Premiere: 02.04.2022,
besuchte Vorstellung: 17.04.2022
Das Leiden der Cio-Cio-San
Rund drei Jahre wartet Butterfly in der beliebten Oper von Giacomo Puccini auf ihren Ehemann. Fast genauso lange mussten die Besucher am Musiktheater im Revier auf die Premiere der Neuinszenierung von Madama Butterfly warten, die pandemiebedingt mehrmals verschoben werden musste. Anfang April war es dann endlich soweit und es lässt sich bereits an dieser Stelle feststellen: Das Warten hat sich gelohnt. Noch viel länger ist es her, dass am MiR schon einmal eine Madama Butterfly in einer Inszenierung von Gabriele Rech aufgeführt wurde. Am 08. Januar 1994 hob sich damals der Vorhang zum ersten Mal – in der Hauptrolle der Cio-Cio-San damals die junge Noriko Ogawa. In der Neuinszenierung übernimmt das langjährige Ensemblemitglied nun als Gast die Rolle von Butterflys erfahrener Begleiterin Suzuki, so schließt sich auch hier ein Kreis.
Nach nunmehr deutlich mehr als 25 Jahren inszeniert Gabriele Rech erneut eine sehr sehenswerte Madama Butterfly, die mit einer kleinen aber durchaus entscheidenen Ausnahme sehr werkstreu daher kommt. Ihre Cio-Cio-San ist hierbei gefangen in der eigenen Illusion, ihr Mann käme sicher bald nach Japan zurück um sie mit in eine von ihr herbeigeträumte idyllische Zukunft in den Vereinigten Staaten von Amerika zu nehmen. Tragisch hiebei anzusehen, wie sich San immer wieder selber belügt, da sie in dieser Inszenierung grundsätzlich eine sehr kluge Frau ist. Und doch ist es die unendliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft, die sie weiter in einer Illusion leben lässt, die geradewegs auf eine Katastrophe zusteuert. Aber auch Pinkerton erliegt im ersten Akt der Illusion von Goro, der durch eine bunte und folkloristische Heiratszeremonie über den faden Beigeschmack der schlichten Prostitution hinwegtäuschen will. Sehr gut gelungen ist in diesem Zusammenhang die gesamte Gestaltung des ersten Aktes, die einem künstlich inszenierten Spektakel gleicht, in dem Pinkerton eine Hochzeit vorgespielt wird, bei der die Teilnehmer ganz offensichtlich nur für Geld angagierte Schauspieler sind. Das Bühnenbild von Dirk Becker und die Kostüme von Renée Listerdal spielen hierbei mit vielen Klischees der japanischen Kultur – bunte Kimonos, von der Decke herabgleitende Lampions und Kirschblüten, hier fehlt es an nichts. Nach einem starken Schlussbild des ersten Aktes, folgt im zweiten und dritten Akt vornehmlich das Elend in das sich Cio-Cio-San inzwischen befindet und bis zum bitteren Ende leidet man als Zuschauer regelrecht mit ihr mit. Scheinbar unendlich lang ist auch der Übergang vom zweiten in den dritten Akt, wo Butterfly während der gesamten Ouvertüre zum dritten Akt mit dem gepackten Koffer auf Pinkerton wartet, ein Bild das sich tief in die Seele des Zuschauers drückt.
Auch musikalisch ist die aktuelle Madama Butterfly sehr zu empfehlen. Unter der musikalischen Leitung von Giuliano Betta spielt die Neue Philharmonie Westfalen schwungvoll und mit großem Klang, ohne hierbei die Sänger zu übertönen. Die Titelpartie der Butterfly ist mit Ilia Papandreou ganz hervorragend besetzt. Mit einem klaren und sicheren Sopran meistert sie auch die schwierigen Partien. Eine höchst anspruchsvolle Aufgabe, wenn man bedenkt, dass sie die nahezu die gesamten 2 1/2 Stunden Spieldauer auf der Bühne steht und hierbei auch schauspielerisch durchaus überzeugen kann. Ihr zur Seite stand in der besuchten Vorstellung der amerikanische Tenor Joshua Kohl als Gast vom Theater Freiburg, der mit einem ganz hervorragenden Tennor glänzen konnte. Dass seine Rolle als absoluter Unsympat angelegt ist, er sich im ersten Akt an den Prostituerten erfreut und keinen Wert auf die Gefühle seiner japanischen Ehefrau legt und er sich im dritten Akt feige davonschleichen will, steht zwar im Gegensatz zum Glanz seiner Stimme, aber Kohl bringt auch diesen Part des überheblichen Amerikaners glänzend auf die Bühne. Als Suzuki steht wie bereits erwähnt Noriko Ogawa-Yatake auf der Bühne, die mit ihrem dunkel gefärbten Sopran ganz wunderbar mit Ilia Papandreou harmoniert. Außerdem verkörpert sie die liebevolle und besorgte Aufpasserin sowohl für Butterfly wie auch ihr Kind absolut treffend. Alle drei Darsteller wurden vom Publikum entsprechend nach der Vorstellung langanhaltend gefeiert.
Auch für die weiteren Rollen gab es großen Applaus. Auch wenn ihre Rollen vorlagenbedingt recht klein ausfallen, kommt ihnen zugute, dass Gabriele Rech mit einer guten Personenregie alle Rollen sehr klar gezeichnet hat. Sei es Petro Ostapenko als Konsul Sharpless, der zwar stets warnend den Zeigefinger erhebt, Cio-Cio-San am Ende aber auch nicht so hilft, wie es ihm vielleicht möglich gewesen wäre. Tobias Glagau gibt den Heiratsvermittler Goro als eine Art schmieriger Zuhälter, der für Geld alle Wünsche erfüllt. Auch wenn sie wie im Fall des Fürsten Yamadori in etwas ausgefalleneren erotischen Phantasien bestehen. Daegyun Jeong kann in dieser kurzen Partie ebenso gefallen wie Scarlett Pulwey als Kate Pinkerton. In sehr kühler Art und Weise lässt sie echte Gefühle nicht zu, auch sie scheint sich in ihrer eigenen Fassade eingemauert zu haben. Da in Gelsenkirchen eine Fassung verwendet wird in der Kate am Ende statt Sharpless zusichert, sich gut um das Kind kümmern zu wollen, sie es am Ende vor dem großen Finale sogar auf dem Arm von der Bühne trägt, kommt ihr trotz kleinem Part doch eine größere Bedeutung zu. Ob sie sich aber wirklich gut um das Kind kümmern wird, darf an dieser Stelle zumindest angezweifelt werden. Und so schließt sich auch hier der Kreis, was ist Realität und was nur Illusion.
Insgesamt darf sich der Zuschauer bei Madama Butterfly in Gelsenkirchen auf eine stimmige Inszenierung freuen, die auch musikalisch vollkommen überzeugen kann. Wer vor der Sommerpause also nochmal Lust auf große Oper verspürt, ist hier sicher an der richtigen Adresse.
Markus Lamers, 18.04.2022
Bilder: © Björn Hickmann