Premiere: 7. Mai 2022
Paul Hindemiths „Neues vom Tage“ hat es schwer auf deutschen Bühnen, obwohl es sich hier um eine der wenigen gelungenen komischen Opern des 20. Jahrhunderts handelt. Nun brachte das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier eine Neuproduktion heraus, in der Regisseurin Sonja Trebes das Stück in die heutige Medienwelt überträgt.
Die Geschichte um das Paar Laura und Eduard, dass sich scheiden lass will und dann zu Medienstars wird, ist besonders im zweiten Teil gut in die heutige Zeit übertragbar. Zu Beginn handelt es sich um eine satirische Scheidungsgeschichte der 20er Jahre des 19. Jahrhunderts, als man für eine Scheidung noch einem Scheidungsgrund brauchte. Dies ist hier der schöne Herr Hermann, mit dem sich Frauen in flagranti erwischen lassen können. Laura wird berühmt, weil sie Hermann im Bad empfängt, Eduard weil er im Museum eine Venus-Statue zerstört.
Regisseurin Sonja Trebes bringt das Stück werkdienlich auf die Bühne, wobei die verschieb- und drehbaren Bühnenelemente von Dirk Becker schnelle Verwandlungen ermöglichen. Besonders nach der Pause gelingt es Trebes die Mediensatire des Stückes auf die heutige Zeit mit ihren Realitystars, Influencern und Shitstorms zu übertragen. So gibt es Projektionsflächen auf denen man die Internetkommentare über das Paar lesen kann. Moritz Hils steuert die Videos bei. Im Finale führt das Paar seine privaten Auseinandersetzungen regelmäßig in einer Fernsehshow vor. Die Badewannenszene überzeichnet Sonja Trebes noch dadurch, dass sich die Schaulustigen entblößen und mit kostümierte Nacktheit Swingerclub-Atmosphäre schaffen. Für die gelungenen Kostüme ist Jula Reindell verantwortlich, die den von Alexander Eberle einstudierte Chor in skurril uniformierter Kleidung auftreten lässt. Ungewöhnliche Perücken und Bärte sorgen für weitere überzeichnete Typen.
Dass Scheidungspaar singen Eleonore Maguerre und Piotr Prochera. Beide versuchen selbst in den melodiösen Aufschwüngen einen gewissen Parlandoton beizubehalten und den Text ins Zentrum zu rücken. Sie singt mit kräftigem Sopran, er mit leicht gaumigem Bariton. Schön schrullig gestaltet Almuth Herbst mit scharfem Mezzo die Nachbarin Frau M.
Dirigent Giuliano Betta treibt am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen Hindemiths Dauermotorik turbulent voran, wobei die Streicher die Hauptrolle spielen. Die Holzbläser setzen oft grelle Akzente, die Blechbläser bieten bissige Einwürfe. Paul Hindemith entwirft hier einen bunten und gut gelaunten Stilmix, der von großer Wagner-Oper, Big-Bands der 20er Jahre und den kultischen Gesängen Carl Orffs inspiriert ist. Zum Atemholen bleibt dem Publikum da kaum Zeit, und Langeweile kommt nicht auf. Am Ende fühlt man sich bei „Die Liebe hat etwas Erotisches“ in eine große Revue-Operette versetzt.
Schon nach dem ersten Teil gibt es viel Beifall, und am Ende werden alle Akteure und das Regieteam einhellig gefeiert. Man wünscht diesem Abend, dass er im Repertoire-Alltag genauso erfolgreich ist.
Rudolf Hermes, 10.05.2022
Bilder: © Monika und Karl Forster