Premiere: 07.09.2022
Zwei Ballettstücke lenken den Blick zwischen die Perspektiven
In Kooperation mit dem Beethovenfest Bonn, fand am vergangenen Mittwoch die Premiere des neuen Ballettabends „Zwischenwelten“ im Theater Duisburg statt. Viel neues gab es hier zu entdecken, denn neben einer Neufassung von „The Little Match Girl Passion“ für die große Bühne, eine Choreographie welche Demis Volpi im Jahr 2018 mit dem Bundesjugendballett erstmals in etwas intimerer Atmosphäre auf die Bühne brachte, fand die Uraufführung von „Don´t look at the jar“ statt. Mit dieser Choreographie präsentiert sich der in Israel geborene Gil Harush erstmals mit einer Premiere dem deutschen Publikum. Die Musik zum zweiten Teil des Abends ist ein Auftragswerk des Beethovenfestes für diese Uraufführung.
In „The Little Match Girl Passion“ verschmilzt das Märchen vom kleinen Mädchen mit den Schwefelhölzern von Hans Christian Andersen mit der biblischen Passionsgeschichte, genauer gesagt mit der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach, aus der teilweise wörtliche Zitate übernommen wurden. Im Märchen geht es um das kleine arme Mädchen, dass am letzten Tag des Jahres nicht eine Packung Zündhölzer verkauft hat, da keiner von ihr Notiz nahm. Kalt und mit nackten Füßen setzt sie sich an eine Hauswand, da sie sich nicht nach Hause traut. Sie befürchtet Schläge vom Vater zu bekommen, da sie nichts verkauft hat und kalt sei es ja daheim auch. Nach und nach zündet sie ein Streichholz an und im hellen Licht erscheinen ihr die schönsten Gedanken an einen warmen Ofen, eine dampfende gebratene Gans, einen bunt geschmückten Weihnachtsbaum und an ihre gutmütige Großmutter. Mit diesen wohligen Gedanken stirbt sie. Am Neujahrsmorgen entdeckten Passanten dann das tote Mädchen, welches mit einem Lächeln um den Mund erfroren ist.
Für „The Little Match Girl Passion“ erhielt der amerikanische Komponist David Lang im Jahr 2008 den Pulitzer -Preis für Musik. Und ja, die Musik dieses Choralwerkes ist wirklich gelungen und wird in rund 45 Minuten von Sopran (Viola Blache), Alt (Helene Erben), Tenor (Mirko Ludwig) und Bass (Sönke Tams Freier) gesanglich und an den Instrumenten ganz wunderbar vorgetragen. Großer Applaus am Ende für die musikalische Seite. Großen Applaus gab es aber auch für die Choreographie sowie die Tänzer und Tänzerinnen. Allen voran Rose Nougué-Cazenave als Mädchen, die mit ihren Stop-Motion-Bewegungen bleibenden Eindruck hinterlässt. Volpi ist mit diesem Werk eine gelungen Umsetzung des Märchens gelungen, bei dem sich die Realität und die Gedanken des Mädchens bildlich mischen und den Zuschauer in diese Zwischenwelt entführen. Zudem bringt er die im Kern traurige Geschichte des Mädchens zu einem auch bildlich gelungenen Ende. Hiervon soll nun nicht zu viel verraten werden, aber es bleibt die Erkenntnis, dass auf den Menschen nach seinem irdischen Tod vielleicht viel schönere und befreite Momente warten.
„Don´t look at the jar, but at what´s inside it.“ ist ein hebräisches Sprichwort, was übersetzt bedeutet „Schau nicht auf das Glas, sondern auf den Inhalt“. Etwas freier könnte man auch sagen: „Beurteile ein Buch nicht nach seinem Einband.“ Auf den Menschen übertragen bedeutet dies auch, dass man sich nicht von Äußerlichkeiten ablenken lassen soll, sondern auf das achten soll, was die eigentliche Person ausmacht. Gil Harush stellt sich für seine Choreographie hierzu die Frage „Wie wird Identität kreiert?“ und arbeitet hier mit diversen Wiederholungen. Viele Dinge in seiner Arbeit können vom Zuschauer (mindestens) zweimal wahrgenommen werden, einmal etwas ausführlicher und einmal in der Form einer übergebliebenen Essenz. Dies ist für den Betrachter teilweise anstrengend. Allerdings empfiehlt es sich auch gar nicht, nach diesen Dopplungen zu suchen, sondern die Darbietungen der 15 hervorragenden Tänzer und Tänzerinnen auf sich wirken zu lassen. Hierbei kann jeder für sich ganz individuell viel Interessantes entdecken. Auch wenn mit dieser Choreographie keine eigentliche Geschichte wie im ersten Teil des Abends erzählt wird, beinhaltet sie doch eine Botschaft und sei es nur die Erkenntnis, dass es an dem Mann nichts ändert ob er High-Heels oder Turnschuhe trägt, dies aber hinsichtlich einer „Vorverurteilung“ wiederum sehr wohl noch ein großer Unterschied ist. Das musikalische Fundament für den zweiten Teil dieses Ballettabends liefert ein Streichquintett-Arrangement eines ursprünglichen Popalbums der Künstlerlin SOPHIE, die vor allem im Bereich der Gender-Revolution große Bekanntheit erlangt hat. Geschaffen wurde dieses musikalische Arrangement als Auftragswerk durch die fünf Mitglieder von Wooden Elephant, die es in goldene Kostüme gehüllt auch live darboten und ebenso wie die Tänzer für interessante 45 Minuten sorgten.
Insgesamt erwartet den Zuschauer ein Abend mit zwei komplett unterschiedlichen Werken, die allerdings beide zwischen die eigentlichen Blickwinkel schauen wollen. Zu sehen ist dieser Ballettabend nun zweimal in Bonn, ab dem 24. September 2022 sind noch vier weitere Termine in Duisburg angesetzt.
Markus Lamers, 09.09.2022,
Fotos: Sandra Then