Premiere am 18.03.2017
Große Oper an kleinem Theater
Lieber Opernfreund-Freund,
große Oper nur für die große Bühne? In Freiberg hat man sich gestern an die „Arabella“ von Strauss gewagt. Das Ergebnis ist zwar kein Sieg auf ganzer Linie, kann sich aber über weiter Strecken durchaus hören und sehen lassen.
Die ab Ende der 1920er Jahre entstandene Oper spielt Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien, das Libretto stammt von Hugo von Hofmannsthal und markiert den Schlusspunkt der jahrelangen, insgesamt sechs Opernwerke umfassenden Zusammenarbeit mit dem großen Komponisten. Nur wenige Tage, nachdem er im Juli 1929 seine Schlussfassung des Schlussmonologs des ersten Aktes an Richard Strauss übersandt hatte, nahm der Tod dem Librettisten die Feder aus der Hand. Bis in den Herbst 1932 arbeitete Strauss an der klanglichen Umsetzung der „lyrischen Komödie“, die schließlich am 1. Juli 1933 in Dresden zur Uraufführung kam. Eines der Kernthemen der Oper ist das Vorspiegeln falscher Tatsachen: Die Waldners, eine einst wohlhabende Grafenfamilie, sind bankrott, logieren aber nach wie vor in einem Hotel in Wien und leben auf Pump. Da ihnen die finanziellen Mittel fehlen, beide Töchter mit adäquater Garderobe auszustaffieren, geben sie die jüngere Zdenka kurzerhand als Jungen Zdenko aus. Zdenkas Freund Matteo, der ebenfalls glaubt, dass sie ein Junge ist, ist verliebt in die ältere Schwester Arabella, die aber auch von drei Grafen umworben wird. Um Arabella reich zu verheiraten, hat der Vater ein Bild von ihr an einen alten Kriegskameraden geschickt. Statt seiner wird jedoch sein Neffe Mandryka vorstellig, der sich in das Portrait verliebt hat.
Auch Arabella schwärmt für den kroatischen Grafen, der trotz seines Geldes die einfachen Dinge liebt und den sie Tage zuvor zufällig auf der Straße gesehen hat, und sie nimmt seinen Antrag gerne an. Auf dem Ball am Faschingsdienstag bestellt Zdenka Matteo, den sie heimlich liebt, in Arabellas Zimmer, um ihn dort an deren Stelle zu erwarten. Mandryka wähnt, dass seine frisch Verlobte ihn betrügt und beschuldigt sie vor der versammelten Familie und den anderen Hotelgästen der Untreue. Erst als Zdenka zugibt, nicht Zdenko zu sein und die Scharade eingefädelt zu haben, löst sich alles in Wohlgefallen auf: Matteo und Zdenka verloben sich, Arabella reicht Mandryka nach einem Brauch aus seiner Heimat ein Glas Wasser als Zeichen ihrer Liebe und aufgrund des wohlhabenden Schwiegersohnes ist wohl auch der Haushalt der Waldners wieder ausgeglichen.
Dieses zentrale Thema der falschen Tatsachen zeigt Hausregisseurin Judica Semler direkt im ersten Bild. Das an sich feine Hotel verfügt zwar über eine imposante Freitreppe samt Galerie, die Zimmer aber sind karg und schmucklos. Kleidung und Ausstattung – beides lag in den Händen von Annabel von Berlichingen – weisen mit Pelzstolas und Art Deco-Elementen auf die Entstehungszeit der Oper hin und sind weitestgehend gelungen. Lediglich die arme Susanne Engelhardt hat die Kartenaufschlägerin in allzu klischeehafter Gewandung als Zigeunerin darzustellen und auch der Diener Mandrykas, der in Freiberg eher Leibwächter zu sein scheint, mag mit seinem Funkknopf im Ohr so gar nicht in die Szenerie passen. Judica Semler gelingt eine lebendige Inszenierung. Selbst den dritten Akt, der mir an manch anderem Haus schon recht lang wurde, belebt sie gekonnt durch Bespielung des Bühnenhintergrundes und stimmungsvolle Lichtwechsel. Am Ende steht eine stringente, schnörkellose Erzählung des verworrenen Plots ohne sinnschürfendes psychologisches Gedeutel.
Bis auf Jana Büchner, die als Fiakermilli die halsbrecherischen, nicht enden wollenden Koloraturen bravourös meistert, handelt es sich gestern ausschließlich um Rollendebüts. Leonora del Rio legt die Arabella wenig mädchenhaft an, glänzt mit sicherer Höhe und kraftvoll-warmem Sopran. Dabei ist sie da und dort durchaus zu feinem Piano fähig, das ich mir aber ein wenig öfter gewünscht hätte. Zum Beispiel im berühmten Duett mit Zdenka im ersten Akt läuft sie diesbezüglich zu Höchstform auf. Allein für diese Minuten hat sich der Weg vom Rhein an die Freiberger Mulde schon gelohnt, so genial passen die Stimmen der gebürtigen Argentinierin und Lindsay Funchal zusammen. Die gibt eine schlichtweg tolle Zdenka, zeigt ihren leichten Sopran erneut in den schillerndsten Facetten und spielt mitreißend. Hausbariton Guido Kunze legt mit seinem kultivierten Bariton den Mandryka weniger als bauernhaften Machertypen an, sondern als zwar protzenden, aber doch nach aufrichtiger Liebe suchenden, durchaus auch unsicheren Mann. Dabei meistert er die Partie seelenvoll und ohne merkliche Anstrengung. Ganz so überzeugend bringt Gastsänger Sebastian Fuchsberger den Matteo nicht über die Rampe. Die Höhen klingen doch recht angestrengt, so sehr, dass sein Spiel regelrecht hölzern wirkt. Sergio Raonic Lukovic legt den Fokus auf die komödiantischen Anteile seiner Figur des Grafen Waldner und wird dabei rhythmisch unsauber, Barbora Fritschers Mezzo passt gut zu seiner Frau Adelaide. Aus dem Trio der Verehrer ragt das neue, aus Korea stammende Ensemblemitglied Elias Han als Graf Dominik mit imposantem Bariton voller Kraft heraus. Der kleine Opernchor meistert seine Aufgabe und wurde von Tobias Horschke und Peter Kubisch betreut.
Für das Orchester schreibt Richard Strauss für seine Verhältnisse vergleichsweise wenige Musiker vor, aber immer noch mehr als die Mittelsächsische Philharmonie stellen kann. Dennoch tönen durchaus Strauss’sche Klänge aus dem Graben, die aber mit denen in Dresden oder München natürlich nicht vergleichbar sind. Das müssen sie in diesem kleinen Haus aber meiner Ansicht nach auch gar nicht. Was hingegen sein muss, ist, dass GMD Raoul Grüneis die Wackler bei den Streichern ausmerzt. Gelingt ihm das, dann überzeugt sein schlankes Dirigat auf ganzer Linie.
Dem Publikum im ausverkauften Haus sagt die gefällige Inszenierung zu. Dass ein solch kleines Theater sich dieser Aufgabe gestellt hat, verdient Respekt. Das ein solch gutes Ergebnis am Ende des Abends steht, kann nur Gelingen, wenn alle Beteiligten mit aller Kraft am gleichen Strang ziehen.
Ihr Jochen Rüth / 19.03.2017
Die Fotos stammen von Jörg Metzner