Premiere: 8.4.2018
Anregende Inszenierung mit einigen Schwachstellen
Beim dritten Abend des von Dietrich Hilsdorf inszenierten „Rings“ an der Deutschen Oper am Rhein war die Publikumsreaktion zwar wieder von ablehnenden Rufen durchsetzt, doch schien die Stimmung insgesamt moderater. Und über Dirigent und Sänger entlud sich ohnehin ein Beifallsorkan sondergleichen. Mit der musikalischen Seite der Aufführung darf denn auch begonnen werden.
Zunächst ist Cornel Frey zu erwähnen, Mime bereits in „Rheingold“. Eigentlich sollte Matthias Klink in dieser Partie debütieren, musste jedoch krankheitshalber absagen. So sehr dieser Sänger auch zu schätzen ist (in Düsseldorf zuletzt Hauptmann in „Wozzeck“): Cornel Frey identifiziert sich mit dem „mürrischen Zwerg“ auf eine Weise, dass zumindest der erste Aufzug mit diesem Rollennamen zu überschreiben wäre. Er formt einen herrlich wuseligen, quecksilbrigen Charakter, wirkt überbordend in seiner falschen Freundlichkeit, ist darstellerisch zudem im wahrsten Sinne des Wortes ein Springinsfeld. Das leicht geschärfte Timbre des Sängers ist maßgeschneidert für die Figur, seine Deklamation fabelhaft. Das hohe C könnte sogar Siegfried vor Neid erblassen lassen.
Der ist mit dem Schweden Michael Weinius besetzt, ehemals Bariton, eine Vergangenheit, welche nach seinem Fachwechsel im Jahre 2004 nicht im Geringsten zu spüren ist. Die Stimme besitzt enorme Leuchtkraft, bleibt bis zuletzt potent, ohne den Pianoausdruck zu vernachlässigen. Weinius erweist sich auch sofort als lebendiger Darsteller mit einer schönen Prise Humor. Besonders gut gelingt es dem Sänger zu zeigen, dass Siegfried sich noch in einer Art Pubertätsstadium befindet, dass er sich bei aller Manneskraft wie ein „Riesenbaby“ aufführt (so eine Formulierung des Dramaturgen Bernhard F. Loges im Programmheft). Siegfrieds Vorbild ist als Filmplakat aus Fritz Langs „Nibelungen“ an die Wand geheftet (Paul Richter mit trotzig ausgestrecktem Schwert). Siegfried ist somit noch keine fertige Persönlichkeit, wütet als naiver Schlagetod vor sich hin, tiefere Gefühle („so starb meine Mutter an mir“) halten sich in Grenzen. Die beginnen erst langsam (und erotisch getönt) bei der Begegnung mit Brünnhilde aufzublühen. Diese Entwicklung wird von Hilsdorf sehr detailreich und liebenswert inszeniert.
Und dann Wotan alias Simon Neal, mit ebenso kraftvollem wie nuanciertem Bariton aufwartend wie schon in „Rheingold“ und „Walküre“. Der auf einem Fahrrad und Verpflegung in der Stofftasche die Welt durchstreifende Göttervater ist in „Siegfried“ an ein Ende gelangt. Er formuliert kluge Einsichten („dem ewig Jungen weicht in Wonne der Gott“), ist innerlich aber doch noch nicht bereit dazu. In der Konfrontation mit Mime gibt er sich noch als überlegenen Drahtzieher, bei der Begegnung mit Erda, die vor seinen Zudringlichkeiten flieht, beginnt die Souveränität aber merklich zu bröckeln („Du bist nicht, was Du Dich wähnst“). Diese Auseinandersetzung hat fast etwas Erdbebenhaftes an sich. All diese Entwicklungsstadien arbeitet Neal mit Hilfe des Regisseurs faszinierend heraus.
Den ersten Aufzug mit seinen lebendigen Dialogen bekommt Hilsdorf besonders gut in den Griff. Triftig wirkt es beispielsweise, wie Mime sich Videos von seiner Drangsalierung durch Alberich im „Rheingold“ immer wieder anschaut und auf diese Weise seine Hassgefühlte steigert, die nun auf einmal nicht lediglich kleinlich wirken. Renate Schmitzers Kostüme halten ein gutes Gleichgewicht zwischen Gegenwart und mythischer Historie, Bühnenbildner Dieter Richter scheut sich nicht vor realistischen Accessoirs. Später wird seine Ausstattung etwas karger und unverbindlicher. Die Erda-Szene findet etwas verlegen vor dem „Eisernen“ statt, weil dahinter bereits das in der „Walküre“ abgestürzte Flugzeug aufgebaut ist, in welchem Brünnhilde von Wotan in Schlaf gebettet wurde.
Der Fafner-Auftritt wirkt trotz des Aufwandes mit einem Riesenzug, der auf die Bühne gerollt wird, nicht wirklich spektakulär. Er ist eine Anspielung auf Emile Zolas Roman „Bestie Mensch“, wo eine führerlos gewordene Lokomotive zerstörerisch auf Paris zurast. Eine wirklich erhellende Symbolik bietet dieses Bild dem Zuschauer kaum, wie ja auch das Flugzeug in der „Walküre“ als Warnung vor überbordender Zivilisation ein ziemlich gewollter Fingerzeig ist. Dass Erda bis zu Brünnhildes Worten „Des Wissens bar“ von einem Tuch verhüllt auf ihrem Sofa ausharren muss, um sich dann warnend zu erheben, bedeutet ebenfalls keinen größeren Erkenntniszuwachs und ist zudem für die Sängerin nachgerade eine Zumutung, von Okka Von Der Damerau aber stoisch geduldet. Den vokalen Teil ihrer Partie (wohllautend, ausdrucksvoll) hat sie allerding dann schon hinter sich. So stehen sich in Hilsdorfs Inszenierung äußerst zwingende Szenen und intellektueller Kleinkram gegenüber.
Bei den Sängern setzen sich die Bässe machtvoll in Szene: Jürgen Linn als Alberich (er verkörpert in dieser Saison in Japan auch den Wotan) und Thorsten Grümbel (Fafner). Elena Sancho Pereg zwitschert entzückend den Waldvogel. Linda Watson demonstriert langjährige Brünnhilden-Erfahrung. Ihr großvolumiger, belcantesk geführter Sopran beeindruckte schon in der „Walküre“. Die Spitzentöne kamen dort allerdings intonationssicherer als diesmal. Axel Kobers Dirigat wirkt dramatisch elektrisierend und in der musikalischen Architektur überzeugend, die Düsseldorfer SympHONIKER bieten ein plastisches, farbenreiches Spiel.
Christoph Zimmermann (8.4.2018)
Bilder (c) Hans-Jörg Michel