer Wagner-Klang sind das Ergebnis.
Aber was liefert die Regie an diesem Abend? Wie in den anderen Teilen des Rings schon zu erkennen war, verfügt diese Interpretation der Wagnerschen Tetralogie über kein großes Thema, keinen roten Faden. Das muss auch nicht der Fall sein, haben ja andere Häuser bewiesen, dass der Ring auch mit vier unterschiedlichen Regiehandschriften ein Ganzes werden kann. Mit der Götterdämmerung versucht Regisseur Dietrich Hilsdorf nun aber auf einmal doch irgendwie Bezug auf das Große und Ganz zu nehmen und präsentiert einen inszenatorischen Gemischtwarenladen par excellence. Das beginnt schon mit der Nornen-Szene zu Beginn der Oper: Die Damen weben nichts, sondern sind durch das Kostüm (Renate Schmitzer), zu trutschigen Knallchargen ausstaffierte Damen, die sich vor der romantischen Kulisse des Mittelrheins zu Kaffee und Kuchen treffen. Ein pantomimisch angedeutetes Weiterwerfen des Seils (oder des Knäuels) wirkt bemüht. Bedient werden sie von einem Statisten in der Uniform eines Kellners der Köln-Düsseldorfer Schifffahrtsgesellschaft (den muss man sich merken, es sei später erklärt warum). Dass nun mehr Bedeutung hinter allem steckt, als das was man da sieht, verkünden eingefügte Übertitel, die darauf verweisen, dass ja „alles Theater“ sei. Soweit so gut. Dann öffnet sich ein Zwischenvorhang und die Mitte der Bühne wird von einem verrosteten Kahn (ja, wir hatten schon Hubschrauber und Lokomotive – da darf ein Schiff nicht fehlen), der zum Glück auch noch MS Wodan heißt, eingenommen. Das mag Sinn ergeben, spielt doch eben vieles am Rhein und ist die Bedeutung des Rheins als „Schicksalsstrom“ der Deutschen ja nicht von der Hand zu weisen. Ob dieser Kahn nun aber fährt oder nicht, wem er gehört und was er ist – das wird von der Regie absolut beliebig und unschlüssig erzählt. Wenn dieser Kahn, der das Bühnenbild für die gesamte Dauer des Abends bleibt, aber eins lehrt, dann, dass die Götterdämmerung kein Stück für ein Einheitsbühnenbild ist. Bei aller Abstraktionsfähigkeit macht es schlichtweg keinen Sinn, wenn alle Protagonisten, deren Figuren ja absolut konkret behauptet werden, auf immer dem gleichen Kahn hausen. Warum Gutrune sich zu Beginn ihres Auftritts erstmal einen Schuss setzt bleibt schleierhaft, scheint aber im weiteren Verlauf des Abends auch keine Rolle mehr zu spielen. Abseits dieser Merkwürdigkeiten ist die Personenführung ansonsten aber solide und auch die Figuren erscheinen glaubhaft und die Handlung an sich wird stringent erzählt – mal abgesehen von der Tatsache, dass Siegfried den ihm von Gutrune gereichten Trank nicht trinkt, da diese ihn vorher wegschüttet. Aber wen interessieren schon Details?
In der Gibichungenhalle, der Kahn hat – den durch zu helles Licht leider nur schlecht erkennbaren Videoprojektionen zufolge – nun Düsseldorf erreicht und was liegt da näher, als Gunters Mannen als ranzigen Karnevalsverein zu zeigen, der mit Altbier-Dosen die Bühne bevölkert. Richtig ärgerlich wird es dann aber zum Schluss. Der Kahn tuckert den Rhein entlang und wird – nach einer szenisch komplett misslungenen Tötung zum Grab für Siegfried. Er liegt unter eine im Deck des Schiffs geöffneten Klappe und während des Trauermarschs packt die Regie – wie aus dem Nichts – die historische Keule aus und zeigt, wie alle Fahnen der deutschen Geschichte von Doppeladler über Hakenkreuz bis schwarz-rot-gold in Siegfrieds Grab geworfen werden. Ein starkes Bild – aber warum kommt auf einmal sowas? Brünnhilde wiederum erscheint und zündet das Grab an und bleibt stumm und starr an Deck des Kahns stehen, während dieser brennend (aus Siegfrieds Grab züngeln ein paar traurige Flammen) den Rhein entlang treibt. Währenddessen beschwören wieder ein paar hilflos verschwiemelte Übertitel, dass „sich Dinge ja immer wiederholen“, „die Archive voll davon seien“ usw. usw. usw. – hier kommt also die Interpretation? Der Ring ist nur ein Stück Theater, dass sich immer wiederholt, wie so vieles im Leben?
Grotesk wird es dann, wenn auf einmal auf einem Fahrrad der „Wanderer“ (ja, der maskierte Wotan aus dem Siegfried) erscheint und versucht Brünnhilde scheinbar davon abzubringen den brennenden Kahn weiter zu führen. Als dies misslingt lässt der „Wanderer“ davon ab und nimmt seine Tarnung ab und man mag es gar nicht glauben, wer darunter zum Vorschein kommt: Der Statist, der als Kellner der Köln-Düsseldorfer Schifffahrtsgesellschaft am Anfang den Nornen Kaffee und Kuchen serviert hat. Das ist so überraschend, dass man kurz denkt, ob das eventuell doch ein genialer Regie-Einfall sein könnte, um dann aber schnell wieder zu merken, dass das in sich ja vielleicht ganz hübsch gedacht ist, im Endeffekt aber hier die komplette Deutung des Rings vor die Wand gefahren wird und wohl einer der beeindruckendsten Momente der Musiktheater-Geschichte irgendwie so gar nicht bedient wird.
Wer jetzt denken mag, dass die Ausführungen zur Regie etwas verschwommen oder verwirrend sind, so sei angemerkt, dass das Gesamtkonzept dieser Produktion leider nur so eine Deutungsweise zulässt. Auf der Bühne (Dieter Richter) herrschte – wie in den Teilen zuvor – die Maxime: Viel ist viel (natürlich durfte auch dieses Mal der Portalrahmen mit den bunten Birnchen nicht fehlen). Diese Flucht in eine scheinbare Oppulenz entlarvt, dass die Regie mit den Teilen des Rings und ganz besonders mit diesem Teil wenig bis nichts anzufangen wusste. Denn eine Botschaft, die auch schlüssig erzählt wird, einen nachvollziehbaren Ansatz sucht man vergebens – da helfen auch keine vermeintlich erläuternden Übertitel. Dieser Ring ist verschenkt. Und auch wenn der Regisseur den zahlreichen Buhs mit mildem Lächeln begegnet – früher kamen die Buhs, weil es provokant war – dieses Mal kamen sie, weil es langweilig und unschlüssig war.
So ist es um so bedauerlicher, dass die großartige musikalische Seite keine ihr ebenbürtige szenische findet. Aber gerade wegen des Trios Kober – Watson – Weinius sei der Abend dennoch empfohlen. Und wer nach diesem Ring doch mit einer tiefergehenden Erkenntnis nach Hause geht als der Rezensent, der darf sich freuen.
Bilder siehe Erstbesprechung vom Kollegen Zimmermann unten!
Sebastian Jacobs 29.10.2018
P.S. Denkt man an die grandiosen Abende, die Regisseur Dietrich Hilsdorf der Musiktheaterwelt schon beschert hat, so ist man über diesen komplett misslungenen Abend um so erstaunter…. aber in der Pause kommt einem dann der Gedanke in den Kopf: Was haben Hilsdorf und ein Handy gemeinsam? In den 90ern waren sie revolutionär…